Von Jean Paul an Eleonore Louise Reitzenstein (Reizenstein). Hof, 18. Dezember 1785.
Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.
[Kopie]
Ich sehe in der That nicht ein, warum ich diesen Brief mit so vieler
Schüchternheit anfange und ich glaube, sie schikt sich hier
nicht genug.
Vielleicht wenn ich an eine Dame schriebe, die
einigen Werth auf die 182,30
bunten Spielmarken des Umgangs,
nämlich auf die Titel sezte: oder
wenn es gar an eine wäre,
welche es dem Elende verübelte, daß es zu
ihr seine Zuflucht
nähme: dan müste man mit besonderer Angst einen
Brief an sie
anfangen oder ihn gar nicht schreiben; leicht könte man die
erstere beleidigen, wenn man sie nicht nach dem gewöhnlichen Münz183,1
regal verehrte, und die andere würde es gar nicht anhören,
daß man
eine Bitte ihr vortrüge. Aber da ich das Glük habe an
eine Dame zu
schreiben, die ihren Werth nicht vom
Addreskalender entlehnt, die sich
durch ihren Geist und durch
ein Herz, das fremde Noth fühlet und er183,5
leichtert, über die gewöhnlichen erhebt: so wäre Zaghaftigkeit
Beleidigung, wenn ich Ihnen folgende Bitte meiner Mutter vor-
zutragen wage. Sie ist durch eine Reihe von
unglüklichen Zufällen in
eine harte Lage versezt worden; noch
härter sind die Personen, die ihr
helfen könten: dieses wird
sie vielleicht entschuldigen, wenn sie es wagt, 183,10
an Sie
die unterthänige Bitte etc. zu thun; wiewol auch die Hälfte der
Summe sie aus ihrer gegenwärtigen Noth erlösen würde. Möchten Sie
sich des Vaters dessen, der dieses schreibt, erinnern, um eine
Bitte, die
die Noth seinen Hinterlassenen abdringt, wenn nicht zu
gewähren doch
zu verzeihen! Vielleicht hat selbst der Ton
dieser Bitte eine Verzeihung183,15
vonnöthen. — Mit einer
wehmüthigen Empfindung, die man hat,
wenn man eine schäzbare
Person zum lezten male sieht, und mit den
wärmsten Wünschen
für eine Dame, die die besten verdient, mach’ ich
diesem zu
langen Briefe ein Ende etc.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Eleonore Louise Reitzenstein (Reizenstein). Hof, 18. Dezember 1785. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_128
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: An d[as] gewesene Fräulein v. Plotho den 18 Dezemb.
Luise Eleonore, die einzige Tochter des Freiherrn Erich Christoph von Plotho auf Zedwitz (1707—88) und seiner Gemahlin Charlotte Wilhelmine Eleonore, geb. Freiin von Bodenhausen (1721—80), der Patronatsherrin von Jean Pauls Vater in Joditz und Schwarzenbach, war seit 7. Febr. 1783 mit dem Kammerherrn Georg Christoph von Reitzenstein (1753—1840) auf Konradsreuth verheiratet. (Die Ehe wurde später geschieden.) Jean Paul gedenkt ihrer in seiner unvollendeten Selbstbiographie (II. Abt., IV, 105, 25 ).