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Korrespondenz

Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 21. Januar 1785.

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140,20
Mein lieber Örthel!

Anstat einer langen Klage über dein Stilschweigen wil ich vielmehr
ein Mittel dagegen hersezen. Ich habe nämlich an mich selbst ge
schrieben, wie etwan Sonnenfels seine Werke seinem eignen Herzen
zueignete. Diesen Brief, den du an mich ablässest, schliess’ ich hier bei; 140,25
es kostet dich mithin, wenn du mir antworten wilst, nichts als die
Mühe des Abschreibens. Dein Brief lautet ungefähr so:


„Lieber Richter!


„Endlich fang’ ich wieder an zu reden und ich trete aus meiner
„einsamen Zelle vor das Sprachgitter, um zu sehen wer da ist und 140,30
„um mit dir zu sprechen. Aber der Herman ist daran schuld, daß ich
„mein Gelübde des — Redens so breche: alle Zeit zum Schreiben
„nimt er mir weg und ich lasse sie ihm auch gern.


„Eine Neuigkeit, die vielleicht noch nicht bis nach Hof gekommen. 141,1
„Der Prof. Klodius ist tod. Ich erwarte ein kleines Leichengedicht auf
„ihn von dir: denn du must nun anfangen, in Versen dich zu üben und
„er ist ein Gegenstand, der zum Glük so gros nicht ist, als daß du mit
„deinen unausgewachsenen Flügeln noch nicht zu ihm hinaufköntest.141,5

„Meine Bücher vermehr’ ich täglich und mit der Zeit hoff’ ich eine
„hübsche ansehnliche iuristische Bibliothek aufstellen zu können, der
„ich eine andere satirische Bibliothek, welche dich zum Verf. hat, gegen
„über sezen werde. Du wirst dem Hiob gleichen, der nach allen Ver-
„suchungen und nach allem Kreuztragen, doch noch Söhne und Töchter 141,10
„zeugte.


„Ich schrieb dir einmal: ich könte dir nur Hausmanskost vor
„sezen. Dieser Brief trägt gar nur Schauessen auf. Wenn ich heute
„nachlässiger und unpolirter als sonst schreibe: so verdien’ ich einiges
„Lob dafür: denn ich habe deinen Briefstyl mir zum Muster vor141,15
„gestellet, der was Konstrukzion und Wolklang angeht kaum nach
„lässiger sein könte. Lebe wol, unsere wechselseitigen Scherze thun
„unserer Freundschaft nichts.“


Ich kan nur Eine Seite beschreiben, wie man am Anfange der
Buchdrukkerei nur auf Eine Seite drukte. 141,20

Ich weis, einen geschriebenen Spas verzeiht man eher als einen
gesagten; aber wenn du wüstest daß ich mehrere Scherze aufopfere als
niederschreibe und nicht dem Geschmakke, sondern der Freundschaft auf
opfere: so würdest du völlig dem Feinde Luthers, dem Tezel gleichen,
der eine Ablaskrämerei trieb und mithin auch Sünden gegen die141,25
Freundschaft gern vergab.


Vom Doppelmaier hab’ ich Schilderungen gehöret, die ihn zum
schlechtesten Menschen machen. Wer wird im kalten Rusland die
erstarte Schlange in seinen Busen wieder nehmen und sie erwärmen,
damit sie ihn steche? — Die Materialien zu seinem Buche von der 141,30
Spiesglastinktur hat ihm der Apotheker Fischer vorgestrekket. —
Stelle dir vor: der Doppelmaier wolte einmal ein Buch drukken lassen,
das lauter medizinische Erfahrungen enthielt, die er sich alle selbst er
sonnen hatte und von denen keine wirklich war. Er las das Buch seinen
Freunden vor: und doch ist dies noch kein schwarzer Flek zu seinem 141,35
Karakter, sondern blos eine einzige krumme Linie im Umrisse desselben.


Die Alchymie oder wie ihre Liebhaber sie nennen die höhere 142,1
Chemie — sowie es eine niedrige Jagd giebt, so könte man diese die
hohe Jagd nach Metallen nennen — macht immer mehrere Proselyten
und ieder chemische Ofen wird zulezt ein Altar, worauf man ihr
ewiges Feuer opfert. Ich kenne selbst drei Männer, die an sie glauben 142,5
troz ihren guten Köpfen und ihren noch bessern Herzen: weil das
alchymistische Feuer auch leuchtet (auf Erfindungen leitet) so
schliessen sie sofort, also kocht es auch Gold..... Dauert diese Ver
mehrung der höhern Chemisten noch lange fort: so mus der niedere
Adel der Chemisten zu wünschen anfangen, daß iene nicht blos Gold 142,10
machen, sondern auch Gold trinken und stat einer Lebens- eine
Todtentinktur erfinden möchten, welche ihrem Anwachs vortheil
hafte Schranken sezte.


Wenn ich dich wieder sehe, werd’ ich dir viel erzählen: du aber wirst
mir noch mehr erzählen, weil du dich durch Schreiben nicht erschöpfest. 142,15
z. B. vom hiesigen Billard, wo lauter Leute sizen, aus deren Munde
nicht viel mehr komt als — Tabaksrauch und deren Gegenwart du
nicht sowol hörest als riechst.


Sei so gut und gebe den Brief an Archenholz auf die Post und
frankire ihn: glaube aber nicht, daß ich nicht heimlich die Porto’s 142,20
nachrechne, die du für meine Briefe giebst: ich kan das nicht wol unter
lassen, weil ich zu sehr besorgen mus, du möchtest in der Rechnung, die
du mir über deine Auslagen machst, mich doch — betrügen; ich bin
hierin durch traurige Erfahrungen längst gewiziget und klüger
gemacht worden, wo du mir stat 3. Groschen nur 2 Groschen anrechne142,25
test und dich lieber selbst um Einen Groschen betrogest, um nur auch
mich zu betrügen das Vergnügen zu haben.


Lebe wol mein Freund! Wenn ich alzeit so gegen dich wäre, wie ich
mir vorseze zu sein, wenn ich nicht bei dir bin: so hätte ich gar niemals
gesündiget wider den Namen 142,30


Hof den 21 Jenner 1785.
Deines Freunds J. P. F. R.


N. S. Die Weinertin hat an mich geschrieben: aber ich kan ihr
unmöglich helfen. Sage ihr doch — wie oft wird sie dich überlaufen —
daß sie ihre Briefe dir zustellet: sonst gelangen sie nicht an mich und
werden wie der vorige vorher von andern erbrochen. Wenigstens mus 142,35
sie daraufsezen: in der Klostergasse. — Die zwei Manuskripte für den
Pf[arrer] von Rehau, um die ich dich neulich bat etc.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 21. Januar 1785. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_89


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 89. Seite(n): 140-142 (Brieftext) und 458 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 3 S. 4°; die Blätter sind einseitig beschrieben, da die Tinte durchschlägt; nur 141, 19f. steht auf der Rückseite des ersten Blatts. J 1: Wahrheit 3,238 u. 381×. J 2: Nachlaß 2,298×. 141,26 gern vergab] aus mus vergeben haben 142,31 1785] aus 1787 J. F. R. P. (das P undeutlich)

In einem Exzerptenheft von 1789 hat sich Jean Paul notiert: „Sterne wil in Elisens Namen einen Brief an sich selber schreiben.“ Vgl. Sternes 8. Brief an Eliza (Draper). 140, 24f. Joseph von Sonnenfels (1733—1817) eröffnete seine „Gesammelten Schriften“, Wien 1783—87, 10 Bände, mit einer Zueignung „An mein Herz“; vgl. I. Abt., VIII, 50,4f. 141, 2 Clodius (vgl. 6, 31†) war am 30. Nov. 1784 gestorben. 12 Hausmannskost: s. 87, 29. 142, 11 Gold trinken: vgl. Aurum potabile = Lebenselixier. 36 zwei Manuskripte: s. 136 , 3–17 .