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Korrespondenz

Von Jean Paul an Philipp Erasmus Reich. Leipzig, 22. Mai 1784.

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Hochedelgeborner Herr, Hochzuehrender Herr,

Vielleicht haben Sie sich schon bei dem ersten Anblik dieser Handschrift entschlossen, sie nicht zu lesen; aber wenigstens darf ich Sie bitten, lesen Sie nur diesen Brief. Aus einem Bande satirischer Abhandlungen schikk’ ich Ihnen einige Proben vermischter Art, um von Ihnen zu erfahren, ob sie unter die Misgeburten oder ob sie unter die Geschöpfe gehören, welche die Wiedergeburt von Ihrer Hand verdienen. Der Verfasser, der nichts noch als die von Voß verlegten grönländischen Prozesse herausgegeben, darf soviel doch von den gegenwärtigen Satiren sagen, daß wenigstens die Zähne, womit sie verwunden sollen, keine eingesezten und aus fremden Zahnläden ausgebrochnen, sondern ihre eignen sind; freilich aber ist die Politur und Schärfe derselben darum noch nichts weniger als erwiesen. — Und nun solt’ ich Ihnen nichts mehr sagen wollen. Denn auch noch von dem sonderbaren Zustande eines Menschen etwas hinzufügen, den bei ieder Anschmiegung das Glük wieder auf die Seite stösset, der wählen mus, ob er lieber das Echo fremder Schellen, oder das Opfer des breiten Gewehrs, das iene gewöhnlich begleitet und rächt, sein wil — das würde Ihrem Geschmakke, der doch allein in der Annahme dieser Satiren stimmen mus, ein überflüssiger Zusaz sein. Aber ist es wahr, daß sich an Ihrer Hand schon mehrere Niedergedrükte aufgerichtet, so besizen Sie ausser Ihrem Geschmakke auch noch eine Eigenschaft, die ienen Zusaz wenigstens minder unverzeihlig finden und mich es nicht bereuen lassen wird, die tode Sprache der Aufrichtigkeit gesprochen zu haben.

Das Manuskript, oder die günstigere Antwort haben Sie die Güte zu dem Hern von Örthel in Flier’s Hause in der Petersstrasse zu schikken. —

— Brechen Sie, wenn es sein mus, den Stab über meine Hof nungen wenigstens nur bald. Ich bin mit Versicherung der Hochachtung, auf welche die Freundschaft so vieler vortreflicher Männer Ihnen Anspruch giebt,


Leipzig den 22. Mai 1784.
Ew. Hochedelgeboren gehors. Diener J. P. F. R—r.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Philipp Erasmus Reich. Leipzig, 22. Mai 1784. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_72


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 72. Seite(n): 119-120 (Brieftext) und 451 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: DLA, Marbach. 2 S. 4°; auf der sonst leeren 4. S. Präsentat: 1784. 23. May [nachtr. Hof,] Leipzig R....r [nachtr. ergänzt zu Richter] Du Lei[?]; auf der 1. S. Notiz des Empfängers: d. 24 May zurück gesandt. K 1 (durchstr. Konzept): 5. K 2: Den 22 Mai. i: Wahrheit 3,285. J: Almanach der Rupprechtpresse auf die Jahre 1926—28 (München), S. 24f. 119,24 Der bis 26 herausgegeben] Wahrscheinlich kennen Sie mich darum nicht mehr, wenn ich Ihnen sage, daß er [!] schon bei Voß in Berlin in der vorigen Messe Satirendrukken[lassen] K 1 28 herausgebrochnen K 2 29 ihre eignen] auf seinem Boden gewachsen K 1 120,1 in der] aus über die H, über die K 2. — K 1 hat noch folgende unverwertete Notizen: Bienen stechen im Winter weniger; … ein Lachen sehen, sondern hören. Den Hofnungen eh’ ihnen die wächsernen Flügel wachsen; … Falhut, — Flügeldekken, Noten oben und unten — Nach K 2 folgen noch einige anscheinend nicht zugehörige Notizen.

Adressat ist nach Nr. 69 und 85 wahrscheinlich der Verleger Philipp Erasmus Reich (1717—87), Leiter der Weidmannschen Buchhandlung in Leipzig. Otto (Wahrheit 3,285) nennt ihn Reiche; vgl. zu Nr. 85. 119, 34f. Mit dem breiten Gewehr ist wohl die Pritsche gemeint. 120, 8 Bei dem Klempner C.F. Flyhr, Petersstr. 115 (s. Leipziger Adreßkalender 1797, S. 113) wohnten Richter und Oerthel seit dem Sommer 1784; vgl. Abt. IV (Br. an J. P.), I, Nr. 28.