Von Jean Paul an Sophie Rosine Richter. Leipzig, Juli 1782.
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Ich bin weniger darüber erschrokken, daß mein Bruder ein Soldat
ist, als daß Sie sich darum so sehr ängstigen. Freilich wär’ es
besser,
wenn er bei seinem Metier geblieben wäre; aber doch,
wenn man bedenkt, 46,10
wie liederlich er immer war und wie
er immer selbst verursachte, daß
ihn kein Herr lange behielte,
wenn man dies bedenkt, so ist der Schaden
so gros nicht. Denn
Sie irren Sich sehr, wenn Sie den Soldatenstand
für etwas
verächtliches halten. Sind denn nicht Edelleute, Grafen,
und
Fürstensöhne Soldaten? Ein Soldat ist etwas bessers als ein 46,15
Barbier. Der Adam kan wol ia auch avanciren, wenn er lang ist
und
sich gut aufführt. Ist ia der alten Fr. Pfarrerin in Ködiz
ihr Sohn
auch einer, und hat es iezt vielleicht besser und bequemer als
ihr Sohn
der Pfarrer in Ködiz. Ein Soldat hat es selbst im Kriege besser
als
andre Leute; die müssen sich plündern lassen und können
sich mit nichts 46,20
gegen ihren Feind verteidigen, allein
ein Soldat nicht. Mein Bruder
wirds nun auch wol bleiben. Aus
dem Himmel und der Hölle ist keine
Erlösung. An Werber hilft
also alles Schreiben nichts. Denn auf den
komt es gar nicht
mehr. Hier hat nur der General etwas zu sagen. Ein
Brief hilft
soviel als nichts, zumal da er im Dienste des Landesherren 46,25
ist. Schreiben Sie meinem Bruder, daß er sich gut aufführt; für
das
Übrige wird Got sorgen. Und kümmern Sie Sich ia nicht so
ser darüber;
es ist doch nicht zu ändern, und legen Sie nur die
falschen, verächt
lichen Begriffe vom
Soldatenstand ab, ohne den der Staat gar nicht
bestehen kan. —
Nun zur Beantwortung des übrigen Briefs. — An 46,30
den
Pfarrer in Rehau kan ich wegen vielerlei Ursachen nicht schreiben.
— Sobald nach Hof werd’ ich wol nicht kommen. Vielleicht zu
Ostern;
zu welcher Zeit ich vielleicht auch, ich weis es aber noch
nicht gewis,
die Universität Göttingen beziehen wil. Es ist
aber sehr ungewis, das
Leztere. Übrigens müste ich ia doch eine eigne Stube für mich
haben bei 46,35
Ihnen; und das wäre auch ein Anstos.
Vielleicht aber könt’ ich auch in
Zeltens Haus eine kleine
Stube gemiethet bekommen, wo ich zu Ihnen
47,1
im Schlafrok ab und zu gehen könte. Doch bis Ostern ist noch
lange. —
Der Ovid ist in Töpen; ich hab ihn selbst den Örthel
einpakken sehen.
Die Kammerrätin Örthlin weis ihn nur nicht von andern Büchern zu
unterscheiden; aber der Örthel wird ihr’s schon noch einmal
schreiben. —47,5
Was den Kaffee anbetrift, so wolt’ ich Ihnen
ihn gern schikken; aber —
nicht daß ich ihn nicht
herauszubringen wüste, wie Sie schreiben —
sondern ich kan ihn
nicht kaufen. Mein Geldmangel ist so gros wie der
Ihrige. Ich
borg’ halt darauf los. Und kan nicht anders. Wenn nur
mein
Mittel anschlägt, wie ich hoffe; aber freilich ist es nicht so gleich 47,10
geschnelt. Höchstens in vier Wochen ist es mit meinem Mittel
ent
schieden, und da weis ich gewis, ob
ich Geld habe oder nicht. — Über
haupt hat
mir der Rektor in Schwarzenbach lauter Lügen von Leipzig
weisgemacht, und wenn ich mir nicht selbst zu helfen gedächte,
so wür
de[n] mir wol keine Informazionen
helfen, weil man keine kriegt. — 47,15
Nur gut daß ich völlig
gesund bin. Ist Samuel von den Blattern wie-
der besser? Und wie stehts denn mit meinen
Brüdern? was wird denn
aus ihnen? vielleicht nichts. Sehen Sie doch, daß wenigstens
Gotlieb
wo ankömt; er ist ia schon so alt. Lassen Sie
[ihn] ia nicht studiren.
Wer nicht viele Gaben hat, der lasse es unterwegens, wenn er
kein47,20
Geld hat. — Was Ihre Bücher anbelangt, so geben
Sie sie dem
Vierling wieder, er wird sie schon annehmen; aber
freilich müssen Sie
sie ihm nicht so theuer verkaufen, als er sie meinem seligen
Vatter
verkauft hat. Lassen Sie etwas nach, und so wird er sie
annehmen.
Leben Sie wol. Schreiben Sie bald und kümmern Sie
sich nicht so 47,25
gar sehr, da Sie mit allem Ihrem Kummer
nichts geändert und
immer der Gesundheit geschadet haben. Ich
bin
P. S. Keinen Mangel an Papier hab’ ich nicht. Aber warum sol
ich auf Einen Bogen schreiben, was auf einen Viertelsbogen geht.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Sophie Rosine Richter. Leipzig, Juli 1782. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_28
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 2 S. 4°. J: Wahrheit 3,312×. 46 , 8 weniger] aus mehr 17 alten Fr.] nachtr. 20 andre] davor ein 33 es] er 47,15 mir] aus mich
Schneider (S. 241) setzt den Brief in den Anfang des Jahres; vgl. aber 47, 3 (Ovid) mit 49, 35 und 46, 32–35 mit 52, 4f. 46, 17–19 Mit der Familie des Pfarrers Christian Hagen in Köditz (1698—1776) waren Richters in der Joditzer Zeit befreundet, vgl. II. Abt., IV, 103ff.; einer der Söhne, Joh. Gottlieb, geb. 1744, war 1776—89 Nachfolger des Vaters. 24 kommen für ankommen auch sonst bei Jean Paul, z. B. 117, 30f. und 334, 1f. 47, 1 Zelt: Bäcker in Hof. 22 Der Buchhändler Joh. Gottlieb Vierling in Hof war schon am 18. Jan. 1782 gestorben.