Von Jean Paul an Christian Heinrich Wolke. Bayreuth, 7. Juni 1821.
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Alle Ihre Briefe und Geschenke hab’ ich erhalten. Mein Dank wuchs118,15
innen immer mehr, je länger ich ihn in mir verschloß. Aber
an Sie sind
leichter Bücher zu schreiben
[als Briefe] und meines über die
Doppel-
wörter ist eigentlich einer an Sie.
Leider schneiden so viel angefangne
Arbeiten — so viele
Entwürfe zukünftiger — so viel Exzerpten fast aus
allen
Fächern der Bücherwelt mir aus einem Jahr nur seltne Augen118,20
blicke für jeden einzelnen zu. Vor 30
Jahren würd’ ich von Ihnen den
Tadel nicht des langen
Schweigens sondern Schreibens verdient haben.
In der Jugend
hat man so wenig zu sagen und so viel Zeit dazu; im
Alter
beides umgekehrt. Sie, Feuer-Greis und Adel- und Ritter
Deutscher, sind am stärksten im letzten Falle. Verachten Sie
nur aber
118,25
das Schweigen der Zeit. Werke und Strebungen wie
Ihre arbeiten mit
ihrem Eichensamen unter der Erde fort und
durchbrechen sie dann auf
einmal mit desto kräftigerm
Wuchse. In jetziger Zeit der Druckerei und
Freiheit geht
gerade das am wenigsten unter, was anfangs den meisten
widerstand. Den überreichen etymologischen Schatz in Ihrem Anleit
118,30
wird erst die Nachwelt heben und zählen. Erwägen Sie
nur, daß unter
allen Sprachkennern gerade die des Deutschen
die seltensten und folg-
lich die noch seltner sind, die Ihnen
nachgestiegen sein müssen, um Ihren
Bau zu übersehen .....
und den guten Lesern darf man auch zumuthen,
daß sie Satiren
machen gegen Feinde ihres Schriftstellers .... Nur kann118,35
der Dichter durchaus nicht ohne seine oder fremde Gefühle
gewisse Vor119,1
schläge benutzen im Weglassen
des ung; ein Wort z. B. wie Empfind,
Hoffe (wie woltönend ist dagegen sogar hope), gnadig,
unterthanig etc.
erkältet oder verschattet die schönste
Rührung... Auch Ihr s statt des s
will dem Auge durchaus
nicht in den — Kopf. Verzeihen Sie nach der119,5
Verzögerung
der Antwort noch die leere Flüchtigkeit derselben. Ich
wollte
ja überhaupt nichts ausdrücken als meine Empfindungen für
[Sie]. Möge doch Gott recht lange und recht
froh Ihr treues deutsches
Herz für uns auf dieser Erde schlagen lassen!
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Christian Heinrich Wolke. Bayreuth, 7. Juni 1821. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_184
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: Wolke 7 Jun. 118,18 schneiden] danach mir 33 seltnern
Vgl. 99, 32f. und Bd. VII, Nr. 183†. 119, 1 Nach „Gefühle“ ist vielleicht zu ergänzen „zu verletzen“.