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Korrespondenz

Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Leipzig, 9. Oktober 1781.

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Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr, Hochzuvererender Herr Pfarrer,

Verzeihen Sie, daß ich schon wieder schreibe; so wie Sie mir werden verziehen haben, daß ich neulich so lange nicht geschrieben hatte. Immer hoff’ ich auf Ihren Brief, der vielleicht schon unterweges ist, vielleicht auch von diesem erst seine Existenz erhält. Hier schikk’ ich Ihnen den Katalog von den Büchern, die den 27 Oktob. werden veraukzionirt werden. Ich werde mich freuen, wenn Ihnen recht viele Bücher darunter gefallen, und wenn ich etwas zum Wachstum der Bibliotek beitragen kan, die mir soviel Nuzzen, soviel Vergnügen verschaft hat. — Neuigkeiten giebt’s hier nicht viel; wenige, die man mir sagte; keine, die Ihre Aufmerksamkeit verdienten. — Folgende Anekdote möcht’ ein Beitrag zum Rume der Inskripzionendeuter sein. Linguet, der iezt in der Bastille sizt, erzält sie in seinen Annalen. Zu Beville fand man einen Stein mit dieser Inschrift aus lesbaren, römischen Buchstaben:

I. C. I. L. E. C. H. E. M. I. N. D. E. S. A. N. E. S.

Man schafte diesen Stein mit vielen Unkosten nach Paris, um ihn der Deutung der Hern Akademisten von der Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften zu unterwerfen; man ernante Kommissarien; diese hielten Sessionen; man zog die berümtesten Hieroglyphendeuter zu Rate; man tat alles, was Gelerte tun, um sich als Gelerte zu zeigen; allein man erriet den Sin nicht. Ein Küster von Montmarre war neugierig, diesen Stein zu sehen. Kaum hatt’ er ihn erblikt, so erklärt’ er den Sin desselben. Dieser Stein nämlich war lange an der Ekke eines Hauses gestanden, welches an einem Kreuzwege liegt, wo man vorbei mus um zu den Gypsgruben zu gelangen. Bei diesem Hause waren zween Wege; einer für die Wagen, und ein kürzerer für die Esel. Diesen lezten nun solte diese Hieroglyphe anzeigen, nämlich:

ICI LE CHEMIN DES ANES.

Das wäre nun auch einmal eine menschliche Torheit; aber eine gelerte: deswegen schäzzen wir sie, wie die Tartarn den Kot ihres Dalai Lama. —

Sie versprachen mir gütigst, mich mit Ihren Briefen zu beeren, und mir in denselben Aufklärung über verschiedne Materien zu verschaffen; Sie gaben mir die Hofnung, daß Sie die Anmerkungen über die geringen Übungen im Denken, fortsezzen wolten — vielleicht brauch’ ich Sie nur um das eine zu bitten, und an das andre zu erinnern, um beides zu erhalten. — Empfelen Sie mich Dero vortreflichen Gattin. Sezzen Sie zu den Gütigkeiten, die Sie mir erwiesen haben, noch die gröste derselben hinzu, Ihnen noch oft in Briefen dafür — danken zu dürfen. Ihre gütige Antwort erst versichert mich, ob ich würdig war, Ihre Liebe zu haben; ob ich’s noch bin, um sie zu hoffen, und mich zu nennen


Ew. Hocherwürden
Leipzig, den 9 Oktob. 1781.
gehors. Diener J. P. F. Richter

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Leipzig, 9. Oktober 1781. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_14


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 14. Seite(n): 21-22 (Brieftext) und 424-425 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Brit. Museum. 3 S. kl. 4°. K (Konzept): VII. An Hern Pf[arrer] Vogel in Rehau den 7 [aus 5] Oktob. J: Nachlaß 3,199. Vgl. Wahrheit 3,14. Gestr. Anfang: Die Erwartung eines Gutes giebt uns mer Vergnügen als der wirkliche Genus desselben — ich würd’ also nach diesem Sazze Ihre Briefe lieber erwarten, als sie empfangen, wenn Ihre Briefe nicht die — Ihrigen wären, d. h. wenn sie nicht iede Erwartung vielfach überträfen. K 21,16 Ihren Brief] Ihre Antwort [gestr. auf meinen lezten Brief] K 19 werden.] danach gestr. Es ist die Bibliotek des verst. Hommels. K 22,5 um bis 6 zeigen] aus die sich von Kleinigkeiten nären K 12 Esel] danach deren man sich zu dem Transport häufig bediente K 16 Lama’s. danach gestr. Ich glaub’ es ist überhaupt ein besondres Ding, was man Torheit nent. Die können nicht von ihr reden, die sie nicht zu haben glauben; die können etwas darüber sagen [?], die sie gehabt zu haben bekennen. Vielleicht ist Torheit dem Menschen so notwendig wie Atmen zum Leben — sie scheint ein Begleiter ieder auszeichnenden Eigenschaft, eine Erholung für den grossen Man, und nicht selten die Freude [?] eines u[ngewönlichen?] Menschen zu sein. Was ist Torheit? nichts als das Ungewönliche, welches sich nicht durch Grösse rechtfertigt. On est un fou, parcequ’ on n’est pas fou de la folie commune, et celui est cité comme bête qui n’est pas bête de la bêtise commune, sagt Helvezius so war, so schön........ K Helvetius, De l’esprit III (1768), S. 117; vgl. II. Abt., I, 250,32f., 251,4f., 423, Anm. zu 216,17.

Vogels Brief vom 23. Sept. 1781, der der Mutter zur Beförderung übergeben war, kam erst Anfang November in Leipzig an, s. Nr. 17 und 20.