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Korrespondenz

Von Jean Paul an Carl Borromäus von Miltitz. Bayreuth, 31. Dezember 1820.

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[ Bayreuth,31. Dez. 1820 ]
90,3

Die Sonne des Tags soll über keinem Zorn, aber noch weniger die
des Jahres über dem Schein irgend eines Misverständnisses untergehen.90,5
Daher eil’ ich nach dem Zögern zum Antworten auf Ihre nachsichtigen
Briefe an mich und meine Frau und zum Danken für Ihre Geschenke.
— Aber warum wünschen Sie nach dem Allrichter, dem Publikum, noch
einen Einzel-Richter dazu, der es doch nur mehr mit seinem Geschlecht
Namen sein kann? Ihr Studium des Versbaues und der Bildergebung,90,10
das ich mit Freuden bei den meisten Almanachsängern — wiederfände,
und Ihre durch Welt und Reisen gemilderte oder (mit dem Malerworte)
vertriebne Farbengebung der Extreme werden Ihnen immer bessere
Freunde gewinnen als die jetzige ästhetische Schreiberei hat und ver
dient. So ist z. B. Ihr Gemälde des Pedanten in den „Ausstellungen“ — 90,15
vielleicht besser „Ausstellung“, da ja nur der Gemälde viele sind, aber
jene nur eine ist — im rechten komischen Farben ton gehalten, indeß
z. B. Prätzel, der mich noch dazu nachahmen will, und zuweilen auch
Langbein komische Farben körner aufthürmen für blinde — Hände.
Auch Ihr Kraftgemälde des Wasserfalls bei Tivoli hat mich recht er- 90,20
quickt. Aus Büchermangel und wieder aus Zeitmangel — da ich Bücher
aus allen Wissenschaften suche — hab’ ich oft die berühmtesten Gedichte
nicht gelesen, z. B. die bezauberte Rose, an der mir eine allgemeine
Bewunderung ein flüchtiges Lese-Eden verspricht. Meine Gattin, die
mir öfter mein briefliches Zögern vorwarf, hat mir die reizende Stunde90,25
Ihrer persönlichen Bekanntschaft mit vieler Liebe ausgemalt, und grüßt
Sie herzlich; ich werde sie gewis auch einmal in Ihrem schönen land
ständischen nicht so wol als landschaftlichen Sachsen wiederholen.
Das neue Jahr erfreue Sie bis ans Ende.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Carl Borromäus von Miltitz. Bayreuth, 31. Dezember 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_136


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955. Briefnr.: 137. Seite(n): 90 (Brieftext) und 356 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K (von Karolinens Hand): An Miltitz. d. 31 Dec. 20. B: IV. Abt., VIII, Nr. 51. 90,18 Prätzel] danach *) aber keine Fußnote dazu.

Carl Borromäus von Miltitz (1781—1845), kgl. sächs. Kammerherr auf Schloß Scharffenberg b. Meißen, hatte im Sommer 1820, nachdem er J. P. zum drittenmal in Bayreuth verfehlt hatte, aber von Karoline liebenswürdig empfangen worden war (s. IV. Abt. (Br. an J. P.), VIII, Nr. 43), ihm sein Büchlein „Ausstellungen“ (1820) zugehen lassen und auch auf seine Dichtung „Amida’s Thränen“ im Taschenbuch Urania (1820) hingewiesen. 90, 15 Gemälde des Pedanten: gemeint ist jedenfalls der pedantische Schulrektor in der Erzählung „Polybius“ im 1. Bd. der „Ausstellungen“. 18 Karl Gottlieb Prätzel (1785—1861), Verf. von Gedichten und Erzählungen. 23 Die bezauberte Rose: romantisches Epos von Ernst Schulze (1818).