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Korrespondenz

Von Jean Paul an Emilie von Berlepsch. Berlin, 17. Oktober 1800 bis 21. Oktober 1800.

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Berlin d. 17. Okt. 1800.

Wilkommen, Theuerste, auf dem alten Boden! Mög’ er doch einige Blumen für Sie treiben! Seit meinem lezten Briefe sah ich Sie und Ihr Schiksal immer in einer Wolke, vor der ich mich fürchtete, weil ich selber einige Nebel dazu gegeben hatte. Ihr Brief ist nicht am Schreibtische, sondern nur auf dem Kanapee zu beantworten. — Erstlich Ihre Herreise nach Berlin! Wohnung und alles andere kan ich Ihnen hier durch meinen Freund (H. v. Ahlefeldt, mit dem ich brüder lich zusammenwohne) besorgen; ich selber wäre zu dum dazu. Das Verschieben der Ankunft find’ ich recht; aber übrigens können Sie hier in diesem Seelen-Meer leicht in Schleiern durchschlüpfen. Für Sie fand ich erst eine harmonische Seele, die Fr. v. Berg und ihre Tochter. Sehen müssen wir uns. Selber Ihnen entgegenzureisen verbietet mir mein Zeit- und Geld-Mangel, die Arbeit, die Ferne und alles. Auch sind Tage nicht genug für eine so lange Entbehrung in der Vergangenheit und Zukunft.

Ich lebe hier sehr heiter unter einer Schwestergemeinde von Leserinnen und bin — überal. Da das Schiksal mich von der hohen Liebe gewaltsam weggedrängt: so lass’ ich lieber die Wellen des wilden Getümmels über mich zusammenschlagen. Läsen Sie Carolinens Briefe, die noch fortdauern: so würden Sie mir noch mehr Unrecht geben, das ich doch nach dem Ausspruch Ottos und meines Gewissens nicht habe. Einen gewissen mich so leicht bezaubernden weiblichen Heroismus mus ich fliehen; und thu’ es nun fest nach solchen Erfahrungen. Was ich suche — wie wohl ich jezt gar keine Ehe mehr suche — ist eine sanftere Weiblichkeit, die ich schon öfters gefunden, eine Liebe, die nicht Leidenschaft gegen einen sondern Wohlwollen gegen alle ist.

Nicht blos recht sondern auch die schönste Widerlegung des platten Publikums ist Ihre Stiftung des Bundes zwischen C[ecilia] und M[acdonald]. — C. wird sich in ein Verhältnis mit Ihnen, der ge liebtesten Freundin, leichter finden, das früher war als ihres.

d. 20 Okt.

Sie mus Ihnen für die Gabe zweier Herzen immer danken. M. wird diese C. im nähern Bunde noch lieber gewinnen. Seine Gesundheit kehret zurük, wenn sein Zölibat und der Widerstreit seiner Verhältnisse aufhören. Da beide einander verdienen: so haben Sie das Verdienst, beide belohnet zu haben durch den Verein. Blos über sich selber und über die Foderungen, die Sie dan an ihn machen, müssen Sie sich selber fest und hel entscheiden. — M. würde bei volendeter Gleichgültigkeit gegen C. und zu grosser Leidenschaftlichkeit gegen Sie gewis nicht in diese 3fache Verschlingung gewilligt haben. — Demuth wird M. nie lernen — am wenigsten gegen Stolze — aber Liebe; oder vielmehr grössere; denn aus Kälte knüpfet man keine ferne Freundin so nahe an sein Leben. —

Warum wollen Sie wenigstens keine für andere verschleierte BriefMittheilung „Ihrer Ängstlichkeit“ wegen? —

Bestimmen Sie genau wie Sie Ihre Wohnung haben wollen. — Meine Adresse ist: in der neuen Friedrichsstrasse N. 22 bei H. v. Ahle feldt.

Ich glaube wie Sie, daß der Kopf des Genies leicht Teufelshörner und seine Schreibfinger leicht Krallen treiben. Aber bei grossen Kräften ist alles grösser, nicht nur die Sünde, auch die Versuchung und der Sieg. Die moralische Tiefe sezt die moralische Höhe voraus. Am Ende ist ein solches Wesen doch nur ein Gewitter, das fruchtbar über Gegenden zieht, indes es einzelne Bäume tödtet und einzelne Beete niederschlägt. Nur in der Nähe taugt dieses Volk nicht. — Ich bin mit grosser zürnender Gleichgültigkeit gegen Weimar und Ihr Urtheil unterschreibend daraus abgezogen. Hier gefället mir, wie gewöhnlich anfangs, immer alles — ich finde viel schöne Gestalten, durch die ich mir die Köpfe erseze, an die mich der Herdersche gewöhnt — und so treib’ ich mich denn froh und liebend und geliebt von Theetisch zu Theetisch, mir den heiligern Durst über die leichtere Erquickung verbergend.

d. 21 Okt.

Vergeben Sie diesen unter lauter Arbeiten und Abrufungen leerer gewordnen Brief. Möge der Genius, der in Ihrem Herzen die höhern Wünsche schaft, Ihnen die Welt zuführen, auf der sie nicht alle fehlschlagen! Ich bin Ihr Unveränderter. —


Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Emilie von Berlepsch. Berlin, 17. Oktober 1800 bis 21. Oktober 1800. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=IV_8


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 8. Seite(n): (Brieftext) und (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: zuletzt Kat. 667 Stargardt (November 1997), Nr. 254; ehem. Slg. Apelt, Zittau. 4 S. 4°. K: Berlepsch 21 Okt. J: Berlepsch Nr. 7. B: IV. Abt., IV, Nr. 1. A: IV. Abt., IV, Nr. 40. 5,29 die Arbeit, die Ferne] nachtr. H 6,7 sanftere] nachtr. H 26 Brief-] nachtr. H 32 Schreibfinger] aus Hand H 37 niederschlägt] zerschlägt K 7, 1f. und Ihr Urtheil unterschreibend] nachtr. H

Die am 21. September von Schottland zurückgekehrte Emilie wünschte dringend, Jean Paul zu sprechen, und hatte ihn gebeten, zu ihr nach Redwin zu kommen oder sie in Braunschweig oder Celle zu treffen; nach Berlin wolle sie erst in einigen Monaten kommen, damit es nicht heiße, es geschehe seinetwegen. 6, 1ff. Sie hatte ihm Vorwürfe gemacht wegen seiner Trennung von der Feuchtersleben: „ich kann Sie jezt noch weniger entschuldigen, als ich es einst — Sie wissen wohl wann — gethan!“ 9ff. Sie hatte eine Heirat Macdonalds mit seiner Kusine Cecilia eingefädelt, wobei sie die dritte im Bunde sein wollte (wie Bd. III, 47,4–6), und Jean Pauls Urteil darüber verlangt. 31ff. Sie hatte im Hinblick auf den Kontrast des schlichten Charakters ihres jetzigen Hauswirts (ihres demnächstigen Gatten Harmes) zu dem hochfliegenden Macdonalds gemeint: „Das, was man Genie nennt, ist ein eingefleischtes Teufelchen, das nur mit den Flügeln schlagen und den Nerven einen Veitstanz geben, aber eben keine Freude, noch Liebe, noch Ruhe dulden kann. In Ihrer Brust freilich ist es zum Engel geworden — obgleich — nein, nein! so ganz Engel ist es auch sogar da nicht, wie Figura zeigt.“ 7, 1 Ihr Urtheil über Weimar: s. Bd. II, zu Nr. 707.