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Korrespondenz

Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 1. Februar 1785.

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Hof den 1. Februar 1785.
Mein Örthel,

Ich habe mir vorgenommen, wenn du tod bist und ich nicht, deine Briefe an mich zum Drukke zu befödern: ich dürfte sie sogar, fals ich keinen Verleger dazu fände, auf meine eigne Kosten drukken lassen. Eine kleine Vorrede würd’ ich ihnen vorausschikken, die ich lieber iezt ausfertigen wil, eh’ du noch tod bist; denn wenn du schon hin wärest ins entfernte Land, so glaub’ ich beinahe nicht, daß ich die Vorrede noch machen könte: mein Herz würd’ es meinem Kopfe nicht zulassen, und ich gienge dan den ganzen Tag blos mit dem Gefühle des Ausspruchs herum „es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei“. Nur der lebt einsam, der ohne Freund lebt; und am allereinsamsten ist er, wenn er dabei etwan noch gar unter recht vielen Menschen ist. Aber die Vorrede, auf die du mit Recht so begierig bist:

„Ich habe die Ehre, hier dem Leser ein Päkgen Briefe mit einiger „Grazie darzureichen, die aber nicht an ihn, sondern an mich ge„schrieben sind: was meine Antworten darauf anlangt, so sind sie schon „gröstentheils gedrukt und ich habe sie stükweise in meine satirischen „Aufsäze verschlagen mit einfliessen lassen: nichts gehöret also von „diesem Büchelgen mir als etwan die Vorrede. Es ist eine bekante „Regel, daß eine Vorrede solche Dinge enthalten mus, die sie nach „und nach volmachen; und mich dünkt, der meinigen wird man den „Vorwurf der unfigürlichen Leerheit wol nicht machen.

„Mein Freund starb an der Hypochondrie, die er auffieng, weil er „das Studium der Rechts- und Unrechtsgelehrsamkeit mit zuviel „Allotrien verband; und vielleicht auch, weil er einem gutgemeinten „Rath von mir ein wenig zuviel Gehör gegeben. Ich rieth ihm näm„lich, als wir beide uns vor dem Tische, wo Bücher aufgetragen „wurden, niedersezten, seine[r] Sele recht viele Speise zu geben, ihr „nichts an den Fastenspeisen (der Jurisprudenz) abzubrechen und „an der Tafel wenigstens bis um 12 Uhr zu Nachts sizen zu bleiben, „wie alle Vornehme thun. Zum Unglük für seine Gesundheit wilfahrte „er meinem Rathe, den ich seither oft bereuet. Ich selbst habe mich „durch diese geistige Schwelgerei zu Grunde gerichtet und ich mus „dem Publikum sagen, daß ich zwar einer der scharfsinnigsten, aber „auch leider! einer der kränklichsten Autoren bin.

„Aber diese Hypochondrie nahm auch die Kräfte seines Geistes „merklich mit und sein Kopf und sein Herz lit viel darunter. Ich be„ruffe mich auf vorliegende Briefe selbst, worin er beides ausdrüklich „versichert; und in der That ist diese Versicherung auch gar nicht über„flüssig. Denn der Inhalt der Briefe selbst scheinet sie schlecht zu „bestätigen; und sie haben mich oft zu dem Irthume verleitet, daß sie „gar Gesundheitspässe seiner Sele wären. O! entfernter Freund! „wie oft hoben deine Briefe mein Herz, das der Tugend wenig mehr „zu geloben im Stande ist als Entschlüsse! Wie oft erwärmte es deine „Menschenliebe! Wahrhaftig wenn dein elender Körper eine bewegliche „Leiche war, so war dein Geist eine Begräbnislampe, die das ewige „Feuer der Griechen enthält! Indessen bleibt demungeachtet das wahr, „was er selbst von sich sagt: denn er mus sich selbst wol am besten kennen.

„Um nicht in Übertreibungen des Lobes zu fallen, hab’ ich den „gedachten Briefsteller diese Vorrede selbst vorher wol durchsehen „und prüfen lassen. Indessen mus ich sie iezt beschliessen weil die Post „abgeht, die sie zu ihrem Verleger fährt, der nicht wol thut, daß er „mich sogar [!] sehr treibt. Weimar den 12 Mai 1832.“

Jezt mus ich wieder wie gewöhnlich eilen, weil ich wie gewöhnlich von der Post getrieben werde.

Deine Satire (mit dem halben Seneka u.s.w.) ist schön und treffend; aber doch trift sie mich nicht, so wie etwan ein Schüze, der sein Ziel verfehlet hat, immer treffend geschossen hätte, fals man nur an das Ort, wohin er wirklich traf, ein Ziel gestellet hätte. Denn ich bin nicht verliebt in die schöne Sp., und ich werd’ es auch in keine auf den ersten Augenblik werden, ohne sie sonst zu kennen. — Von der Madems. Schindlerin konte ich dir nichts schreiben, weil ich sie nur aus fremden und zweideutigen Schilderungen kenne: dein H. Vater aber wird mir vielleicht, (wie er versprochen) in etlichen Tagen den Schlitten schikken, um mich zu ihr holen zu lassen, wenn sie bei ihm ist. Dan wil ich ebenfals ein schönes Bild von ihr dir schikken und ich bin gewis, wenn mein Pinsel ihr sehr schmeichelt und in ihr Porträt mehrere Reize hineinspielet als ihr fehlen, so werd’ ich einen glüklichen Versuch gethan haben, dich in sie verliebt zu machen, welches des H. Schindlers wegen wol zu wünschen wäre. — Die Rezension der Mimik ist im Grunde eine satirische Rezension des Buches über „Sympathie, Wohlwollen“ etc.; ich wil aber hoffen, daß sie etwan nicht blos aus deiner Feder nicht [!] geflossen: ich würde dir eine so grosse Geschiklichkeit in der Satire nicht völlig gönnen. — Soviel ich weis, ist der iüngere Brükner gar nicht hier; aber wol der ältere und der wird auch wol in ienem Briefe so geraset haben. Indessen fehlte es auch dem iüngern nicht ganz an Tauglichkeit hiezu: und ich erinnere mich noch wol, daß er auf unserer Schule unter den 〈die〉 besten Gynmasiums Dichtern mit obenan stand 〈gezählet wurde〉: es wäre nur zu wünschen, daß er das Eisfeld seiner poetischen Gaben mehr anbaute und dagegen die fruchtlose Bearbeitung seines Verstandes völlig fahren liesse. — Was man in Hof spricht, wil ich dir ein ander mal schreiben: auch hab’ ich schon in meinem lezten Briefe (den du doch wirst erhalten haben mit einem Briefe an Archenholz) dir mancherlei Neuigkeiten gemeldet, für die ich einige Wiedererstattung erwarte. — Unter Hermans Namen gieng ich von Plauen ab; und meinen gab’ ich unter dem hiesigen Thore an. — Dein kleiner Bruder wird mehr als er sonst versprach; er lieset die Bücher aus der Lesegeselschaft von selbst in den Nebenstunden und begreift und fragt vortreflich: davon wil ich dir ein andermal eine Anekdote erzählen.

Mein Buch kanst du schikken an Schwikkert, oder an die Buchhand lung in Weimar oder du kanst es Platnern zu lesen geben, damit er mir einen Verleger verschaft: sehe aber allemal darauf, ob du die Anzahl Stükke ordentlich wiederbekomst, die du schikkest, damit mir nichts gestohlen wird. O! du geplagter Freund! Deinem H. Vater entdekke deine Lage bald, die dir immer beschwerlicher werden mus: ich stehe mit ihm iezt auf dem besten Fus und diese kleine Wolke würde bald vorüber gehen. — Schreib mir doch bald, ob du meinen lezten Brief, der vom Doppelmaier mit handelt, bekommen hast! In Acht Tagen schreib’ ich dir wieder und beantworte den Rest deines Briefs. Aus der schlimmen Lage, in die ich dich gesezet, kanst du zur Genüge sehen, daß ich bin dein Freund Richter.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 1. Februar 1785. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=I_90


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956. Briefnr.: 90. Seite(n): 143-145 (Brieftext) und 458-459 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 4⅔ S. 4°; die Blätter wie bei Nr. 89 einseitig beschrieben. J 1: Wahrheit 3,384×. J 2: Nachlaß 2,302×. 143,6 eigne] aus eignen 36 zwar … aber] aus nicht blos … sondern 37 kränklichsten] aus kränksten 144,26 Madems.] aus Mams.

143,37 Über das von Jean Paul mehrfach verwendete, auf Sterne zurückgehende Motiv des kränklichen Autors s. I. Abt., II, Einl. S. XXXI. 144, 18 Weimar: vgl. 237, 25. 25 Spangenbergin; vgl. 131, 35 u. 270, 14†. 27 Schindlerin: s. 132, 1f. 35 „Ideen zu einer Mimik“, Berlin 1785—86, von Joh. Jak. Engel. 36f. „Allgemeine Betrachtungen über Wohlwollen, Sympathie und Freundschaft“, Leipzig 1784 (von Karl Ferd. Hungar). 145, 4 Joh. Georg Brückner oder Prückner, ein Mitschüler Richters (Weißmann Nr. 964), Sohn eines Gürtlers in Hof, geb. 1761, damals stud. theol. in Erlangen, später Pfarrer in Wunsiedel; sein älterer Bruder, Joh. Nikolas (1759—1820, Weißmann Nr. 968), wurde im August 1785 Quintus am Hofer Gymnasium und heiratete eine Schwester des Trogenpredigers Müller (Nr. 45†); vgl. 349, 23 14f. Unter Hermanns Namen: bei der Flucht aus Leipzig. 16–19 Über Oerthels Bruder s. Nr. 189†. 20f. Schwickert: Buchhändler in Leipzig, Verleger von Platners Aphorismen, s. II. Abt., III, 226,14. Buchhandlung in Weimar: Hofmann. 24–27 Oerthel war durch seine von seinem Vater sehr mißbilligten Geldzuwendungen an Richter selber in Verlegenheit geraten; vgl. 146, 33ff.