Edition
Korpus
Korrespondenz

Von Jean Paul an Amöne Herold. Ohne Ort, 12. Februar 1793.

Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



Am Fastnachtsmorgen. 93. [12. Febr.]

Der Sontags Abend war das stürmende Aequinokzium, das allemal den Uebergang von einer Jahrszeit in die andre macht und auf das jezt der stillere sanfte wolkenlose vom Julius und Januar gleich weit entfernte Nachsommer erfolgt. Meine Vorwürfe und Launen sind jezt geendigt und Ihre Plagen. Ich konte Sie nur misverstehen, weil ich Ihnen Widersprüche zutrauete — und diese kont’ ich nur zutrauen und verzeihen, weil ich selber (wenigstens in leidenschaftlichen Stunden) daraus bestehe. Z. B. mein gröster ist, daß allemal in der ersten Nacht nach einem Sontage mein Blut noch höher fortsiedet — und daß es in der zweiten erkaltet. Ich war nie am Montag vernünftig, aber am Dienstag wurd’ ichs allemal. Gestern wars noch mein fester Entschlus, Hof lange, und Sie noch weit länger, nicht zu sehen; und heute dank’ ich dem Himmel, daß ich noch niemand mein Wort darauf gegeben als blos einem, um den ich mich gar nichts scheere — nämlich mir selbst. Also an dem Fastnachtstage, wo andre Leute ihre Narheit anfangen, beschliess’ ich die meinige.

Es wäre aber eine blosse Fortsezung derselben, wenn ich meinem ersten Entschlusse, Sie nicht zu sehen, folgte. Ich würde dan nicht blos viele fremde, und meine eigne Freuden zerrütten, Zusammenkünfte stören und alle schöne Oerter fliehen müssen: sondern dieser Entschlus wäre nichts als eine verstekte Absicht, mich zu rächen und Sie zu quälen — — Das wil ich nie, das kan ich nie, das hat die Person nie verdient, die mir so viele schöne Stunden gegeben und der ich nichts vorzuwerfen habe als — meine Ungenügsamkeit. — —

(Ich ersuche Sie, mir im Konzert dieses Blat zurükzugeben, weil in Ihrem Hause weder schriftliche noch mündliche Geheimnisse eine Freistätte haben.)

Mein zweiter Entschlus war, Sie zugleich zu sehen und zu vergessen, meine Augen und meine Worte in Schnee zu vergraben, in den Stellen des verlornen Paradieses gleichgültig herumzugehen und zu sagen, es war gar keines da — — Ach das kan ich noch weniger als gar nicht kommen: wenn ich nur eine elende Konzert-Anglaise hörte, wenn ich an einem Sommerabend neben Ihnen stände, wenn ich einen Gesang hörte oder wenn nur zufälligerweise in mir der Traum aufstiege „so war es sonst nicht“: dan würde mich die Vergangenheit mit ihren magischen Qualen niederdrücken, ich würde von allen weggezognen Tagen noch einmal mit vollen Augen Abschied nehmen und ich würde zu viel leiden — — Nein! Sondern es bleibe lieber wie es war d. h. ich habe nichts verloren als meine Auslegungen. Die bisherigen Zeichen Ihrer Freundschaft dauern fort und ändern blos die Bedeutung, die ich in sie legte; Sie sind die Henriette gegen mich (Jakobi[s] Sch[ri]ft[en]), die zwar nicht im Werthe aber doch im Verhältnis einen Woldemar an mir findet. — Auch ich brauche mein bisheriges Betragen nicht zu ändern, da Sie ihm sonst die Auslegung gaben, die ich dem Ihrigen versagte. Und wenn ichs auch brauchte, so könt’ ich nicht; und ich hoffe, Sie und das Schiksal werden mich zu keinem neuen Riß und nicht zum ersten Entschlusse verurtheilen.

— — So reichen Sie mir denn noch einmal Ihre gute Hand über das Paradies herüber, dessen Mauer mich von Ihnen trent. Aber es wäre Lüge, zu versichern, daß die Vernunft das mit ihrem Wasser ausgiessen werde, was höchstens die Zeit almählig zertragen und zerbröckeln kan — — Es war blos Unsin der Empfindung, zu versichern daß ich nur die Wahl hätte zwischen Has und Kälte — Es ist noch jezt Unwahrheit, zu versichern, daß ich eh ich noch alle unsre Gegenden verlasse, mein eignes Herz bezwungen haben werde — Ach wenn ich aus ihnen weiche, so werd’ ich noch ein volles und bewegtes für die Person aus ihnen tragen, der ich das ihrige nie hätte quälen sollen — — Warlich, die trauernde Gestalt, die am Sontage, ohne Vermögen zum Abschiede, einem noch bittern zusah, die nicht sagen konte, „lebe wol“ weil sie fühlte, wem es unmöglich sei — diese geliebte Gestalt weicht nie aus meiner Brust — und wenn ich traurig bin, werd’ ich sie schweben sehen und zu ihr gebrochen sagen: so bleibe denn auch ewig in meinem Herzen, und ruhe auf seinen Wunden.... Leben Sie wol; alle meine Wünsche sind für Sie, und meine Handlungen sind es; jede Freude, die ich Ihnen verschaffen kan, ist meine; alle meine Geheim nisse sind die Ihrigen.


Ihr treuer Freund Richter

N. S. Ich habe diesem zu unordentlichen Briefe den an Wernlein beigelegt, den ich unabgesendet bisher niemand als Otto lesen lassen.

Aschermitwoch.

Mein kälteres Blut widerspricht meinem wärmern nicht und der Aschermitwoch billigt (was in Italien heute selten geschieht) die Fastnacht. Was ich gestern mit verdunkelten Augen gesagt, unterzeichn’ ich heute mit abgetrokneten. — Ich habe nur noch die neue Bitte, daß Sie das Paket, das mein Bruder um 3 Uhr bringen wird, mir nicht im Konzert sondern etwan um 4½, oder 5 Uhr durch Ernst wieder geben möchten. Ich thue diese Bitte blos, um die Gelegenheit zur neuen zu bekommen, daß Sie mir mit drei Zeilen Ihre Gegenwart im Konzert und Ihre Zufriedenheit mit meiner Aenderung, versichern möchten.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Amöne Herold. Ohne Ort, 12. Februar 1793. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_413


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 413. Seite(n): 370-372 (Brieftext) und 535 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 4⅔ S. 4°; der letzte Absatz (372, 26—36 ) auf besonderm Blatt. J: Otto 4,219× (mit einem Brief an Christian Otto vom 13. Febr. 1794 vermengt). 370, 33 nach geendigt vielleicht ein Doppelpunkt 371, 35 an mir findet] nachtr. 372,6 werde] aus kan die Zeit] nachtr. 9 zu versichern] nachtr. 17 ewig] nachtr. 25 bisher] davor gestr. bisher ließ

Richter hat den Brief vermutlich gleich zurückbekommen, s. 371, 17. Sein Tagebuch berichtet Anfang 1793 von leidenschaftlichen Szenen mit Amöne: „26. [Jan.] Ich machte von den Zeichen ihrer Freundschaft zu eigennüzige Auslegungen. — 10. Feb. Das Spiel ist aus. Ich zerrütte alles durch meine Wuth, alles entschieden zu sehen. — 12. März. Völlige Gleichgültigkeit gegen sie.“ Vgl. 398, 29ff. Ob sich Amöne damals schon für Otto entschieden hatte, ist ungewiß. 371, 33 Jacobis Schriften: s. zu Nr. 247. 372, 24 Brief an Wernlein: nicht erhalten. 32 Ernst: mir unbekannt.