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Korrespondenz

Von Jean Paul an Caroline Herder. Berlin, 12. Januar 1801 bis 23. Januar 1801.

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Berlin d. 12. Jenn. 1801 .

Es geht mir an meinem Schreibtisch wie an Ihrem Estisch — und wie in meinen Biographien —: ich erzähle zu wenig. Ihr Haus ist vollends ein Kloster des Schweigens; blos an Büri prallen für mich einige holde Laute ab, die Sie ihm zusenden.

Das Wichtigste für mich, der ich bisher als ein halbierter oder gar eindrittels-Mensch herumlief, wissen Sie schon, meine Verlobung. Ich muste bisher so oft Unrecht haben, um einmal recht — Recht zu haben. Die Namensschwester der Hildb[urghäusischen] Caroline hat alle Vorzüge der leztern und an der Stelle ihrer Fehler auch wieder Vorzüge, wozu man in meinem so vernünftigen Alter auch eine volendete Gesundheit zählt. Ich mag das edle Wesen gar nicht loben und malen mit verwässerten Abstrakzionen. Stat ihrer Festigkeit, Herzens-Reinheit, Schönheit pppppp. wil ich blos das Eine anführen, daß sie — was bisher noch keine eine Wochelang vermochte — nun ein ganzes Vierteljahr ohne Eine einzige dissone Stunde auskam mit — mir.

Im Frühling bezieh’ ich erst mein Hochzeithaus; ich weis aber nicht, in welcher Stadt es gebauet ist. Hier bleib’ ich nicht. — Der Ton hier übertrift an Unbefangenheit weit den Weimar’schen. Der Adel vermengt sich hier mit dem Bürger, nicht wie Fet mit Wasser, auf welchem dieses immer oben schwimt und äugelt, sondern sie sind innig vereinigt wie diese durch Laugensalz, woraus Saife entsteht. Gelehrte, Juden, Offiziere, Geheime Räthe, Edelleute, kurz alles was sich an andern Orten (Weimar ausgenommen) die Hälse bricht, fället ein ander um diese, und lebt wenigstens freundlich an Thee- und Estischen beisammen.

d. 23 Jenn.

Philosophie, Dichtkunst und Malerei finden hier nur Sand für ihre Wurzeln; blos die Musik findet rechte Hände und Ohren. —

Ich lebe in grossen Zerstreuungen und Arbeiten zugleich und nichts leidet dabei als meine Gesundheit und Briefstellerei.

Beiliegenden Brief von Lavater bitt’ ich Sie an die Behörde zu schicken.

Böttiger schrieb von einer Monatsschrift an Aurorens stat; giebt Herder sie uns oder irgend etwas anders? Ich bin leider durch Klostermauern und Sprachgitter von allen Weimar’schen Lauten abgeschieden.

Die Königin gab mir den ersten ehelichen Hausrath — ein silbernes Thee- und Kaffeeservice. Ich wolte, ich könte ihr daraus einschenken.

Im Frühling — wohin mich auch das Loos pflanze und säe — flieg’ ich wenigstens durch Weimar. Buri schmachtet nach den alten Abenden bei Ihnen, deren Abendaurora auch in mir nie erblassen kan.

Leben Sie froh, Schweigende neben dem Schweigenden! Ich hoffe auf ein Blat, das beiden diesen Namen nimt. Grüssen Sie den geliebten Herder und Luise und Rinaldo und was auf dem Markte von Ihnen wohnt und die Herzogin und Knebel und Böttiger. Mög’ Ihnen der Frühling mit der Magie entgegenziehen, womit er in der Jugend unser Herz so süs umstrikt und höher trägt!


Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Herder. Berlin, 12. Januar 1801 bis 23. Januar 1801. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_75


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 79. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 4 S. 8°. K (nach Nr. 72): Die Herder 27 [!] Jenn. J 1: Herders Nachlaß Nr. 36×. J 2: Denkw. 3,73×. A: IV. Abt., IV, Nr. 92. 41,16 keine] aus keiner H 17 einzige] nachtr. H 23 dieses] aus lezte aus jenes H oben] nachtr. H sie] aus jene aus beide H 42,7 Abendroth K

Angekommen 3. Febr. 41, 34 Der Brief von Lavater enthielt nach A u. a. die von dem am 2. Januar 1801 verstorbenen L. hinterlassenen Denkzeilen für Herder (s. Herders Nachlaß 2,209); auch für Jean Paul hatte L. anscheinend etwas hinterlassen, s. Otto 4,4. 36 Vgl. IV. Abt. (Br. an J.P.), IV, Nr. 28. 42, 10f. Auf dem Markt in Weimar wohnte Dr. Gottfried Herder, der älteste Sohn.