Von Jean Paul an Dorothea Friederike Wirth. Hof, 3. März 1790.
Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.
Sie wollen, ich sol aus einem schlechten Propheten ein schlechter Dichter werden. Ich wil aber lieber ein schlechter Briefsteller werden und Ihnen stat der Verse Träume liefern. Sie sind am ganzen Übel schuld; denn hätten Sie nicht vorgestern mit mir über die Beulwizische und Richtersche Poesie gesprochen: so hätt’ ich vorgestern nicht folgenden Traum in meinem Bette gefunden.
Mein Traum warf mich zwei Stunden weit, aus meiner Stube in die Beulwizische. Sie können gewis sein, daß ich vorgestern in Töpen war; denn ich hörte den alten Oerthel und seinen Spizhund zanken und beide belten einen Betler an. Ich und der Beulwiz und seine Frau sahen dabei vom Fenster herunter. Eh’ ich weiter erzähle, mus ich anmerken, daß Beulwiz ganz vernünftig war, und es kam mir deswegen oft im Traume vor, ich träumete gar: denn er zog seine Weste nicht öfter (ich verzählte mich nicht) als 33 mal hinunter und die Achseln eben so oft hinauf und er sah und suchte im Spiegel blos nach der Frau v. Beulwiz, nicht nach dem H. von Beulwiz. Und er hat Recht: es ist besser, in ieden andern als in sich verliebt zu sein.
Die Abendsonne beschien das Traum-Kleeblat, besonders die Frau v. B. so schön, daß ich ihren Ehe-Souverain, den B., zum erstenmale in meinem Leben beneidete. Jezt fielen Sie mir ein: „Wenn die Sonne „vor 4 Wochen so geschienen hätte (sagt’ ich): so hätte ich auch meine „prophetische Wette nicht verloren und die Frau Postmeisterin könte „keine andere Gedichte von mir begehren als Hölty’s seine.“ Er fragte, wie Sie sich befänden — ich sagte, diese Frage hätt’ er und seine Frau längst und öfter an Sie selbst thun sollen, und Sie wären eine wahre Freundin seines Betragens und seiner Verse: „ich wolte nur (fügt’ ich „hinzu), ich hätte eine so lange poetische Pulsader wie Sie!“ Kurz — denn sonst erzähl’ ich Sie in den Schlaf hinein, aus dem ich erzähle — in 3 Minuten waren wir eins, Sie zu betrügen; er solte die Verse hecken und ich wolte sie, wie Wezel in Bayreuth, für meine ausgeben. Nun sagt’ ich ihm vor (ich mus das im Schlafe laut gesagt haben, weils meine Mutter am Morgen alles mir wieder erzählte), was ungefähr in das Gedicht hinein solte: „erstlich (sagt’ ich) ein Decken„gemälde des traurigen Februarhimmels, dessen Wolken nicht blos „die Sonne raubten, nicht blos die Wette, sondern mehr, ach mehr! in „Göttingen und Hof — ferner müssen Sie zwei Wägen in Ihren „Versen machen, einen für die Frau Postmeisterin und ihre schöne „Nachahmerin und einen für den Richter — auf dem erstern fahren Sie „beide schnel nach Bayreuth und noch schneller nach Hof; machen Sie „in Ihren Versen (ich thu’ es in meinen Prophezeiungen) das schönste „Wetter dazu und die Märzenluft so sanft als das ist, was sie berührt „und zerstöhren könte; säen Sie um beide in Bayreuth einen Blumen„flor von Freuden, aber da sie leichter vergessen können als vergessen „werden, so nehmen Sie den Bayreuthern unser schönes Darlehn „wieder so bald als möglich — Sie können in Ihren angenehmen „Versen auch einen Wagen für den H. Postmeister anspannen, damit „er die Krankheit verfahre und auf der Reise vergesse, daß zwei Lieb „linge auch auf der Reise sind — der dritte Wagen, der mein ist, zerret „mich nach Schwarzenbach weg aus meinen zwei liebsten Häusern, „giebt mir iezt stat 7 schöner Abende wöchentlich nur 1 und lässet mir „von so vielen davongeflatterten Vergnügungen nur den Dank und die „Erinnerung, die der Nachsommer der menschlichen Freude ist; aber „um meinen Wagen und um meine Haut können Sie so schneidendes „Wetter machen als Sie wollen — endlich flicken Sie Ihrer poetischen „Epistel noch ein poetisches Postskript an die M. Renata an, in dem „Sie ihr melden, daß, wenn sie in Bayreuth singt, spricht und gefält, „ich und andere es nach Hof nicht hören können und daß man von „gewissen Menschen, die 16 Jahre alt sind, lieber 16 Schritte als „16 Stunden entfernt ist.“ — Der arme Beulwiz poetisierte sich halb todt an seinen Versen: überhaupt dürfen Sie diesen Bogen nur gegen das Fenster halten, so finden Sie das Traumkleeblat von Töpen ab gebildet darauf. Nach einer ganzen Stunde kam er mit einem ganzen Bogen Verse: „er ist fertig“ sagte er und meinte den Bogen.
„Er ist fertig“ sagte mein Samuel und meinte den Kaffee und brachte mich um meinen Schlaf und Traum und ganzen Bogen Verse, so daß ich Ihnen bis auf diese Stunde keine Zeile schicken kan; aber der Samuel ist schuld, nicht der Beulwiz.
Indes könt’ ich Ihnen doch in Versen nichts sagen als was ich in Prose eben so gut sagen kan daß ich mit der lebhaftesten Hochachtung für Ihren Werth, und mit der lebhaftesten Dankbarkeit für Ihre Gefälligkeit bin
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Dorothea Friederike Wirth. Hof, 3. März 1790. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_308
Kommentar (der gedruckten Ausgabe)
SiglenH: Rudolf Brockhaus, Leipzig. 4 S. gr. 4°. K: An Postmeisterin Wirth. 2 [!] März. i: Wahrheit 4,233. J: Täglichsbeck S. 11. 283,28 Spiz K 284,5 meinem] seinem K 7 prophetische Wette] Wette und meinen Kredit K die bis 8 seine.] dürfte keine Verse auf die Fr. machen K 14 solte] aus wolte H K 21 zwei Wägen] 3 Wagen K 26 als] wie K 28 Freuden] Vergnügen K 31 anspannen] zimmern K 35 Abende] Tage K 285,2 flicken] so K, fliken H 3 dem] so K, der H 4 melden] darthun K 5 ich und andere] wir K nicht] unmöglich K 8 tod K
Der Postmeister Wirth (s. zu Nr. 295) war seit 29. Aug. 1773 in dritter Ehe verheiratet mit Dorothea Friederike, einer Tochter des Geh. Kammerrats Seidel in Bayreuth, geb. 23. Nov. 1743, gest. 14. Jan. 1808. Es hat sich ein Brief von ihr an Jean Paul erhalten. 283,23 Wahrscheinlich Hauptmann von Beulwitz, Gutsbesitzer in Töpen, der mit einer geb. von Reitzenstein verheiratet war. 28 Oerthels Spitzhund: vgl. I. Abt., V, 220,22. 284,8 Höltys Gedichte: vgl. zu Nr. 302. 15 Gottlieb Friedr. Wilh. Wetzel, Kammersekretär in Bayreuth, Lyriker und Lustspieldichter. 19—21 Im Februar war in Göttingen Hermann gestorben, in Hof ein Kind des Postmeisters Wirth (s. zu Nr. 295) und am 22. dessen Bruder, der Poststallmeister Georg Friedr. Aug. Wirth. 23 Nachahmerin: wohl Renate Wirth. 32 Krankheit: Podagra, s. 322, 26. 34 Die zweiliebsten Häuser sind wohl das Wirthische und das Ottoische. 35 Richter kam von Schwarzenbach jede Woche einmal nach Hof. 285, 6 Renate wurde am 9. März 1790 15 Jahr alt. 8—10 Das Wasserzeichen des Briefbogens stellt einen Tanzbären mit Führer oder Führerin, daneben einen Flötenbläser dar. Dem Wasserzeichen nach stammte der Brief bogen aus der Papiermühle Cracau bei Wilthen (Sachsen).