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Korrespondenz

Von Jean Paul an Caroline Herder. Coburg, 8. Januar 1804 bis 10. Januar 1804.

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Koburg d. 8 Jenn. 1804 .

Gute liebe Herder! Was darf ich Ihnen sagen, da Sie ohnehin so viel an fremden Schmerzen leiden und gleich der Witwe eines Fürsten — und Er war einer — um und mit einem Lande zugleich trauern müssen? Ich möchte lieber zu Ihnen gehen und eine halbe Stunde trostlos sein und dan stum wieder fortgehen. Seit dem Tode meiner Mutter war dies mein herbster Schmerz und ich zermalmte mich immer von neuem und Ihr Brief thats auch wieder; und wär’ ich in Weimar, so müst’ ich Ihn sehen, und stürb’ ich. Es ist freilich nur die Trauer um sich selber; denn dieser reine Geist verdiente die reinere Welt o und er war so götlich und so gut, daß ich mir ihn — wenige fast nur körperliche Schwächen abgerechnet — fast unverändert, ja recht an seinem Orte in jener heiligen fernen Welt, unter jener hohen Geister-Geselschaft denken kan, welche ist, wenn Gott ist. Sie, gute Herder, haben den ewigen Trost und Stolz, daß Sie nichts geliebt und gesucht als seine Freude und daß Er diese ewige Aufopferung mit niemand theilte als mit seinen Kindern. Jede Thräne, die Sie früher um ja durch Ihn vergossen, erspar’ Ihnen jezt eine. Sie können sagen (und ich wil es betheuern): „ich dachte immer nur an Ihn.“ Dieser einzige Gedanke lindert die Quaal und wenn sein verklärtes Angesicht sich jezt auf die Erde richten kan oder könte: so würde nichts darin stehen als der Gedanke: Sie hat mich geliebt und beglükt und der Ewige geb Ihr noch auf der Erde und durch die Kinder die Freude und den Lohn.

Und darum dürfen Sie stolz sein, die Geliebte und die Schwester und Mutter und Pflegerin einer grossen Seele gewesen zu sein; Sie können Ihr Geschlecht stolz ansehen.

Für mich ist Weimar auch begraben und nur durch den Herderschen Namen hat es noch Leben. Ja wäre, wenn ich einst käme, niemand mehr da als Rinaldo: so sag’ ich Ihnen, dies Kind wäre mir mehr als das ganze noch schreibende Autor-Kleeblat. Einmal komm’ ich noch hin, um alles zu sehen, was den grossen Namen des Grossen führt; dan hab’ ich nichts mehr da zu suchen.

An demselben Tage, wo ich Nachmittags von Prinz Louis Seinen Tod erfuhr, hatt’ ich Vormittags an Emanuel meine Ahnung geschrieben, daß Er von dannen gehen würde. Ich habe meine Zeichen des Unglüks. Am Sonabend starb mein geliebter Herzog und am Sontag Er.

Freilich starb Er an Weimar. Jezt darf ichs Ihnen sagen, daß ich, als ich in Berlin war, bei Meierotto’s Tod dem Präsidenten Scheele die Möglichkeit — denn diese allein glaubte ausser Weimar niemand; sonst hätte man Ihn längst davongerufen — bewies, daß Er W. gegen schönere Verhältnisse verlassen würde. Es wurde vorgetragen — gewünscht — sogar als Vokazion schon ins politische Journal gesezt — aber 1 Punkt hinderte: daß Meierotto’s Nachfolger ein Reformierter sein muste. So unternahm ich etwas ähnliches bei Jakobi wegen seiner Verbindung mit dem herlichen Bernstorf für Kiel; aber — Geld fehlte der Universität.

Übrigens bin ich gewis, daß nicht Eine Krankheits Ursache, Ein Zufal Ihn entnahm und alles entschied, sondern daß eine so gekränkte, so zerbrochne Natur auch bei ein Paar Zufällen weniger, wenigstens in einigen Monaten später doch dahin gesunken wäre. Sein LebensKrebs war sein politischer und litterarischer Mismuth; an diesem vergienge meine Natur in Monaten, nicht in Jahren. Das Schlimste war noch seine eigne physische Mischung einer nordischen und südlichen Natur, welche Reize und Stillung zugleich begehrte. — Aber können Sie es, ohne zu grosses Leid, so malen Sie mir seine lezten Tage und Stunden, zumal die lezte. Ich freue mich auf den Schmerz der lezten Adrastea; die abgebrochne Zeile wird das Echo seines Schwanen flugs.

Wahrscheinlich hatt’ Er an Seinen gesammelten Werken noch nichts gearbeitet. Sogar in diesem Falle — da sie doch sonst gedrukt werden und man seine frühern so schäzt und braucht und so schwer findet — behalten Sie sich Seine und Ihre Rechte vor und lassen Sie erklären, (z. B. durch mich namentlich) daß wenn einmal nur ein blosser zweiter Abdruk möglich sei, er Ihnen gebüre und daß das Publikum es seinem Geliebten schuldig ist, die Rüksichten der Witwe zu ehren.

d. 10. Jenn.

Ich schliesse, um den Brief nur wegzubringen. — Ich werde über die grosse Seele etwas schreiben; ich mus es, um mich zu trösten. — Meine Frau grüsset Sie beide innigst; ihr war wie mir. Gott tröste Sie und Ihre Luise, deren ungeheuern Schmerz ich recht leicht errathe; denn durch Sie beide gieng ja der Bliz zunächst. — Leben Sie beide so wohl als Sie beide es durch die Religion können und sollen, welche das gebeugte Haupt, das weinet, doch aufrichtet nach der höhern Gegend.


Ihr Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Herder. Coburg, 8. Januar 1804 bis 10. Januar 1804. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_439


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 446. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin Herder (derzeit BJK). 7 S. 8°. K (nach Nr. 435): die Herd. Jenn. 8. i 1: Wahrheit 6,277×. i 2: Denkw. 3,108×. B: IV. Abt., IV, Nr. 317. A: IV. Abt., IV, Nr. 321. 265,20 immer] nachtr. H 21 Quaal] aus Qual H sein verklärtes Angesicht] aus seine verklärte Gestalt H 26 die2] davor gestr. zulezt H 27 Sie bis 28 ansehen.] nachtr. H K 28 können] dürfen K 30 Ja] nachtr. H Wäre H 266,8 ins politische Journal] aus in den Hamb. H 12 der Universität] nachtr. H 13 Krankheits] nachtr. H 19 physische] nachtr. H 20 welche] aus die H 23 wird] aus ist H 26 Sogar] nachtr. H In H 31 der Witwe] nachtr. H 267,3 gebeugte] nachtr. H, weinende K das weinet] fehlt K

265 , 12–15 Vgl. I. Abt., XI, 432,23f. 32 Autor-Kleeblatt: Goethe, Schiller, Wieland. 35 Prinz Louis: s. Nr. 458†. 266, 4 Johann Heinrich Ludwig Meierotto, Direktor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Kirchenrat usw. in Berlin, war am 24. Sept. 1800 gestorben, also kurz vor Jean Pauls Übersiedlung von Weimar nach Berlin. Scheele: wohl versehentlich für Scheve, s. Nr. 3†. 266, 8 Politisches Journal, 1800, 2. Bd., 12. St. (Dezember), S. 1251. 11 Christian Günther Graf von Bernstorff (1769—1835), der dänische Minister des Auswärtigen; nach Bd. III, 357,12† handelte es sich aber um den Grafen Reventlow. 23 abgebrochne Zeile: s. Adrastea, 10. St., S. 366f.