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Korrespondenz

Von Jean Paul an Christian Otto. Schwarzenbach a. d. Saale, 24. Dezember 1790.

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[ Schwarzenbach, 24. Dez. 1790 ]
Meine akademische Rede bei der Aufnahme eines neuen Mitgliedes in die Akademie der Antisaturnopolitaner.Die Akademie, zu deren Mitglied man dich aufgenommen, besteht iezt aus 2 Man (oder Mängen), dir und mir — ich halte die Rede und über dich wird sie gehalten und an uns beide.
Meine Herren!

Wenn ich uns beide so nennen kan. Es ist mir und dir, oder Ihnen recht wol bekant was ich wil und was ich neuerlich gelesen, zwei antisaturnopolitanische Aufsäze nämlich. Da es meine Rede-Pflicht ist, unser neues Mitglied zu loben: so wil ichs zwar thun so gut wie ein anderer; aber ich wil vorher nur mit 2, 3 maligem Eintunken bezeichnen, wo es bei ihm hapert.

Ich tadle seinen eignen Tadel. Wozu so eine närrische Bescheidenheit, die schlim wäre, sie möchte aufrichtig oder nur höflich sein? Wozu die Benennung „elende Schulprogramme“ etc., wenn sie auch zum Theil humoristisch ist? — Der Verfasser gegenwärtiger Rede ist zwar auch bescheiden und sehr; aber er weis sich auch wieder zu loben, wo mans erwartet.

Zweitens kan man mit einem Dintenfas niemals zufrieden sein, aus dem so etwas schlechtes und leserliches kömt als die — Dinte des seinigen ist. Denn es sol sympathetische sein; sie ist aber so elend ausgefallen, daß ich verschiedne Worte, ohne vorhergehende Manipulazion, habe lesen können.

Sonst ist nichts. Des historischen Aufsazes Einleitung von 3 Seiten ist mit soviel Geschmak, Humor und Leichtigkeit geschrieben, daß Sie, meine 2 Herren, wünschen werden, er gäbe ganzen Abhandlungen diese Melodie. Da es einen ausgeschriebnen Styl wie eine ausgeschriebne Hand giebt: so hat der immerwährende Sekretair im Namen der ganzen Akademie wol einiges Recht, die Aufsäze, deren Geburt iener Styl voraussezt, haben zu wollen. Was noch nicht geboren ist, mus der H. Verfasser nach den Gesezen unsrer Akademie zu zeugen eilen; er mus aber nicht passen bis die Akademie tod ist. Amen!

Die Rede genierte mich. Am meisten nüzt und gefält mir dein Distinguieren, das der Geschichte so nöthig und ungewöhnlich ist als es der Theologie schädlich und gewöhnlich war. — Schade daß ich bei deinen Aufsäzen nicht deine Kritik erwiedern kan und daß ich dabei meine Exzerpten weniger brauchen als vermehren kan. — Fahre ia fort; du wirst mir einmal danken, wenn du einen Stos Arbeiten vor dir stehen siehest, zu dessen Zeugung ich dich wie die Bienenweibgen die Bienenmängen zu ihrer anreizte. — Apropos! schreibe deine Bemerkungen über meine „Unsterblichkeit der Seele“ auch auf. — Du soltest 1000 Fragen vornehmen: bei welchen Beweisen einer bei den Römern pro prodigo erklärt wurde und warum überhaupt das un begreifliche Gesez de prodigis; wie bei uns Privatverbrechen und -strafen zu öffentlichen wurden; durch welche Uebergänge die Sklaven zu Bauern und die Aemter zu Regierungen wurden; nach welcher Regel, mit welchen Einschränkungen und mit welchen Abwechselungen die Kaiser wie ich bei meinen Scholarchen, von Stadt zu Stadt hausierten ....... mach nur recht viel.

Für deine Homische Kritik mus ich dir sehr danken. Sie gewöhnt mir selber welche an und den abscheulichen Fehler aller schlechten Autoren ab, daß man irgend einer Schönheit alle andre Schönheiten aufopfert. Z. B. Sonst bracht’ ich dem Wize und dem Lakonismus alles zum Opfer dar, iezt der Laune und scheere mich um die Unschiklichkeiten daraus nichts. Meißner stimt und hämmert blos Wolklang und Lessingsche Resonanz in seine Sachen. Da Schiller noch ohne Ge schmak schrieb: so bekleidete, nicht bekränzte er alles mit Blumen — er fühlte sicher die Nachtheile daraus für die Karakterzeichnung so gut als seine Scharf- und Kunstrichter, aber er sezte sich darüber hinweg. — Am Ende mus einer wenn er viel schreibt, zum Geschmak kommen.

Dein am meisten richtiger Tadel des Zerstreueten stelte mein sizendes Original in die rechte Entfernung vom Maler. Ich dachte gar nicht darin, daß der Zerstreuete sich selbst nicht kennen mus und blos die Es-Szene war Dessein. Jezt hab’ ich ihn ordentlich ausgeschaffen und ein Paar neue Szenen dazu gethan. Bei der einen must’ ich 9 mal aufstehen und abbrechen, weil mir sehr lächerliche Dinge den Athem nehmen; und so gehts mir leider allemal, daß ich im besten Machen über der Einwirkung des Komischen Puls und Athem verliere. Ich werd’ einmal an einem rechten Spas sterben, lieber Otto, und seht nur auf meinem Schreibtisch nach.

Kritisiere immer weitläuftiger fort und schreib die Gründe bei.

Deine Schwefel-Paste vom Quartus-Gesicht werd’ ich wirklich zu nichts brauchen können als einmal zu einem Plagiat; irgend einer Satire (und wärs die von Fälbels Primaner-Reise) häng’ ich dieses Medaillon um.

Fahre fort, so antisaturnopolitanisch zu leben, so zu schreiben, so zu reden, so zu denken und so mein Oertel zu sein, mein guter Otto.

Am heilig[en] Weihnachtsabend.

Streiche sogleich mit Dinte bei Alternativen die eine aus in der neuen Edizion des Zerstreueten und der Trinkunität.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Christian Otto. Schwarzenbach a. d. Saale, 24. Dezember 1790. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_351


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 351. Seite(n): 314-316 (Brieftext) und 517 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 4 S. 4°. K: Den 24 Dez. J: Nerrlich Nr. 3×. B: IV. Abt., I, Nr. 119. A: IV. Abt., I, Nr. 120. 314,13 aufrichtig] aus wahr H 19 leserliches] aus unleserliches H 31 eilen] aus suchen H 315,28 sizendes] nachtr. H

Otto hatte zwei von ihm verfaßte Aufsätze — „elende, langweilige, weitschweifige Programme“ — geschickt, deren einer eigentlich für das „Saturnopolische“ (d. i. Höfer) Intelligenzblatt bestimmt gewesen sei, aber nicht gedruckt werde; nur Richter solle ihn lesen, „weil es mir wohlthut, dich von der ganzen Welt und von dem ganzen Saturnopolis zu trennen“. (Die Bezeichnung Saturnopolis für Hof hatte Richter in der vierten der Anfang Dezember 1790 an Otto geschickten satirischen Übungen geprägt, s. II. Abt., III, 309.) 314, 18—22 Vgl. 206, 4—6. 315, 7 „Unsterblichkeit der Seele“: die Abhandlung „Über die Fortdauer der Seele und ihres Bewußtseins“ (II. Abt., III, 339—360), deren erhaltene Handschrift zwar vom Juli 1791 datiert ist, die aber sicher schon früher konzipiert und teilweise ausgeführt war; vgl. 322, 21f. 14 Vgl. 265, 28. 16ff. Ottos Kritik der sechs satirischen Aufsätze hat sich nicht erhalten. Henry Homes „Elements of Criticism“ (1762, deutsch von Meinhard 1765) werden schon in den Teufels-Papieren gerühmt (I. Abt., I, 419,4f.). 21f. Meißner: vgl. Vorschule der Ästhetik, § 76 (I. Abt., XI, 258,26—31). 27—36 Die „Schilderung eines Zerstreueten“, die später zu „Freudels Klaglibell“ ausgearbeitet wurde, war der fünfte der an Otto geschickten Aufsätze (II. Abt., III, 312—317); die neu hinzugefügte Szene, die dem Verfasser den Atem nahm, ist die der mißglücktem Gastpredigt (I. Abt., V, 197—199; vgl. XI, 107,27—34). 316, 1 Quartus am Hofer Gymnasium war 1780—91 der spätere Rektor Joh. Theod. Benj. Helfrecht (Weißmann Nr. 3979), der wahrscheinlich manchen Zug für den Rektor Fälbel geliefert hat (s. I. Abt., V, Einl. S. XXV). 9 Trinkunität: wahrscheinlich die im 14. Sektor der Unsichtbaren Loge verwendete Burleske von den fünf betrogenen Betrügern (I. Abt., II, 109—111).