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Korrespondenz

Von Jean Paul an Caroline Richter. Dresden, 28. Mai 1822 bis 31. Mai 1822.

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Dresden d. 28. Mai <Dienst.> 1822

Meine gute Karoline! Diesen ganzen schönen Morgen mußt’ ich immer an dich mit zu großer Sehnsucht denken, weil ich gestern keinen Brief von dir bekommen; und die Zeit bis zum Freitage wird mir schmerzlich langsam fortrücken. Unsäglich freu’ ich mich auf unser Wiederzusammenleben; die weiblichen Wesen hier, obwol gutmüthig und angenehm, aber wenig ausgezeichnet durch Feuer und selten durch Gestalt, machen mein Heimweh nach dir nur reger. — Gestern vergaß ich über die getäuschte Hoffnung eines Briefs meine theuere Welden zu grüßen und Otto und Emanuel. — Chezy hat durch ihren weiblich unsittlichen Wandel ihre geselligen Verhältnisse verscherzt. Wolke’s wegen aß ich einmal bei ihr; und bereu’ es fast, seitdem ich ihr Leben schärfer kenne; und sehe sie nicht mehr. Tarnow und sie sind Todfein dinnen. Auch Minna hat längst, zumal auf Uthe’s Geheiß, mit Ch. gebrochen.

29ten Mai <Mittwoch>

Jetzo, meine Geliebte, gib ja recht Acht, weil mein Abreiseplan folgt. Am Montag wird dieser Brief bei dir sein. Bestelle einen Kutscher, der Freitags (den 7ten Jun.) abfährt. Weggeld zahl’ ich, aber nicht Futter. Schon 5 f. mehr, nicht. Er muß aber durchaus so ankommen, daß er hier einen Nachmittag Rastzeit hält, auch meines Einpackens wegen. Den ersten Tag fahr’ ich bis Chemnitz, den zweiten bis Plauen, dritten zu dir. Befürchte aber nicht sogleich ein Unglück, wenn ich nicht am bestimmten Tage ankomme, da vielleicht aber unwahrscheinlich Herder in Freiberg mich halten könnte. — (Eine Kleinigkeit: mache etwas Leichtes, Flüßiges zum Essen, da ich gewöhnlich in der Freude keinen Appetit habe.) Dem Kutscher gib zwei Krüge Barsac mit. — Das Kutschkästchen muß zu verschließen sein. — Irgend eine unangenehme Haussache berichte mir lieber sogleich im Briefe, damit ich sie unterwegs verdaue und meine Edenzeit zu Hause mit nichts bewölke.

Meine Mäßigkeit sogar im Trinken — denn trotz der besten Weine trink ich hier nicht so viel als in Baireut bei der Geigenmüllerin — und mein häufiges Thée-Ablehnen und Selberabspeisen mit Brod und Wurst oder Butter (da die Leute hier oft genug zu Mittag bitten) gedeiht mir wohl; was werd’ ich erst in Baireut bei vollendeter Mäßig keit und Ruhe an Gesundheit für den Winter aufhäufen! — Gestern ließ ich mich endlich zu Therese von Winkel auf 1 Stunde erbitten, blieb aber ein Paar da, um ihre Doubletten italienischer Meister — so nenn’ ich ihre Kopien — auszugenießen; und noch eine Stunde muß ich auf das Hören ihres Harfenspiels verwenden. Sie selber hat gar zu wenig Aehnlichkeit mit ihren gemalten Schönheiten, so wie die Tarnow mit ihren gedichteten. — Wohnen möcht’ ich doch nicht hier. — Hier fängt schon das Verreisen an; auch die Recke verreiset auf 14 Tage. — Böttiger bekam leider durch Gichtversetzung den grauen Staar am linken Auge. Als ich bei der Recke war und er noch gesund: sagte ich, da er unter der Menge nicht auf mich noch Ungesehenen neben Elisa zukam, er habe für alles Augen, nur 2 für mich nicht und nannte ihn vor 25 Menschen einen Argus mit 98 Augen. Jetzo erschreck’ ich ordent lich über das prophetisch-spielende Schicksal. —

30ten Mai

Gestern erhielt ich endlich dein liebes, nur gar zu kurzes Briefchen, das schon am Freitag abgegangen. Deinen letzten adressiere doch an mich: „bei Registrator Aderhold vor dem weißen Thore in den neuen Anlagen.“ Du hast — wahrscheinlich weil du meine verliehenen Briefe nicht so gleich wiederbekamest — manche Fragen nicht beantwortet, z. B. was ich Marien mitzubringen.

den 31. M. <Freitags>

Deine freigebige Zurede macht, daß ich den Kutscher erst am 7ten Juny — diesem Geburttag meines Glücks — abfahren lasse. Daher sollst du mir noch Dienstags vorher schreiben, damit ich während seiner Fahrt mich zu allem einrichte. Auch könnt’ ich so im Falle einer unwahrscheinlichen Veränderung noch am Montage dir schreiben, daß du noch am Donnerstage anders bestellen könntest.

Gestern war Zelter aus Berlin — während seinem 48stündigen Hiersein — bei mir und fragte theilnehmend nach dir. — Endlich ließ ich mich doch von Vogel zu einem 3stündigen verdammten Sitzen erbitten. — Den mir widrigen Adolph Wagner hab’ ich gesehen; sogar bei Minna war er. Auch Müllner ist hier; und Methusalem Müller. — Meinem alten Emanuel danke ich für seinen Brief voll Witz und Herz; seinen lieben Kindern bring ich ein neues Historienbuch von Wolke mit. — Du schweigst über deine Gesundheit; sie blieb dir doch unter deinen Arbeitlasten? — Die Hitze ist groß; und sie wird bei so wenigem Regen sich bis zum Höhenrauch steigern. — Gestern am Donnerstage wirst du einen Brief von mir bekommen haben. Ich hoffe heute wieder auf deinen. — Noch hab’ ich keinen Ausflug aus Dresden gemacht nach Tharand. Jetzo aber ist Velthousen — ein schöner junger Mann — da und nun soll es mit ihm und seiner weniger schönen Frau und seinen beiden englischen Töchtern, von welchen beiden ich Haare auf einer eleganten Brieftasche bekommen und wovon die eine — 6 Jahre und die andere 5 alt ist, (nur der Sohn zählt schon 9 Jahre) die Fahrt vor sich gehen.

— Noch ist nichts da von dir. Ich bitte dich, lies meinen Brief 2 mal und verleih ihn nicht, bevor du ihn beantwortet und erfüllt hast. — Grüße die leidende und heilende Welden recht; und Otto und Emanuel und mein liebstes Odilil’chen [!]. Und du sei recht glücklich mit so vielen Wunden der Vergangenheit.


Dein R.

Sind Briefe und Ld’or gekommen?

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Richter. Dresden, 28. Mai 1822 bis 31. Mai 1822. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_295


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955. Briefnr.: 299. Seite(n): 181-183 (Brieftext) und 386 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 5½ S. 8°. J: Nerrlich Nr. 199×. B: IV. Abt., VIII, Nr. 166. A: IV. Abt., VIII, Nr. 177. 181,26 langsam] aus lange 182,6 einen bis 7 abfährt] aus sogl. einen Kutscher, der Dienstags oder Mittwochs abfährt 12 aber unwahrscheinlich] nachtr. 15 zwei Krüge] aus einen Krug 25 Therese] davor gestr. Fräul. 34 unter bis 35 zukam] aus bzw. über nicht unter der Menge mich noch Ungesehenen bemerkte und begrüßte 35 habe] davor gestr. sei ein 183,24 Gestern] nachtr. 31 zählt] aus ist

182,20 Geigenmüllerin: vgl. Bd. VII, Nr. 173. 25 Therese von Winkel: s. Nr. 304†. 183, 9f. Karoline hatte ihm zugeredet, länger auszubleiben; „zwei Monate wären nicht zuviel“; der 7. Juni war ihr Geburtstag. 15f. Zelter berichtet über seinen Besuch bei J. P. in einem Brief an Goethe v. 29. Mai 1822. Vgl. auch Bd. IX, Nr. 31. 18 Adolph Wagner, der Onkel Richards, war früher in Leipzig mit Minna Spazier befreundet gewesen; vgl. Bd. VI, Nr. 970†. 19 Methusalem Müller: vgl. Br. II, 275, Nr. 462† (1. Dez. 1796). 20 Emanuel: s. IV. Abt. (Br. an J. P.), VIII, Nr. 165. 21 Historienbuch von Wolke: wohl das „Lesebuch für Kinder“, 4 Bde., 1820—22. — Das Wahrheit 8,308f. als Brief an Karoline vom 28. Mai Abgedruckte ist wahrscheinlich aus Notizen des Reisetagebuchs zusammengestellt.