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Korrespondenz

Von Jean Paul an Johann Georg Gottfried Doppelmaier. Leipzig, 4. April 1783.

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[Konzept, am Schluß Kopie]

[ Leipzig, 4. April 1783 ]

Ihr Ruf mag die Zudringlichkeit entschuldigen, womit ein Unbekanter Ihre Freundschaft sucht. Die Rhetorik der Höflichkeit würde mir mit vielen Entschuldigungen aushelfen; allein ich verlange mer aufrichtig als höflich zu sein; und stat aller derer, die die Etiquette lügt, wäl’ ich die einzige, die mir mein Herz diktirt: ich möchte Ihr Freund sein. Diesen Wunsch werden Sie mir vergeben, one mich zu kennen; Sie werden mir ihn vielleicht erfüllen, wenn Sie mich kennen. Diesen Brief begleitet ein Buch, für das Sie den Schriftsteller genug belonen, wenn Sie es lesen, und den Menschen, wenn Sie ihm antworten. Ich gleiche mit meiner Bitte um einen Brief ienem Schneider, der von Farinelli, dem man seinen harmonischen Atem mit einem Herzogtume lonte, seinen Arbeitslon nicht in Geld, sondern in Gesang forderte; ein Fal, den ein verschuldeter Poet umsonst wünscht. Die Bitte war sonderbar; die Erfüllung derselben war es nicht weniger. Der Man, der keinem freigebigen Grossen sang, sang dem Schneider — so wie Sie mir schreiben werden. Die Feler meines Buchs werden Sie an meine Jugend erinnern; sie hat sie verursacht — aber sie entschuldigt sie vielleicht auch. Mit den geistigen Kindern ists nicht wie mit den leiblichen. Bei diesen gilt der Spruch: „Ruben meine erste Kraft etc.“ bei ienen aber ein andrer: „die ersten werden die lezten sein“, und nicht blos die Adern sondern auch die Produkte des Jünglings enthalten mer Serum als Kruor. Vielleicht läst sich der Weinstein an den Zänen meines Kindes noch wegfeilen; vielleicht kan ich seinem Tode noch [durch] Heilung zuvorkommen. — Übrigens lert ia der grosse Katechismus Lutheri, daß die Wiedergeburt das Kind von der Sünde reinigt, die ihm der Vater mitgeteilt. Scholion: ein Autor drükt das durch eine scharfe Kritik abgedrungne Versprechen, sein Buch zu verbessern, gewönlich mit einem edlen Zorn so aus: „Ich wil es auch vertilgen“; eben so wie nach dem N. T. das Auge ausreissen nichts sagt als es beherschen. — In 4 Monaten schikk’ ich Ihnen vielleicht seinen Bruder, der one gut zu sein —

Die ersten Briefe an eine Person sind immer die schlechtesten und selbst der Anfang eines Schreibens ist schlechter als das Ende desselben. Die Freiheit im Denken zeugt nicht blos die guten Bücher, sondern auch die guten Briefe. Nichts ist aber intoleranter als die Etiquette und einen Diogenes, der in Versailles gewesen, würd’ ich in der Bastille suchen.

Die Dankbarkeit diktirt mir allerlei Empfelungen an Ihre Freunde, die auch sonst die meinigen waren, und vorzüglich an die, mit der Sie die Wonung teilen; aber die Höflichkeit verbietet es mir, Sie damit zu belästigen. Doch ihr werd’ ich eine einzige nicht aufopfern, seitdem ich im Schwedenborg gelesen, daß im Himmel die Engel, welche einander geelicht, nur einen einzigen ausmachen. Der gute Man irt sich, er verwechselt offenbar den Himmel mit der Erde. — Doch ich mus meinem Briefe und Ihrer Langweile ein Ende machen etc.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Johann Georg Gottfried Doppelmaier. Leipzig, 4. April 1783. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_36


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 36. Seite(n): 61-62 (Brieftext) und 436-437 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K (Konzept, am Schluß Kopie): 4. Den 4. April. i: Nachlaß 4,233×. Voraus gehen offenbar nicht verwertete Anfänge: Fast möchte ich Sie bitten, diese Seite, eh’ Sie sie gelesen, umzukeren und auf der dritten den Namen des „Endes Unterzeichneten“ zu suchen. Sie würden dan diesen Brief, dessen Veranlassung so ziemlich.... [gestr. Das Urteil Ihrer Freunde lies mir Ihre] Die Wünsche, von denen nichts in Erfüllung geht als ihr Gegenteil oder das was man verschweigt. –/ Wir werden einander stat von Person durch Briefe bekant; wie Fürsten sich [ver]heiraten mit denen, deren Bildnis, aber nicht deren Person sie kennen. 61 , 3 Ihr Ruf mag] aus Mit Ihrem Rufe mögen Sie 7 diktirt] aus sagt 8 Diesen bis 15 forderte] nachtr. anstelle von Die Mittel, dieses Glük einmal zu verdienen, versprech’ ich mir erst von einer nähern Bekantschaft mit Ihnen, welche dieser Brief anfängt und künftig, wenn Sies erlauben, fortsezen sol. / Meine grönländ. Prozesse schikk’ ich Ihnen mit dem eigennüzzigen Wunsch, dafür durch einen Brief belont zu werden. Mein Buch müssen Sie mit einem Brief bezalen. Farinelli … lies sich von einem Schneider ein Kleid verfertigen. Er forderte … Gesang. 15 Die bis 16 weniger.] nachtr. anstelle von Der Schneider bestand auf dieser sonderbaren Forderung, die endlich Farinelli erfur und — erfülte. 26 Übrigens bis 30 aus:] nachtr. anstelle von Scholion: Wenn sonst ein Autor, aus Überzeugung von den Felern seines Manuskripts, die Verbesserung desselben versprechen wil, so drükt er dieses so [aus] 34 bis zum Schluß nachtr., der letzte Absatz zum Teil erst in Nr. 38 verwandt (s. 65, 8f.) 62 , 3 Empfelungen] aus Empfindungen 10 am Schluß gestr. Leipzig den

Der Adressat ergibt sich aus 60, 30; vgl. Wahrheit 3,234, Schneider S. 256, Schreinert S. 6. Dr. med. Joh. Georg Gottfr. Doppelmaier (1753—1826), aus Hof gebürtig, seit 1776 als Arzt in Schwarzenbach tätig (nach Fikenscher auch in Hof, vgl. 149, 10f.), wanderte bald darauf nach Rußland aus (s. 63, 4f. u. 141, 28), wo ihn Ignaz Aurelius Feßler 1811/12 als Kollegienrat in Wolsk und als „einen Mann von derber Deutschheit“ kennenlernte (s. Feßlers „Rückblicke auf seine 70jährige Pilgerschaft“, 1824, S. 356). Daß Richter schon früher mit ihm bekannt geworden, wie Schneider (S. 52) annimmt, scheint nach diesem Brief nicht zuzutreffen; vgl. aber 64, 1. Nach Schreinerts Feststellung schrieb er sich Doppelmair. 61, 21 Spruch: 1. Mos. 49,3. 33 Ergänze: besser als der erste sein wird; vgl. 53, 2–5, 67, 5f., 111, 31. 62, 4f. Doppelmaier war seit 23. Sept. 1781 ver- heiratet mit Friederike Karoline Sophie Eleonore, verw. von Schirnding, geb. von Schlammersdorf aus Weimar; vgl. 157, 6f.