Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 21. Januar 1820 bis 21. Januar 1820.
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8,1
Meine Theuerste! Vorgestern empfing ich deinen lieblichen Brief und
alles geht richtig. Deinen vorigen Fuhrmann Krotsch mit
demselben
Knechte schick’ ich euch beiden den 24ten (Montags, denn nach Leipzig
8,5
braucht man 4 Tagereisen) entgegen für 50 fl., wobei
er aber alles, auch
die theuern Zollgelder trägt. Verlangte
indeß ein Brief von dir, der
morgen kommen könnte, etwas
Geändertes: so folg’ ich deinem aller
neusten Wunsch; und habe daher den völligen
Abschluß auf Morgen
verschoben. Durch Altenburg kommst du sonach schwerlich. — Die Kälte
8,10
hier von 22° am 16ten
Jenner hat durch die Vorkehrungen meines
Fußes und meines —
Kopfes nicht im Geringsten auf mich gewirkt und
ich habe
also Assekuranz gegen alle künftige Winter; dagegen hat mich
dieser mit Blutbeulen geziert, die nicht sehr schmerzen, aber sehr be
schweren und es blüht jetzo noch eine
an der Wade, eine am Schenkel,8,15
eine am Ellenbogen
und eine kleine an der Kniescheibe. Etwas magerer
seh ich
aus, aber ohne Verlust meiner physiognomischen Reize. Zur
Welden kam ich wegen ihrer Abwesenheit und meiner Beulen
gar nicht,
und zu den 3 Gräfinnen (von Thurnau und Sachsen) geh ich
Sonntags.
Sie war selber bei mir, mich zu einem kleinen Konzerte
einzuladen, aber8,20
Otto gab auf mein Verlangen Hoffnung, zu kommen; — und so
kam
ich denn auch nicht. — Warum soll denn Otto deine Briefe lieber be-
kommen als Emanuel? Diesen zieh’ ich für mich jetzo weit vor. — Kälte
kommt wahrscheinlich erst Ende Monats; gleichwol sieh dich
recht vor.
Von deinen ankommenden Pelzwaren werd’ ich nie
etwas anders8,25
gebrauchen als die Strümpfe in der
Gicht-Noth. — Du irrst, wenn du
meine Vorstellungen von
unserer Zukunft für übertreibende hälst. Du
zuweilen, aber
nicht ich, glaubtest, eine Entzückung könne fortdauern.
Ich
male mir sogleich hinter den ersten Wochen die zwanzigsten etc. etc.
und ihre Witterung; ich schließe aber eben nicht aus ein
Paar Mai8,30
frösten, daß der Winter
da ist, sondern glaube an den Mai, der in deinem
und meinem
Leben jedes Jahr um mehre Monate länger wurde. Von
dieser
still wachsenden Festigkeit und Begründung des Liebens hat eigent
lich der Mann die hellere Überzeugung,
indeß eine Frau alles zu sehr
nach Minuten und nach äußern
Zeichen schätzt. Aber eine rechte eheliche8,35
Liebe
leidet dadurch gerade so wenig wie eine elterliche. — Vom schönen
Berlin wirst du mit Schmerzen, doch nicht mit zu großen
scheiden; denn
du kannst doch wissen, daß du nach meinem Leben dort deines beschließen9,1
und
nachgenießen wirst. — Der beste Empfang für dich wird bei uns
die Ordnung sein, woran das weibliche Geschlecht mit Freuden und Muße
zu schaffen anfängt. — Auf deine Abend-Erzählungen, mir
interessanter
als die besten bei Buchner, freu’ ich mich unsäglich, da mich alle
9,5
Gegenstände derselben so interessieren. — Frage
Scherzes halber nach
Matzdorf. — Schwabacher will mir für den
pr[eußischen] Thaler
statt 45 kr. nur 42 zahlen und so hättest du einen Verlust
von 25 fl.
— Hier hast du Otto’s
Rath, und hinter diesem meinen Gegenrath.
Die dumme Geldsache hat meinen Vormittag verzehrt und ich habe
wie gewöhnlich im Haushalten mein Schreiben und Gewinnen
ver
säumt, um einem elenden Verluste
auszuweichen. Die Sache bleibt
jetzt so entschieden: du
setzest alles in Gold um. In Sachsen ist das preu-
ßische Geld neuerlich auf 42 kr.
herabgesetzt. Zur Erfüllung der ziemlich9,15
frechen
Schwabachers Bitte, die eben so porto-frech von ihm hier
beigelegt wird, nimm dir keine Zeit, denn du hast keine. —
Komme an
mein Herz so froh, wie deines es verdient.
R.9,20
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 21. Januar 1820 bis 21. Januar 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_11
Kommentar (der gedruckten Ausgabe)
SiglenH: ehem. Laura Kallenberg (Urenkelin Jean Pauls), Schachen b. Lindau. 4 S. 8°. J 1: Wahrheit 8,234×. (Danach Nerrlich Nr. 186.) J 2: Josef Müller, Jean-Paul-Studien (München 1900), S. 170×. B: IV. Abt., VIII, Nr. 4. 8,13 Assekuranz] aus Gewißheit 21 auf mein Verlangen] nachtr. 32 um mehre Monate länger] aus mehre Monate lang
Der Brief erreichte Karoline nicht mehr in Berlin (sie reiste am 25. mittags ab). 8, 4 Krotsch: vgl. Bd. VII, Nr. 428,207, 34. 19 3 Gräfinnen: vgl. 3, 9†. 21 J. Müller (J 2) vermutet, vor „Hoffnung“ sei „nicht“ ausgefallen; schwerlich. Die damalige Entfremdung zwischen J. P. und Otto (vgl. 128, 3f.) kommt auch in Briefen Ottos an Emanuel (Apelt) zum Ausdruck; er scheint J. P. vor allem den Verkehr mit Adligen — in Löbichau und bei Welden — verdacht zu haben. Karoline hatte geschrieben, ihren Brief solle „der herrliche Otto“ lesen. 9, 5 Buchner: der Bayreuther Leihbibliothekar.