Von Jean Paul an Christoph Friedrich Nicolai (Nikolai). Leipzig, 19. Juni 1784.
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Hochzuverehrender Herr,
Ich wage es Ew. Hochedelgeboren dieses starke Pak Satiren zur
Prüfung und wenn sie diese beständen, zum Verlage zu
überschikken.
Zwar sind Ihnen wahrscheinlich die von H. Voß
verlegten grön-
122,15
ländischen Prozesse nicht bekant;
allein wären sie es auch, so darf ich
gleichwol hoffen, daß
Sie nicht aus Unzufriedenheit mit ihnen die
Prüfung den
iüngern Produkten abschlagen, die doch auf den Schultern
der
ältern stehen.
Es fehlet diesem Manuskripte noch die unabgeschriebne Vorrede,
122,20
welche H. Kranz verfertigt, um darin zu beweisen, daß
er der D. Swift
ist, und die Ursachen anzugeben, warum er seine Satiren in
Deutsch-
land anders schreibt als sonst in England,
und endlich, um sich und mich
darin mit Lobsprüchen zu überhäufen. Auch mangelt noch eine
Satire
auf das Schweizerisch Blumenreiche in der Theologie; und
zulezt die
122,25
Abhandlung, welche einige Gründe für die Götlichkeit
der Fürsten bei
zubringen wagt, wiewol mit
der Einschränkung, daß sie dieselben nur
in die Klasse der
Götter, welche die Manichäer glaubten, nämlich der
bösen aufnimt. Den Beschlus vergas ich, der Anmerkungen über
Ironie und Wiz enthält. Übrigens würd’ ich der Stärke
dieses Buchs, 122,30
wenn sie Ihnen anstössig wäre,
abzuhelfen bereit sein. Ich seze zu allem
diesem nichts hinzu
als daß Sie mit Ihrer Antwort den Hofnungen
eines
minderiärigen Jünglings das Urtheil sprechen, den mit ieder An
schmiegung das Glük schon auf die Seite gestossen hat und der
ein Spiel
des Widerspruchs seiner Bestimmung mit seinem
Schiksal ist. — Den 123,1
Lohn meiner litterarischen Übungen wird Ihr
Geschmak, Ihre Un
eigennüzigkeit und Ihre
Rüksicht auf den vorigen Perioden bestimmen.
Sie haben die Güte, das Manuskript oder eine günstigere Antwort
unter folgender Addresse an mich zu schikken: An Hern von Örthel in
123,5
Flier’s Hause in der Petersstrasse. Ich bin mit gröster
Hochachtung
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Christoph Friedrich Nicolai (Nikolai). Leipzig, 19. Juni 1784. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_74
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: SBB, Nachlass Nicolai. 2 S. 4°. Präsentat: 1784. 24 [aus 23] Jun. J. P. F. Richter in Leipzig. 26ten b[eantw.]. K 1 (Konzeptanfang) ohne Überschrift. K 2: 6. Den 19. Jun. An Nikolai in Berlin. i: Wahrheit 3,286. J: Hesperus (Blätter der Jean-Paul-Gesellschaft), Nr. 2, Okt. 1951, S. 28 (mitgeteilt von Kurt Schreinert). 122,15 Zwar bis 19 stehen.] Vielleicht sind Ihnen die Proz. unbekant, welche Sie vielleicht von der Prüfung dieser abhalten könte[n]. K 1 15 warscheinlich K 2 21 Swift] aus Schwift K 2 (vgl. 212,3 †) 33 sprechen] nachtr. H mit] bei K 2 34 hat] fehlt K 2
122 , 20–24 Diese Vorrede hat sich nicht erhalten, wurde aber für die im Oktober 1784 in Archenholz’ Zeitschrift „Litteratur und Völkerkunde“ erschienenen „Zerstreuten Betrachtungen über das dichterische Sinken“ verwertet; vgl. auch die Vorrede zur Auswahl aus des Teufels Papieren, wo der Autor sich selber als den eigentlichen Verfasser von Swifts Satiren ausgibt (I. Abt., I, 226). Über Cranz s. zu Nr. 13. 24–30 Mit der Satire auf das Schweizerische Blumenreiche in der Theologie ist jedenfalls die II. Abt., II, 148—170 abgedruckte „Beantwortung der Preisaufgabe“ gemeint; die Satire auf die Göttlichkeit der Fürsten s. ebenda, S. 231—234, den Beschluß ebenda S. 190—195. — Der Brief blieb natürlich erfolglos.