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Korrespondenz

Eintrag in ein Stammbuch. Von Jean Paul an Johann Bernhard Hermann. Töpen bei Hof, 20. März 1788.

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[ Töpen, 20. März 1788 ]

N. 1148. Alg. deutsche Litteraturzeitung Jena den 20 März 1788 Vermischte Schriften Stambuch. Olim meminisse juvabit Hermannum. Ohne Drukort und Verleger in Queerduodez.

An diesem Werkgen arbeiteten mehrere Verfasser, Leute aus allen Ständen, Wissenschaften und Geschlechtern, um durch Mannigfaltigkeit das Lesepublikum völlig zu bestechen. Rezensent ist es sich und andern schuldig, die wesentlichen Mängel nicht zuzuhüllen, an die er sich darin sties und die es von andern Stambüchern nicht zu seinem Vortheile unterscheiden. Er nahm es wahrhaftig nicht in der festen Absicht in die Hand, es schlecht und völlig ohne Zoten zu finden: allein es ist nur gar zu klar, daß nicht Eine darin sizt und daß also der erste Zwek eines Stambuchs (denn die Liebe brauchte vor Erfindung des Papiers Bäume zu Stambüchern und schnit Namen und Seufzer hinein) die Wahrheit zu sagen schlecht erreicht ist. Welchen geringen Begrif von der Keuschheit der Verfasser noch überdies dieser Purismus geben mus, weis der Moralist gut genug: denn die überladne Natur mus sich selbst helfen und wie gewöhnlich eine Sekrezion durch die andre ersezen und wer es vernachlässigt, seine Zunge wie beim Zorn hierin zum Ventilator und Erdbebenableiter zu machen, der ist sehr schlim daran. Einer der sich daran gewöhnt hat an einen solchen Abszes, weis, wenn er Einen Tag ausbleibt, gar nicht mehr selbst zu bleiben. — Es mus dem Publikum misfallen, daß dieses Stambuch, das eine Polyglotte, wenigstens Hexapla von Sprachen sein solte, nicht einmal Einen hebräischen Buchstaben aufzeigt, der übrigen morgen[ländischen], afrikanischen, amerikanischen Sprachen gar nicht zu gedenken. Ich habe mit Verwunderung fruchtlos nach einem Quodlibet im Buche herumgeblättert und muste den [?] Band ausser demselben für eines annehmen. — Ein zweiter Jammer ists, daß die Arbeiten im theologischen Fache darin so sehr fehlen, daß einer schlecht fahren würde, der das Stambuch zu einem Spruchkästlein zu brauchen wünschte. Sowenig Rezensionen so wie die ersten Grundsäze alles Denkens eines Beweises fähig oder bedürftig sind: so glaubt doch Rezensent, zumal da er zugleich Selbstrezensent ist, seinen Tadel mit einem Beispiele belegen zu müssen und er hebt dazu das nächste aus, das noch darzu nicht das elendeste ist:

„Wirds (sagt der H. Verfasser) mein guter Herman, wol der Mühe werth sein, zwischen Erinnerung und Vergessenheit, zwischen Vergnügen und Schmerz einen Unterschied zu machen und mir die erste und dir das zweite zu wünschen, in einem Traum- und Theaterleben wie diesem mein’ ich, in dieser dunkeln Ekke des Universums, in einer Welt, die der kleinste Zähler einer bessern ist, in einer hypochondrischen, in einer verwitternden, zerstöhrten und zerstöhrenden, in einer wo man im 24 Jahr noch nicht in Weimar sizt, in einer wo du dich weg nach Erlang verlierst, in einer wo dein Kopf vol Avtochthonen Ideen und Systemen auf einem unsystematischen kranken Körper wächst, in einer wo glaub’ ich die Stadtpf[arrer] nicht besser sind als die Landpf[arrer], in einer wo alles im Wechsel zerfährt, meine Lustigkeit auf dem Nebenblatte, Oerthel und zur Hälfte einmal


Dein Freund?“
Zitierhinweis

Eintrag in ein Stammbuch. Von Jean Paul an Johann Bernhard Hermann. Töpen bei Hof, 20. März 1788. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_212


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 212. Seite(n): 236-237 (Brieftext) und 486 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K (nach Nr. 210) ohne eigne Überschrift. i: Wahrheit 4,163.

Vgl. Nr. 73. 237, 25f. Hermann ging im April 1788 zur Fortsetzung seines Studiums nach Erlangen.