Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 25. Juni 1822.
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Mein geliebter Heinrich! Welcher Zufall steht denn eigentlich
zwischen uns beiden? — Am 19ten April sandt’ ich dir von
Stuttgart
189,25
aus durch meine nach der Schweiz reisende
Schwiegermutter die
unsichtbare Loge und die grönländischen Prozesse mit einem
Briefe
nach dem Aequinokzium angefangen wie dieser nach dem
Solstizium.
Und noch hast du nicht geantwortet. Ich
ersinne mir keine andere
Ursache dazu als meine Dresdner
Reise. Aber jetzo, mein Theuerer,
189,30
schreibe mir ja auf der Stelle, damit meine Seele
wieder in die ruhigere
Lage rückt. Ich fürchte ohnehin, daß
die Hitze dich wieder zu Ver
blutungen
getrieben.
Hier ist mein Komet zu Zwei Dritteln, dessen Korrektur, Gott gebe!
190,1
du wieder übernimmst. Ich weiß nicht, wie er ist. Die beiden
ersten
Bände gingen indeß nach des Verlegers Versicherung
so gut ab, daß er
mir zu Ostern eine freiwillige Nachzahlung ankündigte. —
Ändere auf
gerade Wohl, wo du Fehlerhaftes ahnest.190,5
Von Dresden sag’ ich nur wenig, weil erst deine Antwort mir
Feuer
dazu geben muß. Nur dieß! — Alles ging und flog schön. Wie
mir in
München alles bis in das Kleinste hinein fehlschlug,
so gelang mir alles
in Dresden, von der herrlichen im Freien aller
Naturschönheiten
stehenden Miethwohnung an. Die Lustörter
übertreffen an Aussichten190,10
alle deutsche. Die
Brühlische Terrasse abends mit ihren Lichtern und
Gebirgen und der Brücke und Elbe gab mir einmal eine Stunde
der
innern Verklärung, die ich seit vielen Jahren — doch nicht
in Heidel-
berg — umsonst gesucht. Geliebt
wurd’ ich von so vielen, daß meine
5 Wochen nicht
hinreichten zu fremder und meiner Befriedigung —190,15
sogar von allen Almanachdichtern allda ohne Eifersucht und vollends
von den Weibern, die mir am Morgen Blumen und Kränze
brachten
und Abends jene von meiner Rockklappe wieder
holten. Meine gute
Elisa von der Recke sah und erfreut’ ich
oft. Therese aus dem Winkel
(die große Malerin und Harfenspielerin) brachte mir an
einem Sonntag190,20
morgen um 5 Uhr ein
Ständchen mit Harfe und Waldhorn. In Einem
Wagen fuhren
einmal 4 Dichter zugleich, Graf Kalkreuth, Graf Löwen,
Baron Malsburg und ich. — Nur einer in Dresden hat mich
ein
Bischen beleidigt, und zwar ein außer-Dresdner, nämlich Müllner, den
ich ungeachtet seiner seidnen Strümpfe und seiner Karte
nicht vor mich190,25
ließ, obwol nachher mit einer
Gegenkarte beehrte — diese sandt’ er
mir zurück mit einem
boshaften Briefchen, das ich in meinem Geld
beutel zu großer Belustigung überall in Dresden herumtrug. —
Mein
alter Wolke reisete mir zur
Freude von Leipzig an mein Herz. — Tieck
ist jetzo ein weit besserer, liebreicherer und mehr
bescheidner Mensch,190,30
besonders gegen mich, der ich ihn
nicht nach seinen Wünschen oft genug
sah; katholisch sollen
nur die Seinigen sein. — Genug! Grüße mit
meinem innigsten Herzen Vater und Mutter. Und so viele, die
ich liebe;
besonders die Paulusse.
Richter
Seit einem Jahre hab’ ich wegen besonderer Verhältnisse die „Jahr-
191,1
bücher“ nicht zu Gesicht bekommen.
Der arme Böttiger bekam durch
Podagra den grauen Staar auf dem linken Auge.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 25. Juni 1822. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_313
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Germ. Museum, Nürnberg. 4 S. 8º. K: Voß 25 Jun. J 1: Wahrheit 8,310× (mit Einschub einer Stelle aus dem Reisetagebuch). J 2: Voß S. 139×. A: IV. Abt., VIII, Nr. 184. 189,33 getrieben] aus treibt H 190,22 einmal] davor gestr. auf H 27 in] davor gestr. mit H
Voß war in der Tat krank, auch sein Vater. 189, 26 J. P.s Schwiegermutter war kurz vor seiner Abreise nach Dresden drei Tage in Bayreuth gewesen.