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Korrespondenz

Von Jean Paul an Johann Ernst Wagner. Coburg, 4. August 1804.

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[Druck]

Koburg d. 4. Aug. 1804.

Mein lieber verzeihender Wagner! Nur durch meine litterarische Vielschreiberei kann ich ein wenig meine briefliche Wenigschreiberei entschuldigen. In der Michaelis Messe kommt meine Aesthetik in 2 Theilen heraus. Wenn Sie diese gelesen, so hätten Sie endlich, dächt’ ich, den nöthigen Schlosser-Apparat zu Ihrem „Dieterich“. Sie sollten damit mehr eilen, da noch so wenig über den Humor geschrieben worden.Tieck wollt’ es einmal in frühern Zeiten über meinen. Wollen Sie mit Ihrem Musikschlüssel meiner Mißtöne warten, bis ich kein neues Stück mehr setze? — Ihre drei vernichteten Tabellen wären mir ein köstliches Geschenk; ich sähe auf einmal in zwei Menschen hinein, in Sie und in mich.

Da Sie so vielerlei schon angefangen: so muß ich Sie vor der Gefahr des Wechsels warnen, welcher die Kräfte auflöset, weil er sie nicht straff genug spannt. Werfen Sie sich mit aller Gewalt blos über Ein Werk, und unterhalten Sie das Feuer in Einem fort so lange darunter, bis seine spröden Theile streckbar und flüssig geworden. Hingegen nach einer Jahres-Erkaltung wieder Feuer zu machen, verdoppelt die Arbeit, aber nicht den Enthusiasmus und das Ge lingen. Der 1te Band des Titans beweiset den letzten, die andern Bände den ersten Satz. —

Von meinen Flegeljahren hat mir die Fr. v. Kalb, der ich sie ge liehen, blos die beiden letzten Theile (ohne den ersten) zurückgeschickt. Würde Meiningen nicht durch Cramer entschädigt und genährt: so würd’ ich es für Gleichgültigkeit gegen die Poesie — so wie gegen einen ehemaligen Mitbürger desselben — ansehen, daß nicht einmal Jahn das Buch hat.

Ende künftiger Woche ziehen wir nach Bayreuth. Seit ich mir verboten habe, den Minister zu besuchen; und seit überhaupt durch den neuen Krieg der ganze geistreiche und frohe Zirkel, den ich anfangs fand, selber am Hofe zersprengt ist, ist Coburg aus einem Jerusalem ein Bethlehem für mich geworden. Bekannte, und Gäste, und Wirthe fand meine Frau hier genug, aber keine rechte Freundin; die Fr. v. Spessart etwa ausgenommen. In Meiningen hatte sie es besser. Wahre Kultur gibt es noch unendlich selten in Deutschland; Berlin und Herder haben mich verwöhnt, und ich werde immer weiter ziehen müssen.

Grüßen Sie mir meinen guten Vesuv recht sehr, der zugleich alt und feurig ist und herrliche Produkte trägt: den Präsidenten Heim; und den Hofrath Heim und dessen Frau, an welche beide wir beide mit vieler Dankbarkeit denken; auch den Regierungsrath Donop. Leben Sie wol! Schreiben und schicken Sie mir bald!


J. P. F. Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Johann Ernst Wagner. Coburg, 4. August 1804. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_491


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 498. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K (nach Nr. 488): Wagner 4 Aug. J 1: Mosengeil Nr. 1×. *J 2: Denkw. 3,116. A: 25. Aug. 1804. 308,17 meine litterarische] literarischen J 1 18 ein wenig] fehlt J 1 21 Dietrich J 1 24 warten] harren J 1 29 Gewalt] so KJ 2, Macht J 1 31 geworden] so KJ 2, werden J 1 32 zu machen] anzuschüren J 1 309, 1 Titan J 1 4 letzten] ersten J 1 (ohne den ersten)] fehlt J 1, (ohne die ersten) J 2 8 Jahn] die Leihbibliothek J 1 13 Betlehem K 16 Teutschland J 1 20 Produkte] Früchte K Präsident J 1 22 Donnop J 2 (fehlt J 1)

308 , 20–26 Wagner hatte um die Flegeljahre gebeten für sein geplantes Tabellenwerkchen „Dietrich zu J. P. Richters humoristischen Himmeln“, das er schon zum drittenmal vernichtet habe. 27ff. Wagner wollte seinen fast vollendeten „Wilibald“ ganz umarbeiten und hatte noch mehrere andere Werke in Arbeit; Jean Pauls Warnung steht in seltsamem Widerspruch zu 129, 27–32. 34 Vgl. 9, 27. 309, 5 Cramer: s. 121, 3†. 8 Der Apotheker Jahn in Meiningen hatte eine Leihbibliothek, s. 217, 22f. 14f. Frau v. Spessart: wohl die Gattin des Majors Karl Heinrich Wilhelm v. Spessart, Reisemarschalls des Prinzen Josias. — Nach A enthielt der Brief anscheinend noch einen (für den Präsidenten Heim bestimmten) Hinweis auf Schellings Zeitschrift (für spekulative Physik?) sowie die Erlaubnis für Wagner, das Exemplar von Jean Pauls „Heimlichem Klaglied“, das sich (nach B) noch in seinen Händen befand, zu behalten.