Von Jean Paul an Anna Marie Sophie Ellrodt. Leipzig, 20. Oktober 1783.
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[Kopie]
109,20Ich eile Ihren Brief zu beantworten, eh’ die Post abgeht; ich werd’
ihn darum aber freilich kurz beantworten müssen. Jede
Verstellung
ist mir verhast; daher sei sie auch von dieser
Antwort entfernt. — Ihr
neulicher Brief, der meine
Nachlässigkeit bestrafte, gefiel mir besser als 109,25
Ihr
ieziger, der sie verzeiht und Sie schienen mir, erzürnt mich wärmer
zu lieben als ausgesönet. Ihr Brief enthält die Silhouette
Ihres
Kopfs, aber nicht
J[h]res Herzens; das Licht des einen
ersezt die
Wärme des andern und Ihre Vernunft, aber nicht Ihre
Liebe hör’
ich darin sprechen. Solte diese Liebe auch nicht mer
in Ihrem Herzen 109,30
für mich sprechen? Solte Ihre Wärme für
mich mit der Wärme des
Sommers entflohen sein? Diesen Argwon
wird Ihr nächster Brief ent
weder heben
oder nären. Schreiben Sie daher bald: denn ist meine
Furcht
gegründet, so sei sie bald erfült, da man ein Übel leichter erträgt
als voraussieht: ist sie ungegründet, so daure sie auch dan
nicht lange,109,35
so verenge sie auch dan nicht lange das Herz, das die Liebe
schwellen 110,1
solte. Ich hätte Ihnen noch mer zu schreiben; aber
ich verschweige es,
bis Sie geschrieben. Den Ring, den ich hier
zurükgebe, brauchen Sie
mir nicht wieder zu geben, da seine
Entberung Sie Verdrüslichkeit aus
sezt.
Nicht er, sondern das Bild, das er vergoldet, ist mir schäzbar; und110,5
ein solches Bild, ia ein besser gleichendes können Sie mir
demun
geachtet ia immer schikken. Leben
Sie wol; aber schreiben Sie bald.
Zwar auch Ihr Stilschweigen
wäre eine Antwort; aber warlich eine,
die ich nicht um Sie
verdienet hätte.
N. S. Was kan Ihre Fr. Mutter, nach Ihrem Ringe zu fragen,
110,10
bewogen haben? und wie können Sie, ihn in 14 Tagen
wieder zurük
zu senden, mir versprechen, da Sie fürchten
müssen, daß Ihre Fr.
[Mutter] die Nachfrage wiederholen
könte? Ich tue die leztere Frage,
weil ich nicht begreiffe,
wie Sie mir das versprechen können, wovon Sie
die
Unmöglichkeit, es zu halten, vorausgesehen. 110,15
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Anna Marie Sophie Ellrodt. Leipzig, 20. Oktober 1783. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_61
Kommentar (der gedruckten Ausgabe)
SiglenK: 26. Den 20 Okt. i: Wahrheit 3,266 (23. Okt.). B: IV. Abt., I, Nr. 23. Voraus gehen die offenbar nicht zugehörigen Worte: Das Kind schämt sich des V[aters].
Sophie hatte ihren „zärtlichsten Geliebten“ um umgehende Rücksendung des ihm zugeschickten Ringes gebeten, da ihre Mutter denselben zu sehen verlangt habe; er solle ihn aber längstens in 8 bis 14 Tagen wieder erhalten. Übrigens beteuert sie noch, daß ihre Seele nach seiner Liebe schmachte.