Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Töpen bei Hof, 15. November 1788.
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Ich könte diesen Brief in 3 Worte fassen: aber in 300 ists besser; Lange machts in seinem geistlichen Recht, welches Sie nebst meiner närrischen Wenigkeit noch vor dem Abzuge nach Arzberg sehen sollen, auch so, ob er gleich in den Sachen vortreflich ist.
Wenn der h. Antonius den Fischen und Dominikus den Eseln predigte: so werden Sie in Arzberg diese Heilige in 1 Person vereinen und glüklich sein, wenn der Kaplan zu den leztern und der Superintendent zu den erstern Thieren gehört. Trogenprediger glaubt das leztere nicht; Wunderlich wird ieder Heterodoxie auflauern sagt’ er, und Ihnen Ihre Kiele ausrupfen wollen weil Sie seinen Kiel gemeistert, sag’ ich.
Da heute wieder für mich Ziehungstag aus Ihrer Bücherlotterie ist: so wünscht’ ich, das Glüksrad (das sonst 10 Menschen rädert eh’ es einen höher fährt) drehte mir folgende Bücher heraus:
N. S. Lesen Sie im Casaubon die Anmerkung des Chrysostoms p. 209. Zuerst sind 4 Evangelisten bestellet, damit aus der Harmonie ihrer Aussagen die Wahrheit derselben vorspringe — dan sol wieder ihre Disharmonie den Verdacht der Verabredung abwenden; von welchen 2 Vortheilen man unmöglich beide, sondern nur einen behalten kan, weil einer den andern aufhebt. Der Vortheil der Disharmonie sinkt auch darum unter, weil scheinbare und nur auf Nebenumstände eingeschränkte Disharmonie darum nicht mehr den Verdacht der Verabredung ausschliesset als irgend eine völlige Harmonie. Kasaubon bringt bei, iene gehe nur Nebenumstände, nicht die Hauptsachen an: aber ich möchte wissen, aus was anderem die Haupt sache einer Geschichte bestehe als aus allen Nebenumständen zusammengenommen und in was anderem eine wahre Erzählung von einer falschen sich unterscheide als in den „circumstantiis“. Denn völlige Erdichtung der evangelischen Geschichte wolte ia auch noch niemand erweisen, und die Hauptsache derselben noch niemand läugnen: sondern nur Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüche derselben nebst den unendlichen Folgerungen daraus wolte man ans Licht treiben. En lisant tout cela, votre femme commenceroit hair ma religion aussi bien que mes cheveux coupés; ce que je ne veux point du tout.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Töpen bei Hof, 15. November 1788. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_235
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Brit. Museum. 2¾ S. 4°; auf der 4. S. Adresse wie zu Nr. 196. K (nach Nr. 236): An Vogel in Rehau den 16 [!] Nov. J 1: Wahrheit 4,207. J 2: Nachlaß 3,263 ×. A: IV. Abt., I, Nr. 87. 250,9 Bahrds] aus Bahrts H 10 hafte] stehe K 11 Philosophie] Metaphysik K meiner Person] meinem Wesen K 21 eine Frau] Weib K 251,3 unterscheide] aus unterschiede [?] H
249,27 Heinr. Arnold Lange, „Das geistliche Recht der ev.-luth. Landesherren und ihrer Unterthanen in Deutschland“, 2 Teile, Kulmbach 1786; Exzerpte daraus im 15. Band von 1788/89. 28 Vogel war zum Pfarrer in Arzberg berufen worden. 250, 1 Joh. Georg Wunderlich (1734—1802), seit 1782 Superintendent in Wunsiedel, orthodox; Vogel hatte sich in den „Raffinerien“ (I, 316) über ein Gedicht lustig gemacht, das Wunderlich unter das Bild seines Vorgängers Esper (s. 5, 5†) hatte setzen lassen, und das mit den Versen schloß: „So müsse denn mein Kiel bei seinem Ruhme schweigen, / Er kann hier nur sein Bild — nicht Espers Größe zeigen.“ 7 Joseph Toaldo, „Witterungslehre“, aus dem Ital., Berlin 1777; vgl. 251, 19f. 8 Jakob von Mauvillon, „Sammlung von Aufsätzen über Gegenstände aus der Staatskunst“, 2 Teile, Leipzig 1776—77. 9 K. Fr. Bahrdt, „System der moralischen Religion“, 2 Bände, Berlin 1787; Vogel übersandte das Buch, das er als „Unterschied zwischen Religion und Moral“ bezeichnet, mit der Bitte um Noten über die wichtigsten Stellen. 15 „ Horus oder astrognostisches Endurteil über die Offenbarung Johannis usw.“, Ebenezer (Halle) 1783 (von Chr. Ernst Wünsch). 20 Vogels Schrift über den Evangelisten Johannes erschien erst 1801; s. Jean Pauls Brief an Otto vom 11. Mai 1801. 22 Anspielung auf den Zukunftsroman „L’an 2440“ von L. S. Mercier (1770); vgl. II. Abt., II, Einl. S. XIV.