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Korrespondenz

Von Jean Paul an August Gottlieb Meißner. Hof, 7. März 1786.

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Wolgeborner, Hochzuverehrender Herr Professor,

Inzwischen würd’ ich, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, es auch sehr wol überlegen, ob ich es am Ende verdienet, einer geworden zu sein. Denn da alle Wesen aus Vorzügen und Mängeln bestehen; so begehret man von einem Professor am ersten, daß er beide an sich zu vereinen wisse und nicht ganz entblösset von den besten Fehlern eines Gelehrten sei z. B. von leerer Wortkentnis, Kriechungsgeist etc.: man hat aber viele Ursache zu besorgen, daß Ihnen diese leztern völlig mangeln. Sind Sie überdies ganz gewis, daß Sie Ihren neuen Posten nicht vielleicht einem Manne weggenommen haben, der gänzlich dazu ungeschikt gewesen wäre? Ich wil es nicht wünschen; denn in diesem Falle würde er wirklich diesem gehöret haben, weil es hierin bei einzelnen Personen gar nicht anders als bei ganzen Völkern ist, wo nach Lessing das ungebildete Judenvolk die Bildung der übrigen Völker zu besorgen hatte. — Dazu sind Sie iezt auf einmal wirklich im Himmel, welches in vielen Rüksichten äusserst gut sein mag. Denn in was sezen die grösten und längsten Philosophen den Himmel anders als in einer [!] Vermehrung der alten Tugenden mit neuen und was ist die Belohnung eines guten Herzens anders als die Verbesserung desselben? Sie dürften es mithin schwerlich läugnen, daß Sie mit einem neuen Himmel belohnet worden, da Sie in der That iezt so vielen Unterricht ertheilen können, welches die katholischen Lehrer unter die Tugenden und die 7. Werke der Barmherzigkeit zu zählen pflegen.

Doch ich lasse den Voitüre; und wünsche Ihnen aufrichtig, ohne Dekorazion und Zierbuchstaben, zu Ihrer neuen Stelle Glük, so wie denen, deren Lehrer Sie geworden. Wer wirklich Gutes zu thun sucht, den mus es mehr freuen, an einem Orte zu sein, wo er das Licht erschaffen mus, als an einem, wo er es nur sehr vermehren könte. Ich gäbe aber verschiedenes darum, wenn nicht mit iedem Vergnügen die Nachgeburt eines Misvergnügens verknüpfet wäre: was hilft es z. B. Ihnen, daß Sie das Vergnügen erlanget, ein Professor geworden zu sein? Der Nachtheil komt leider bald genug hinterdrein, indem ich nämlich wirklich eine Bitte an Sie thue. Hier send’ ich Ihnen Satiren, die noch im Stande der Natur sind, weil ich mich, so lange ich noch keinen Verleger habe, ans Poliren derselben nicht bringen kan. Daß Sie ihnen einen zuführten, da es in Prag doch wol leichter ist, wäre meine zwote Bitte; und meine erste, daß Sie selbige zu beurtheilen würdigten. Kein Verleger, das bin ich überzeugt, nimt sie auf das Wort seines eignen Geschmakkes an, weil diese Leute insgesamt nur für die possenhafte Kranzische Satire stimmen; aber vielleicht thut es einer doch, wenn er sieht, daß sein Geschmak dem Ihrigen widerspricht.

Meine dritte Bitte ist, daß Sie mir, sobald als es Ihre vermehrten Geschäfte verstatten, zu schreiben die Güte haben; und meine lezte, daß Sie mir sie alle verzeihen. Leben Sie wol und glauben Sie stets, daß ich immer mit der grösten Hochachtung bin


Euer Wolgeboren gehors. Diener
Hof im Voigtlande den 7 März 1786.
J. P. F. Richter

N. S. Was macht meine Satire über die menschlichen Tugenden?

Verte.

Nachnachschrift: eben da ich das Paket auf die Post schikke: hör’ ich, daß man hier nach Prag nur das Drittheil frankiren kan. Ich wil Sie also blos mit diesem Briefe geplaget haben und ich hoffe, daß Sie meine zwote Bitte vielleicht ohne das Paket befriedigen können.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an August Gottlieb Meißner. Hof, 7. März 1786. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_154


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 154. Seite(n): 200-201 (Brieftext) und 473-474 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Kat. 706 Stargardt (13./14. März 2018), Nr. 155 . K (nach Nr. 150): An Meißner 7 [aus 8] März. i: Wahrheit 4,58. J 1: Ost und West, 1840, Nr. 1×. J 2: Alfred Meißner, Rococo-Bilder, Gumbinnen 1871, S. 69× (falsch datiert 7. Febr. 1787). A: EB 39. K weist viele kleine Varianten auf. 200,10 sehr] aus ser H 12 begehret] fodert K beides K 18 wünschen] hoffen K 19 gehöret] gebühret K 27 dürften es] können K 201,1 erschaffen] davor gestr. hervor H 17 lezte] vierte K

Meißner war im Herbst 1785 von Dresden nach Prag berufen worden als Professor der Ästhetik und der klassischen Literatur. 200, 21f. Lessing: in der „Erziehung des Menschengeschlechtes“ (1780); vgl. I. Abt., IV, 94,3–5, XII, 76,1f.