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Korrespondenz

Von Jean Paul an Albrecht, Christian und Christoph Otto. Hof, 26. Dezember 1785.

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[ Hof, 26. Dez. 1785 ]
Vorrede zu meiner Festtagszeitung, in einen vernünftigen Brief an Sie eingekleidet, den Sie sämtlich lesen müssen.
Lieben Freunde!

„Ich wil sezen — sagte ich, als ich heute aus dem Bette fuhr — ich „wolte heute etwas Geschiktes an Sie sämtlich ablassen: so würde es „mir an Einkleidung und Materie gänzlich fehlen: du lieber Himmel! „du hättest mir aber einen geschikten Traum bescheren sollen; den „hätte ich für meinen eignen verkauft, stat daß Herr W. seine für „himlische ausgiebt, und alles wäre ganz wol gegangen.“

Da sich heute ausser dem Teufel iedes Wesen freuet, wenn es kein Fürst ist: so hab’ ich mich wirklich gleichfals freuen wollen und in der That labt mich dieses Geschreibe auch sehr, an dem Sie sämtlich wie ich sehe, sich nicht genug vergnügen können. O ihr Geistlichen alzumal! ihr laufet herum, den Siz des Paradieses aufzufinden: komt doch her zu mir und betrachtet das Narrenhaus, in das ich iezt gegangen, zur Genüge: hier sizet das Paradies und, lieben Freunde! es sei daß man närrisch ist oder daß man sich so stellet, welches man Laune nent, so ist man in beiden Fällen ausnehmend glüklich.

Anfangs wolte ich Ihnen von diesem und ienem schreiben — ich wolte auf diesem Papier über erhebliche Gegenstände in der Heraldik mich glüklich herauslassen und den Brükner in einer schlechten Note zitiren und erheben — ich wolte eine sehr gute Predigt an Sie halten und in dem Eingange mich selbst, in iedem Theile aber einen von Ihnen bekehren, so daß hernach wir alle nimmer hätten verdamt werden können — ich wolte Ihnen ein glükseliges neues Jahr, desgleichen daß Sie dieses und noch viele folgende in stetem Wolsein etc. wünschen; aber wie ich sah, so ist das neue Kircheniahr schon vor vier Wochen angegangen — ich wolte Ihnen sehr danken und warlich das hätt’ ich thun sollen; aber Sie verkennen mich ia nicht — ich wolte den Galgen verdienen und dem H. D. Joerdens etwas Ausnehmendes über die Bruchbänder ohne Bedenken entwenden — ich wolte endlich eine Höfer Zeitung schreiben. Und das hab’ ich auch wirklich gethan; und so volführet, daß ich und andere dabei mich sehr loben können. „Wie, „sagt’ ich, London hat seine Daily Post, Paris seine Nouvelles à la „main und Wien sein Neuigkeitenblat im Manuskript? Mich dünkt, „Hof solte etwas ähnliches haben und man findet glüklicher weise an „mir den Man, der sich ganz dazu schikket.“

Und lieben guten Freunde! bedenken Sie noch das ganz unpartheiisch, daß ich nicht nur, wie es scheint, ein ausgemachter Atheist bin sondern auch sicher nichts gelernt habe: wie bin ich so im Stande, der Stadt Hof, wenn ich nicht ein anderes Mittel ergreife, wahre Ehre zu machen? Hingegen wenn ich der Zeitungsschreiber dieser alten und vernünftigen Stadt werde: so dürft’ ich wol für meinen und für ihren Ruhm aufs beste gesorget haben.

Überdies sind Sie alle wirklich da und sehen umsonst, da die Feiertage den Zeitungsschreibern die Federn nehmen, auf eine politische Zeitung auf; daher bin ich auch da und schreibe eine wolgerathene Festtagszeitung; daher sind sogar auch Hasen da, auf die ich meine Feder losschiesse und welche mir der H. Landeshauptman in einer Werkeltags- und Intelligenzzeitung nicht zu iagen gestatten kan; so wie die Jäger troz des Jagdverbotes an Festtagen dennoch Hasen erlegen dürfen, die man Festhasen nent. Hier komt aber der Pürsch wagen selbst!

Höfer Festtagszeitung.

Die Nachricht bestätigt sich leider, daß gestern der Teufel den Amtsburgermeister Barnikel wirklich geholet. Er wolte gerade sich wie ein ehrlicher Man anstellen; als der Teufel hineintrat und ihn dermassen erschrekte, daß er, um sich in die Gunst des bösen Feindes zu sezen, geschwind that als ob er ein ausgemachter Bösewicht wäre. Dieses nahm den Satan für ihn ein und daher hat man es zu erklären, warum, da in der Schuldverschreibung Leib und Seele demselben verpfändet war, der Teufel mit sich handeln lies und so weit von seinem Rechte nachlies, daß er sich wirklich nur mit dem schlechtesten Theile des Pfandes abspeisen lassen, nämlich mit der Seele des Burgermeisters. Diese nahm er sogleich mit fort; in den Körper aber sezte er auf solange bis er verfaulen würde, einen woldenkenden und rechtschaffenen Teufel als einen curator bonorum ein. Heute wird derselbe mit seinem neuen Körper in die Kirche gehen...... Jederman beklagt die Verdamten, welche wol schon in der peinlichen Geselschaft der gedachten Seele leben müssen.... Man kan den bösen Feind in der Vorstadt noch merklich riechen.

Vor 4 Monaten starb ein grosser Edelman auf seinem Raubschlosse und gab in Frieden seinen frommen — Körper auf. Einige suchten bei seinem Tode wirklich über ihn zu weinen; allein sie konten nicht, da sie schon bei seinen Lebzeiten genug über diesen guten Man geweinet hatten.

Am heiligen Abende kam die Silberflotte alhier endlich an und die hiesige Kaufmanschaft wurde ihres Goldes und Silbers mit merklichem Gewinst gegen gutes Kupfer los. Unaufhörlich schrie man in den ansehnlichern Kaufläden: „für einen Kreuzer Gold! noch für „zwei Pfennige Silber!“ kurz dieser Metalle waren so viel, daß man damit gar die Äpfel und Nüsse, wie zu Salomons Zeiten die Gassen belegte; und man zweifelt ob man bei diesem unerwarteten Überflusse künftig noch unsere Kreuzer annehmen wird.

Das Gerücht, daß vorgestern sich in der Klostergasse drei Gespenster sehen lassen, die einander führten, wird völlig wiederrufen: denn einer, der ihnen mit der Laterne nachschlich, fand, daß es nur drei — Damen waren. Hoffentlich wird aber eine einsichtsvolle Polizei in die Sache sich mischen und die gedachten Damen dahin bescheiden, daß sie sich künftig, um niemand in den 12 h. Nächten mehr furchtsam zu machen, niemals zeigen als nur am Tage.

Die Madame X. wurde als schwanger gotloser Weise beim Stadtvogt angegeben; sie hat aber ihre Unschuld glüklich ins Licht gesezt und demselben gezeigt, daß die ganze Sache nur ein ganz neumodischer cu de Paris von vornen wäre. Man hat Ursache zu glauben, daß es mit allen unsern Damen, die nach der Mode sich tragen, auch nicht anders ist.

Wenn die Nachricht wahr wäre, daß der hiesige Rath sich fest entschlossen habe, offenbar vernünftig zu werden: so würde wol der iüngste Tag noch vorher erscheinen und der gedachte Rath würde vernünftig werden, indem er verwandelt würde.

Verschiedene woldenkende und wolredende Personen alhier werden den H. Christoph Otto, der gar thut als ob er Wein hier anbrächte, schnel abreisen lassen. Die Muthmassung, daß er ganz und gar kein Kaufman ist, leidet nun wol keinen Zweifel mehr, seitdem es sich immer mehr bewähret, daß er wirklich oft was weggeschenket und daß er überhaupt — welches wol das schlimste ist, was man einem Kaufman vorwerfen kan — den Menschen den Vorzug vor dem Gelde lässet.

Von einem gewissen Satiriker alhier, der gewisse hiesige Honorazioren für närrisch ausgab, hat man zum Glükke vernommen, daß er selber närrisch geworden; und man wil wünschen, daß diese frohe Nachricht zu keiner Erdichtung werde.

Unter die hiesigen Stadtsoldaten werden von Zeit zu Zeit hart geräucherte Stökke ausgetheilet, damit sie mit diesen ihre Flinten vertheidigen möchten und könten, wenn sie ihnen etwan iemand mit Gewalt nehmen wolte.

Der H. Kandidat Richter, der durch seine Amtslosigkeit allerdings hier den Tadel der vernünftigern Personen selbst verschuldet hatte, ist einen bessern und gewis rühmlichern Weg zu seinem Fortkommen eingeschlagen und Höfer Zeitungsmacher geworden. Die erste Probe seiner Zeitung ist so ausgefallen, daß sie ihm zur grösten Ehre ge reicht und daß man die Fortsezung derselben algemein wünschet.

P. S. Da die besten Rechtslehrer zu einem guten Pasquil das Bestreben, es auszusäen und den Namen zu verhehlen, verlangen: so kan mir wol Karl der fünfte wenig anhaben und ich bleibe bei Ehre und beim Leben.

[Adr.] Höfer Festtagszeitung an die Sämtl. Ottoischen.
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Albrecht, Christian und Christoph Otto. Hof, 26. Dezember 1785. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_133


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 133. Seite(n): 184-188 (Brieftext) und 469 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: BB, Nachlass Jean Paul, Fasz. 13 b. 6⅓ S. 4°; auf der 8. S. Adresse. K (nach Nr. 134) ohne Adressat u. Datum; 187, 22–25 nachtr. nach Nr. 135 mit der Überschrift: Noch zur Zeitung. i: Wahrheit 4,23. 184,29 zu meiner] zur Höfer K 185,2 geschikten] glüklichen K 8 alzumal] insgesamt K 27 Höferfesttagszeitung K 28 ich bis können] es mir und Hof zur grösten Ehre gereicht H 34f. nicht nur … sondern auch] aus sowol … als H K 186,7 Landeshauptman] W. K 15 wie ein ehrlicher] als ein rechtschaffener K Teufel] böse Feind K 25 Heute wird derselbe] Dieser wird heute nachmittags K 29 Vorstadt] aus Altenstadt H 30 grosser] alter K 31 frommen] davor woldenkenden K 187,1 Am heiligen Abende] Gestern K 8 unsere] die schlechten K 9 vorgestern] in der vorigen Nacht K 10 führten] an den Händen geführet K 16 als] für K 17 glüklich ins Licht] völlig ins Klare K 26 woldenkende und wolredende] einsichtvolle K 31 schlimste] erschreklichste K 188, 9f. mit Gewalt] verb. in wider ihren Willen K 12 ist] hat K 14 und] und ist K 17 besten Rechtsgelehrer H, grösten Rechtsgelehrten K

Aus den Varianten zu 187, 1 und 9 ergibt sich, daß K auf den 1. Weihnachtstag fällt, H einen Tag später; trotzdem ist K wahrscheinlich Kopie, H also wohl eine zweite Fassung. Vgl. das „Höfer Vierzehntags-Blatt“ II. Abt., III, 65—75. 185,3 f. Wahrscheinlich der Hofer Superintendent Weiß, vgl. 173, 4f. 8–13 Vgl. II. Abt., III, 295,11–18. 16 Brückner: vgl. 145, 4†. 22 Das Kirchenjahr hatte am 11. Nov. 1785 begonnen. 34 Als Atheist war Richter in Hof verschrieen, seit er auf dem Gymnasium einmal das Dogma von der Göttlichkeit Christi bekämpft hatte (Wahrheit 3,46ff.); vgl. Nr. 197. 186, 7f. Der Landeshauptmann von Weitershausen hatte 1783 das Höfer Intelligenzblatt begründet. 14 Amtsburgermeister Barnickel: vgl. 44, 11†. Es gab in Hof vier Bürgermeister, die alle vier Monate abwechselten. Auf Barnickel war auch Hermann schlecht zu sprechen, s. Schreinert S. 51; er war Modell für den betrügerischen Heimlicher von Blaise im Siebenkäs . 187, 11 drei Damen: vgl. 207 , 7 . 188 ,7–10 Vgl. I. Abt., VI, 229,24–26. 11f. Amtslosigkeit: vgl. I. Abt., I, 320, 11–13 .