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Korrespondenz

Von Jean Paul an Christian Otto. Coburg, 24. April 1804 bis 3. Mai 1804.

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Koburg d. 24. Apr. 1804 .

Neuigkeiten hab’ ich leider zu viel zum Schreiben, obwol zum Erzählen nicht zu viel. Z. B. Wangenheim ist ohne Pension abgesetzt und geht klagend nach Wien. Sein Sohn ist im Herbste gestorben, sein Mädchen war von 3 Aerzten aufgegeben und ich rettete es durch Wein. — Ich selber wie ich längst voraussah wurde in die Untersuchung gegen Wangenheim durch die Kommission gezogenüber ein Gespräch mit dem Herzog. . Meinen Brief an den Herzog und mein Aufsagen des Hofs und jenes gut machende Antwort und noch einige wichtige Briefe schickte ich dir wenn ich sie nicht vielleicht jede Stunde zu brauchen besorgte. Du wirst staunen. Ich war zu keiner persönlichen Erscheinung als fremder Legaz[ions] R[ath] verbunden; wählte sie aber doch, um meinen Spaß und meine Prüfung zu haben. — Mein Max hatte das Husten fieber. Er ist fast zu zart und eine gewaltige Virtuosen-Seele bewohnt den Lilienleib. Ich kann ihm beinahe Verzückungen und entzückt-nasse Augen anpfeifen. — Emma zog wieder aus dem Zufalls-Rade etwas heraus, Rienzi nämlich. — Wer sich nicht mit den Umgebungen ver ändert, sondern festbleibt, stellt eben dadurch sein Verhältniß zu ihnen und also sich als etwas Verändertes dar.Gleich einem Ufer schein’ ich dem zu fließen, der ja blos selber fließet. Ich bin überzeugt, daß man mich jetzt für veränderlich ausschreiet, blos weil ich fortwill und fortmuß, da alles um mich her möcht ich sagen schon fortgezogen ist. Wangenheim und Kretschm. sind für mich fort; auch der Hof in mancher Rücksicht. Das Hebammenwesen gefällt mir hier so wenig, daß ich den künftigen November gegen das Ende nicht hier ausstehen könnte. Meine Hauswirthin heirathet — und Anfangs Augusts muß ich aus dem Hause. Das Schicksal — das weis ich stets voraus — trifft immer so mit meinen Gründen zusammen, daß es mir, wenn ich noch schwanke, die nöthigsten dazu leiht. Nach Bayreuth wünscht’ ich und C. nun — und ich für C. besonders — 1) weil hier unser Um gang nur adelicherDer bürgerliche ist mit weniger Ausnahme zu öde. war, der aber zur rechten Gemeinschaft des Lebens und Treibens zu wenig hilft — In Meiningen war beides besser und näher, als in hies[iger] größeren Stadt. Freilich mit einigen Menschen so recht verwickelt zu sein — hin und her zu genießen — alles zu theilen, sogar die Lust — alles zu erzählen, sogar die Noth — kurz ein Höfer-Beisammenleben ist etwas, was man ewig vermißt außer dem bürgerlichen Geburts-Kreise. Amoene und C. würden sich sehr lieben und suchen, das weiß ich.

Etwas würd’ ich reell entrathen durch Mangel an Hofwesen, das weiß ich auch. Von längst gesättigter, (schon litterarisch-satter) Eitelkeit ist nicht die Rede; aber das leichtere Beisammensein (denn vor keinem Fürsten bin ich verlegen, aber bei einem Höf[er] Konrektor etc. giebts gêne) — das Sein im Mittelpunkt des Hörsaals politischer und eleganter, artistischer Neuigkeiten — die anderweitige Lust an Frauen und an Weinen —

d. 28 Apr.

Bitte wenigstens Emanuel (der Schnelle wegen) mir zu schreiben, wie es in Bayreuth steht mit der 1) Bücher-Ebbe und Fluth und Journalistikum 2) Klubbs 3) Adel 4) überhaupt welche bedeutende Männer und Weiber zu treffen sind 5) und ob anfangs Augusts ein schönes Logis (theuer sei es immer d. h. 70, 80, 90 fl. rh.) zu bekommen, das in der Vorstadt und gegen das Freie liegt wie deines. Ich werde dir mündlich erzählen, wie sehr auch meine anfangs ratifizierten Rechnungen auf den Fürstenhof sich wieder auslöschten. Dumm ists, mit Frau und Küche zu wandern; und dumm wars, daß ich sonst als geflügelter garçon nicht mehrere Städte durchzog.

Einen Auszug aus dem römischen Bullarium in 4 Bänden (betitelt: römische Religions Kasse) könntest du hier käuflich haben. — Die Geschichte der Konklave von Clemens V bis Innocens XII fand ich neulich ohne näheren Titel in den mélanges d’histoire par etc. Marville gepriesen angeführt und gewiß für dich tauglich. —

Hier schick’ ich dir mein altes Schuldenbuch. Bei den 55 fl. bleib’ es! Sobald du alles zurückzahlst, muß auch ausgemittelt werden, was deine Mutter meiner geliehen. Eine Rechnung von Christoph über Weine und Strümpfe fiel mir neulich in die Hände; und du sollst sie haben. Denn Eile hat es darum nicht, weil ich zwar die Schuldverschreibung annehme — denn ich weiß voraus, wie sehr meine Kinder verarmen —, aber nie bei meinen Lebzeiten zahlbar, folglich nie (denn ich könnte lange leben) zinsbar, was sich von selber versteht. Du schreibst, ich möge deine Bürgschaft im Briefe anerkennen; ich hoffe aber, daß du dieß nur scherzend geschrieben oder probierend, da du mir doch so viel Jurisprudenz (schon aus den Flegeljahren) zu trauen kannst, daß ich werde Instrumente fodern. — H. v. Rhamm war sehr mit Euch beiden zufrieden und ich mit ihm. — Frankreich anlangend, so wird ja der deutsche Wunsch, die Freiheit mit solchem zu theilen, selber von Fürsten erfüllt; da wir jetzt ganz nicht nur wie Frankreich, sondern auch sogar von Frankreich regieret werden, wie die gleiche Preß-Freiheit, und das Emigranten-Pressen in Deutsch land gewiß beweisen. Denn kein Hahn darf (darnach) krähen dem gallischen, daß dieser den verläugnenden Petrus zu erinnern vergißt.

Emanuel soll nach Schwaben mit der Frau Israels gereiset sein. Er vergebe mir mein Schweigen, da ich 20 Druckbogen Aesthetik nach Leipzig fördern mußte. — Was lässet denn der gute treue Thieriot von sich hören? Letzteres würd’ er gewiß unterstreichen des Wortspiels wegen. — Und wem soll ich die Aesthetik dedizieren, insofern ich etwas haben und doch mit Überzeugung preisen will? Dem König in Preussen (die Theorie dem Mann, wie die Praxis 〈Titan〉 der Frau)? — Dem Baierfürsten? — Dem neuen Herzog von Gotha? — Dem Minister v. Hardenberg? — Rathe an!

d. 3. Mai.

Hier sind die Flegeljahre mit unzähligen Druckfehlern. Ich bin begierig, wie dir diese neue Form gefällt oder nicht, desgleich[en] die Rezension des Titans in [der] L[itteratur] Z[eitung]. Gott weiß aber wenn du sie liesest, geschweige beurtheilst. Endlich kommt ein Monat voll schöner Tage. Meine vorige Aequinokz[ial] Beobachtung wurde nach einem Lügner von Buche zugeschnitten. Ich will wieder auf eigne Füsse; Mai und Juny werden göttlich, July regnerisch. Genieße du und Amöne jene recht aus.


R.
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Christian Otto. Coburg, 24. April 1804 bis 3. Mai 1804. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_463


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 470. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 8 S. 8°. K: Otto 14 Ap. J 1: Otto 4,156×. J 2: Nerrlich Nr. 106×. B: IV. Abt., IV, Nr. 339. A: IV. Abt., IV, Nr. 351. 288,11 Schreiben] aus schreiben H obwol] aus obwohl H 14 3] aus 2 H 23 gewaltige] nachtr. H 26 Umgebungen] aus Veränderungen H 27 stellt] davor gestr. scheint H sein Verhältniß] aus seinen Unter H 28 Verändertes] aus Veränderliches H 32 gefällt] aus gefiel H 33 den] aus im H gegen das Ende] nachtr. H 289, 4 1)] nachtr.(?) H 8 einigen] aus ein Paar H 16 bei] aus wol vor H 17 giebts gêne] nachtr., versehentlich vor etc. H das Sein im] aus der H 18 artistischen] nachtr. H anderweitige] aus sonstige H 22f. und Journalistikum] nachtr. H 25 d. h. bis rh.] nachtr. H 32 Religions] nachtr. H käuflich] nachtr. H 35 gepriesen] nachtr. H 290,7 meinen] nachtr. H 12 werde] nachtr. H 14 wird] aus ist H die] davor gestr. einigen Antheil an H 19 daß dieser] aus der H zu] davor gestr. nicht H 20 mit der Frau Israels] nachtr. H 25 haben] aus will H preisen] aus loben H 26 wie] nachtr. H 28 an] nachtr. H 30 mit unzähligen Druckfehlern] nachtr. H 31 desgleichen bis 32 L. Z.] nachtr. H 33 liesest] aus liest H 34 Beobachtung] aus Proph[ez]eiung H

288,14 f. Vgl. Persönl. Nr. 151. 26 Rienzi: s. zu Nr. 421. 34 Hauswirthin: Gruner, s. zu Nr. 338; sie heiratete am 11. Sept. 1804 den Kanzleidirektor Heinrich Karl Prätorius. 289, 23f. Vgl. Bd. VI, 203,31f. 31f. Die Römische Religionskasse, ein Anhang zum Römischen Gesetzbuch, 3 Bände, Karlsruhe 1787—88; Exzerpte daraus im 37. Bande (Nov. 1803). 34f. Vigneul de Marville, Mélanges d’histoire et de littérature, 3 vol., Rouen 1699—1701; Exzerpte ebenda. 290, 1ff. Vgl. 55, 12. 20 Israel (Enzel), Emanuels älterer Bruder, hatte sich am 29. April 1804 wiederverheiratet. 32 Die Rezension des Titan in der (Hallischen) Allg. Literaturzeitung, 14. März 1804, Nr. 79f., ist von Franz Horn.