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Von Jean Paul an Emanuel. Coburg, 13. März 1804 bis 16. März 1804.

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282,9
Koburg d. 13. März 1804.
282,10

Schon wieder red’ ich drei Worte mit Ihnen. Ich habe jezt eine
Liebhaberei für Briefe an Sie. An jemand anders schreib’ ich jezt
fast kaum mehr. — Zuerst über das Duel! Es ist keines möglich,
seitdem W[angenheim] in der Konferenz öffentlich den Verkauf von
E[rkersreuth] einen „Betrug“ genant. Wer einen solchen Vorwurf 282,15
noch auf sich trägt: ist nicht stifts- und degenfähig und ebenbürtig zu
Stich und Schus. Man mus nach Duel-Gesezen, noch einige Ehre im
Leibe haben, um durch leztern geschossen zu werden. Jezt sizt der
Sieges-Adler wieder W. auf der Schulter; der G. R. Lange findet
schon ein deficit von 70,000 und sein Prinz trit ihm folglich bei; 282,20
auch konferiert jezt W. mit L. — Vorgestern sah ich den M[inister]
sehr traurig am Hofe. Er rührte mich wider Willen und ich kan es
überhaupt zu keinem rechten Hasse gegen ihn bringen. Ich weis recht
gut warum: 1) mich hat er persönlich nie gedrükt sondern beglükt —
2) ich habe immer mehr Verstand als Gefühl und Religiosität bei282,25
ihm gesucht; und wurde folglich nicht erst entzaubert — 3) Kraft ist
immer edel; seine ewige Thätigkeit des Lernens und Thuns; sein
Hinübergreifen in alle fernsten Fächer, seine persönliche kalte Selbst
Wehr (ungeachtet seines Zornfeuers bei kleinen Verhältnissen) und
seine augenblikliche Mobil-Machung des ganzen Ideen-Lagers, die ich282,30
noch bei keinem Menschen so gefunden; aber was am meisten ist


d. 16.

— ja das weis ich jezt nicht mehr, wenn es nicht die Achtung ist, die
man für jede grosse Geistes Kraft (daher man Eroberern so viel ver
giebt z. B. Friedrich II) und besonders für die empfindet, welche mit 283,1
glühendem Stempel ihre Bilder der Aussen-Welt aufprägt. — Vor
gestern bekam ich Ihre Briefgen. Ich dankte Gott, daß Thieriot nicht
auf der Donau ersoffen war. Er sei mit alter und ältester Liebe ge-
grüsset; ich versprech’ ihm, nächstens einen Brief zu versprechen. —283,5
Meine ästhetischen Untersuchungen sind schon 25 Drukbogen stark. —
Den Brief der Helmina v. Klenke oder Hastfehr und d[en] Herder-
schen
erbitte samt sehr alten Ladenhütern baldigst zurük, z. B. Meu-
sels
Rechnung besonders. — Die Grosfürstin zieht wirklich nach
Fantaisie ein wenig. Auch hätt’ ich vorher durch Sie den Kastellan 283,10
befragen müssen, ob es das Getäfel leidet, wenn Emma darauf pisset,
oder obs so viel ist, als wenn der Vater auf der Strasse die Polizei
anlokt. — Was macht jezt mein Balbier-Bruder in Bayreuth für
Sensazion? Ich hoffe auf dem Kin die kleinste. Ich bin ein ordentlicher
Kindernar geworden und finde die Rolle einer Kindermagd blos lieb- 283,15
lich. Aber wie in Ehen über Erziehen gezankt wird, davon haben Sie
keinen Begrif, sondern ich. Max sticht in feiner Haut, Grazien- und
philanthropischem Lächeln und Gesichts-Adel die Emma aus, auch in
Ruhe und Kraft — kurz es ist ein Man, nämlich ein Mängen. — Den
Verf. der Beilage 17 kenn ich nicht. — Nächstens send’ ich Ihnen283,20
meine Aequinokzial-Beobachtungen auf das Semester. So weit ich
heute bin, geht das Wetter an; nämlich vom 28 März bis 18 April
wirds ganz hel, blau, schön, Nächte kalt, 19—22 gestreift, Nächte
wärmer, es neigt sich zum folgenden Wetter — dan vom 23 bis Ende
und bis 12 Mai regnerisch. Den 13ten könt’ ich erst heute nach 8 Uhr283,25
weissagen. Ich kan Ihnen nicht beschreiben, wie mich die Bestimtheit
erfreuet, womit ich jezt von Monat in Monat hinaussehe, und wärs
auch nur, um mich darnach zu richten.


Noch steht das hiesige politische Gewitter fest und stil, ohne
Wetterscheide und Ableiter.283,30

Leben Sie wohl und sorgen Sie ein wenig mehr für Ihre Freude,
an die Sie oft gar nicht denken vor fremder.



R.

Der Erbprinz sol eine Art 2ter Minister werden und der 1 bleiben;
der jezt dem Stadtrathe unendlich viel nachgiebt, cunctando devic283,35
turus.


d. 18.

284,1

C. grüßet Sie und will bei Muße selber schreiben. Apropos heute
nahm ich die alte Orthographie wieder an.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Emanuel. Coburg, 13. März 1804 bis 16. März 1804. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_452


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 459. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: SBa. 4 S. 8°. Vermerk Emanuels: Am 25ten beantw. (nicht erhalten) K (nach Nr. 450): Eman. 13 März. J: Denkw. 1,154×. B: IV. Abt., IV, Nr. 331. 282,17 muß K noch] aus schon H 21 mit] davor gestr. häufig H 27 ewige] nachtr. H 28 kalte] nachtr. H 31 so] nachtr. H 34 daher] aus da H viel] leicht K 283,2 Aussen] nachtr. H 7f. und den Herderschen] nachtr. H 8 sehr] nachtr. H baldigst] nachtr. H 13 Bruder] Adam K 22 heute] aus jezt H 23 wirds] aus ists H 22] aus 24 H 24 es bis Wetter] nachtr. H 23] aus 25 H 25 Denn H könt’] aus kan H 29 steht] aus ist H

282,26 f. Kraft ist immer edel: vgl. I. Abt., XI, 202,16f. (Vorschule der Ästhetik, § 58). 283, 3–5 Emanuel hatte einen Brief Thieriots, der von Regensburg zu Schiff nach Wien gereist war, gesandt, worin es heißt: „Wie ich Richtern liebe? So daß ich ihn da fast hasse, wo ich ihn nicht lieben kann. Heftig den Heftigen, ein wenig mitwechselnd den Wechselnden, überall bauend auf einen den Sukzessionen substruirten Grund der Gleichheit und Allseitigkeit, Allblick könnt’ ich auch sagen, und am Ende auf eine närrische Aehnlichkeit mit mir selber, die ich an mir niedriger schätze. (Ich glaubte ich schreibe an ihn.) — Dann ist er an mir mehr mit meinem Contra einverstanden und vielleicht etwas prävenirt, so wie Du für das Pro.“ 7 Brief der Helmina: an J. P. IV. Abt., IV, Nr. 316. 12f. Vgl. 269, 7ff. 34 Erbprinz: Ernst (1784—1806—1844).