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Korrespondenz

Von Jean Paul an Caroline Richter. Dresden, 8. Mai 1822 bis 13. Mai 1822.

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Dresden d. 8. Mai <Mittwochs> 1822

Eh ich noch deinen Brief, oder sogar du meinen erhalten: fang’ ich einen wieder ein Bißchen an. Deine liebende und gebende Seele würde recht froh über mein Zimmer sein, welches unter allen Zimmern, die ich je bewohnt, das mir am meisten zusagende ist und alle meine Reiseträume erfüllt. Mitten im Grünen und in den fernen Gebirgumkreisen und eine ½ Strasse von der Stadt und mit den Fenstern nach den 3 Sonnengegenden und so luftig und hell und kühl und neben der Chaussée und sogar mit einem Gärtchen und mit allen mir nöthigen und lieben Möbeln — seelig lieg’ ich am Morgen auf meinem Sopha und auch Abends vor der Sonne — ich mag kaum ausgehen. Und dabei die freundliche, etwas kränklich-verblühte Frau, (welche auf ihren zuweilen auffahrenden, aber mir doch lieben und gewognen Mann eifersüchtig sein soll,) die mir sogar das Trinkwasserpumpen abnehmen will — und die flinke heitere, aufmerksame, willige Magd — Und das Schönste, was mir wieder das Idyllenleben in Erlangen und ein wahr haft heimisches Glück zutheilt, die Nähe unserer Minna, und ihres Mannes, den ich immer mehr lieben und schätzen lerne und der weit mehr innern Reichthum verbirgt als zeigt. — Auch mit ihm duz’ ich mich.

Und damit gut! Gott wollt’ es, ich sollte dießmal leis’ innerlich, und prunklos ein wenig froh sein.

Freitags den 10ten Mai

Ich sehne mich unendlich nach einem Blatt von dir. Meines hast du längst. Dem kalten, immer vergessenden und nach Retourladungen ausgehenden Kutscher konnt’ ich keines mitgeben.

Sonntags früh den 12ten Mai

Das ist ein erbärmliches Briefschreiben; aber der Störungen sind auch zu viele; inzwischen werden sie — zunehmen. Noch nicht einmal ins Theater hab’ ich gekonnt. —

[neues Blatt] Noch konnt’ ich nicht ins Theater und nur einmal in den japanischen Garten gelangen. Als Glück werd’ ichs zu schätzen wissen, wenn ich nur Emma’s Kometen durchbringen kann. — Die edle Elisa (Recke) — bei der ich 2 Tage hinter einander zu Mittag sein mußte, so wie 2mal zu Thee, um auf meinem Ehrenpranger gezeigt zu werden — gab mir einen langen warmen Gruß an dich mit. Der halb verklärten Elisa — deren Wiedergenesung durch meine Ankunft anfing und die mir nebst deiner Minna bis jetzo die liebsten weiblichen Wesen ge blieben — kann ich fast nichts abschlagen. — Jetzo schreib’ ich alles durch einander. — Meine Adresse ist: an H. Registrator Aderhold vor dem weißen Thor in den neuen Anlagen. Sobald du etwas besonders beobachten sollst, will ich einen Strich am Rande machen wie hier. — Schicke ja eiligst die vergeßnen Farbenmuster für deine Auffärbkleider recht eilig.

Gestern bracht’ ich einen halben Tag auf dem Landgute der Ende zu, das im schönsten Grade Romantisches und Bequemlichkeit verknüpft. Diese fragte wie so viele warum ich nicht dich und Emma mitgebracht. — Den 10ten war Minnas Geburttag; ich fand aber bei dem Essen und Sprechen nichts dahin Abzielendes als einen Ringelkuchen in MGestalt. —

Der Helm. Chezy begegnete ich auf dem Wege zu Tieck. Die ganze vorige Grazie hat sich unkenntlich verdickt. Hier soll sie (Minna zufolge) wegen eines literarischen Raubes an Tarnow Sie ist eine Freundin Minnas und oft bei Elisa. Ihr kräftiges, aber be scheidnes Wesen gefällt mir — übrigens wie bei fast allen Schriftstellerinnen wenig Schönheit. und anderer Ver hältnisse wegen von den vorigen Verbindungen ausgeschlossen sein. Sie und ihr kranker Sohn brachten mir Blumen. Aus Mitleiden und aus Dank für die alte Zeit besuch’ ich sie, wenn Wolke bei ihr ist, der meinetwegen von Leipzig hieher gekommen.

Die herrliche, gerade zur hiesigen Meßzeit von Minna ausgesuchte Leinwand kostet 4 gr. 6 Pf. sächs., nicht die 50 Ellen, sondern schon eine; — viel Geld! — Ich habe hier die Wahl zwischen 2 trefflichen Bieren. Der Appetit hält an. Glücklicher Weise fast’ ich abends nach den Thées.

d. 13ten Mai

Endlich grüßte mich gestern Nachmittags dein liebes Blättchen. Meine wieder aufblühende Odilie segne in meinem Namen. Der Herbst bei euch dreien wird mir den Frühling verschönert geben. Denn nun wird es zu arg und das Stehen auf dem Ehrenpranger ermattet mich. Gestern waren zum Thée bei Elisa an 30 Menschen (worunter über 10 Gräfinnen), deren Namen ich meistens schon eh’ die Reihe präsentiert war, zusammt den Gesichtern vergaß (Schöne weibliche sind hier seltener als in Baireut); und ich mußte neben Elisa sitzend vor dem ausgedehnten Zirkel mich hören und sehen lassen. Es ist kein Spaß. — Ich muß eilen. Ich bin schon 2 mal gestört worden und der Brief soll doch fort, eh ich mit Uthe und Minna fortfahre. — Aber im Ganzen fehlt mir doch manche Traum-Erfüllung und ein Schwabachers Garten und meine Seele ermattet unter der Menge und durch die Fernen. — In einer Mittelstadt wär’ ich viel glücklicher. — Aber, meine gute Caroline, warum hältst du dein heiliges Versprechen nicht, meine Sachen ungeändert zu lassen? Bei der Umsetzung des Ofens hätt’ ich 100 Sachen zu bestimmen, z. B. das Einheizen ausser dem Zimmer etc. etc. — Schreibe mir immer den Ankunfttag der Briefe. — — Meine warm verehrte Welden sei recht gegrüßt, und Emanuel und Otto — und du von innigster Seele, da ich immer mehr in der Fremde sehe, was ich an dir gewonnen.


Dein alter Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Richter. Dresden, 8. Mai 1822 bis 13. Mai 1822. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_279


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955. Briefnr.: 283. Seite(n): 168-170 (Brieftext) und 381 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 6 S. 8°. J: Wahrheit 8,306× (Anfang aus Nr. 278). B: IV. Abt., VIII, Nr. 157. A: IV. Abt., VIII, Nr. 162. 169,23 vor] aus an 27 bracht’] davor gestr. war 170,5 Mitleiden] danach gestr. gegen 30 bestimmen] aus erwägen

Angekommen 16. Mai. 169, 18 Emma’s Kometen: d. h. den von Emma kopierten Teil vom Mspt des 3. Bds. 170, 3 Fanny Tarnow (1783—1862) hatte 20 Jahre früher einmal an J. P. geschrieben, s. Br. IV, 464, Nr. 225; seit 1820 lebte sie in Dresden. 5 Sohn: Wilhelm von Chézy (1806—65); s. Persönl. Nr. 305. 15 Odilie: Karoline hatte einen Brief von ihr erhalten mit guten Nachrichten über den Erfolg der Behandlung. 32 Weldens hatten durch Karoline grüßen lassen.