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Korrespondenz

Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 9. März 1786.

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Lieber Oerthel,
201,30

Deinen Hudibras hätt’ ich dir eher geschikt; aber ich konte ihn den
Ottos, die ihn bei mir sahen, nicht abschlagen … Der Trogenprediger,
bei dem ich schon zweimal war, hat mir den Fontenelle mitgegeben....
Der Pfarrer Gehring, der bisher, wie sogar seine Feinde behaupten,
ein schlichter prosaischer Nar gewesen, hat sich sehr vervolkomt und 201,35

ist ein poetischer geworden: die „Geistes-Unterhaltungen zur Bildung 202,1
und Belustigung, in ganz neuen Fabeln und Erzählungen“ sind nun
auf seine eigne Kosten — seines Beutels nicht weniger als seines
Ruhms — glüklicher Weise in diese elende Welt getreten und sind so
beschaffen, daß sogar der Verfasser selbst sie stets mit erneuertem 202,5
Vergnügen wieder lesen kan. Der Kaffeewirth Knol und der Terzius
haben das Debit derselben aus den besten Absichten wirklich unter
nommen. In den Gedichten selbst sind einige Pasquille auf verschiedene
Leute in Hof befindlich; die Vorrede aber sol, wenn ich ihn recht fasse,
eines auf ihn selber sein. Gehring komt seit dieser Herausgabe oft nach 202,10
Hof und ist der Meinung, daß zwischen Verwunderung und Be-
wunderung in der That ein schlechter Unterschied ist; in Plauen hat er
mit eignen Händen soviel Exemplare abgesezet, daß er oft gewünschet,
mehrere mitgenommen zu haben. — Kurz sie sind so schlecht, daß die
Leute hier, die ihren guten Geschmak nicht durch Empfindlichkeit für 202,15
die grösten Schönheiten erhärten können, ihn nun durch den Abscheu
vor den grösten Fehlern erweisen zu können das Vergnügen haben.


Solche kurze vergnügte Stunden wie neulich bei dir, werd’ ich mir
öfters stehlen und ich werde bald wieder auf einen Tag zu dir laufen,
um zugleich den 2ten Theil der Geschichte der Wissenschaften von 202,20
Meiners dir mitzubringen, den du mir so schnel wie es scheint schikken
wirst als du ihn wieder begehrest. — Den Trogenprediger hast du in
Rüksicht des Herzens nicht zuviel gelobt; aber sonst hast du mich nach
geahmet. Du kanst dich nämlich darauf verlassen, daß ich von iedem,
den ich lobe, die Sache offenbar (zuweilen mit Bewustsein) iedesmal 202,25
übertreiben werde: ich glaube, den untermischten Tadel meines
Bekanten alzeit durch vergrössertes Lob wieder vergüten zu müssen. —


Hast du den Schubart durchgelesen?

Lebe wol, einziger Freund meiner Seele, der mich am besten kent
und bei dem allein ich das Fade, das Oberflächliche, Unmittheilende 202,30
und Zusammenengende des Umgangs nicht fühlen darf.


Es ist schlim, daß Schnee da ist; aber wenn du nicht auf dem
Schlitten iezt komst, so ists noch schlimmer und wenig zu sagen eben so
schlim, wie diese Antithese.



Hof den 9 März 86.
Richter

[Adr.] Herrn Herrn Adam von Oerthel in Töpen. Mit 3. Büchern.
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 9. März 1786. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_155


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 155. Seite(n): 201-202 (Brieftext) und 474 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 2 S. 4°; auf der 4. S. Adresse. J 1: Wahrheit 4,61. J 2: Nachlaß 2,325. 202,27 alzeit] aus nur

201, 31 Hudibras: von Samuel Butler (1663—78); vgl. I. Abt., I, 229,33. 33 Bernhard von Fontenelle, „Dialogen über die Mehrheiten der Welten“, deutsch von Mylius mit Anmerkungen von J. E. Bode, Berlin 1780; Exzerpte daraus im 10. Band von 1786; vgl. Nr. 220. 202, 1f. Das Machwerk erschien Frankfurt 1786; vgl. Nr. 153†. 6 Knol: den Namen hat Jean Paul später in den Flegeljahren verwendet. Tertius am Hofer Gymnasium war 1781—87 Joh. Adam Gack (Weißmann Nr. 3091). 20f. Christoph Meiners, „Geschichte des Ursprungs, Fortgangs und Verfalls der Wissenschaften in Griechenland und Rom“, 2 Bände, Lemgo 1781—82; Exzerpte daraus im 8. Band von 1785. 28 Schubart: wohl nicht der Dichter, sondern der Ökonom Joh. Chr., Edler von Kleefeld (1734—87); vgl. I. Abt., XII, 29, 29 †.