Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Hof, 10. September 1785.
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Hochzuverehrender Herr Pfarrer,
Ich habe Ihnen hier drei Titel beigeleget, von denen keiner wahr ist
als blos der mitlere: denn da Sie reiten, einen Sporn tragen
und 171,30
Billiard spielen und raffiniren; so sind Sie kein
Geistlicher. Übrigens
hoff’ ich, daß unser neuliches
Hahnengefecht — in England bewafnet
man die Hähne, eh’ man sie auf einander hezet, mit Sporen —
keinen von uns dauerhafte
Wunden gekostet haben möge: wäre aber 172,1
dennoch eine bei Ihnen
noch nicht zugeheilet, so biet’ ich Ihnen meine
Hausapotheke an, wiewol es besser wäre, wenn Sie lieber freudig
in
den Teich zu Bethesda sprängen.
Um ein gutes Buch zu machen, mus ein guter Autor da sein; aber 172,5
es nur zu bessern, dazu gehöret blos ein mittelmässiger — Eier
legen
kan nur eine Henne, aber sie ausbrüten und reif machen, das kan
auch
Hühnerkoth, das kan ein Hund und ein Kapaun. Ich erinnere
Sie an die Erlaubnis, die Sie mir versprochen, Ihr
Hühnerkoth sein
zu dürfen; ausser der Hausapotheke, die ich
Ihnen oben angeboten, 172,10
steht Ihnen also noch ein
Brütofen für Ihre Raffinerien zu Diensten.
Solten Sie auch noch nicht viel von Ihrem Buche zu Stande
gebracht
haben: so werden Sie doch wenigstens — Nichts fertig
haben; und um
dieses ersuch’ ich Sie.
Ich bitte Sie, schikken Sie mir nur auf eine kurze Zeit meine Ab-
172,15
handlung über die vielen
Religionen zurük: sobald ich sie werde
gebraucht haben, sollen
Sie sie wieder haben, um sie besser zu brauchen.
Meine dritte Bitte ist um folgende Bücher:
Grazians homme de cour. 172,20
Alexander ab Alexandro de genialibus diebus.
La bibliotheque choisie de Le Clerc. T. I.
Nikolai’s Reisen. Fünfter Band.
Leben Sie so wol als wenn Sie in Utopien wären. Ich bin mit vol172,25
kommenster Hochachtung
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Hof, 10. September 1785. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_113
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Brit. Museum. 2½ S. 4°; auf der 4. S. Adresse wie zu Nr. 97 und Kopie von Vogels Antwort von dessen Hand. K: H. Pf[arrer] Vogel. Sept. 10. J 1: Wahrheit 3,338×. J 2: Nachlaß 3,255. A: IV. Abt., I, Nr. 44. 172,11 ihnen
171,32 Das Hahnengefecht scheint nach A auf der „Birke“ bei Schwarzenbach (s. Nr. 378†) stattgefunden zu haben; vgl. 173, 27f. 172, 4 Der Teich Bethesda bei Jerusalem hatte nach Joh. 5,2ff. Heilkräfte. 5–8 Vgl. 135, 16–21. 19 „ Vergleichung des Zustandes und der Kräfte des Menschen mit dem Zustande und den Kräften der Tiere“, aus dem Engl., Frankfurt a. M. 1767. 20 Baltazar Gracian, „L’homme de cour“, traduit de l’Espagne par Amelot, Paris 1684. 21 Alexander ab Alexandro (Alessandri, ca. 1461—1523), „Genialium dierum libri VI“ (1522). 22 „La Bibliothèque choisie de Jean Le Clerc“, 28 vol., Amsterdam 1703—13; Exzerpte daraus im 9. Band von 1785. 23 Friedr. Nicolai, „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781“, 12 Bände, Berlin u. Stettin 1783—96. (5. Band 1785.) 24 Vgl. 137,15.