Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 4. Mai 1820 bis 5. Mai 1820.
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25,25
Mein theuerster Heinrich! Dein Urtheil nahm mir eine zweijährige
Last von der Seele; denn ich wollte dir mein Mistrauen in
den Werth des
„Kometen“ nicht ganz ausdrücken, aus der
Besorgnis, deinem Gefühle
die Unbefangenheit zu stören.
Mit ähnlicher Rücksicht ist auch die Vor25,30
rede geschrieben, während welcher
ich sogar erst den Titel „Komet“
so wie den
„Papierdrachen“ erfunden. Wie viele Blätter hab ich weg-
geworfen, die du sonach aufhöbest!
Gott sei Dank, daß du mich zu sehr26,1
gelobt. Desto
unverzagter flick’ ich den 2ten Theil gar aus, dessen
Ende
freilich für den 3ten,
4ten Theil die Aussichten einer Donquixott’schen
Wanderung öffnet. Vorliebe für mich und einen durch
Komiker aller Art
geschärften Vorgeschmack kann ich
freilich bei keinem zweiten Leser in26,5
solchem Grade
erwarten; überspanne daher auch fremde Erwartung
nicht
durch dein Überlob. — Übrigens ist alles, Geschichte und Charakter,
rein blos auf dem Boden meienr Phantasie gewachsen und die
Außen
welt gab nur Klima oder Sonne
dazu her; — so auch in der Folge. —
Ach in welchen lieben
warmen Händen seh ich nun mein naktes Kind, du26,10
treuer Mensch! — Deinen Rügen und Verbesserungen antwort’ ich wie
folgt:
Freilich ist die Stelle mit Flügeln überladen. Nach „und zwar
war“
fehlt „er“. Wärs noch
Druckzeit zum Bessern: so könnt’ es so heissen:
„Der alte
Henoch Elias war nun ein Männchen, das nicht mit bloßen26,15
Federn sondern über seine ganze kurze Länge hinab mit
lauter Flügelchen
von Tag-, Abend- und Nachtfaltern
besetzt war.“
Bosische Beatifikazion — Cahilston in Boullion — Worble —
Im Urkapitel: „dann wird die Zeit kommen etc. etc. und des Ersatzes
der Auslagen sammt einigen Grazialen und Verzugzinsen etc.“26,20
S. 68 „nach den wie Sonnen auseinander gerückten Steinen umher
setzten und meistens“ etc.
S. 102 „dieß werd’ ihn außerordentlich empfehlen und jeder
werde
Lunten riechen“ oder: „seinen Mann kennen“. Wähle!
S. 148 „die Jungfrau im Monde, vom himmlischen Heiligen-
26,25
schein einer ganzen Welt umgeben zur Anbetung für den Erd
bewohner.“
S. 156 statt „Himmel!“ setze denn: „o ihr höhern Geister!
welchen“ — streiche „ordentlich“ weg — statt „fraß“ könnte man
wol etwa setzen:
fing oder griff, faßte — Indeß
scheint doch Fressen26,30
zur Wildheit zu passen.
Wähle!
Laß mir den Lungenschlagfluß. An etwas sterb ich doch; aber an ihm
seit der Fußgicht wahrscheinlich am wenigsten, ob es
gleich am sanftesten
wäre. O dein Herz ist so
weich-gut!
Verzeih den eiligen leeren, nur mich abhandelnden Brief. — Ich
beschwöre dich um die Nachricht der Portoauslage, damit
ich sie bei der
zweiten Sendung erstatte, der ich auch
„das Doppelwörterbüchlein“
27,1
beilege. — Morgengänge sind dem Gelehrten schädlich, weil
am Morgen
nach der langen Ruhe die Erregbarkeit (brownisch
zu reden) zu groß ist,
wie auch die Wirkungen des Frühtrinkens etc. etc.
beweisen. Alle Be
wegung muß, wie ich
in der Levana angeführt, der geistigen Anstrengung
27,5
nachfolgen, nicht vorgehen. — Ich habe Dietenberger
und seine naive
Schwäbin mit dem Gruße gemeint. — Nach München reis’ ich
erst bei
wahrem Maiwetter, also in der Exaudi-Woche; Pfingsten wird
ein
Himmelfest. — Schumacher
schickte mir seine schönen Reiseblätter,
will aber leider (und vergeblich) eine Vorrede zu seinen
Gedichten. —27,10
Hofmann, obwol der Nachahmer meines Komischen, ist doch
kein
Freund meines Ernstes und vielleicht keiner von mir, weil
ich ihn
in der Vorrede nicht genug gelobt. Du bist nicht
im Stande, den jetzigen
Jünglingen eine Schmeichelei zu sagen; sie halten sie für
mageres Lob.
— Wird denn mein Komet nicht der Zensur unterworfen? — Könnte mir
27,15
Engelmann nicht die muthmaßliche Druckbogenzahl desselben
sagen? —
Über alles freue ich mich auf deines Vaters Nachstreit.
Von den ekeln
Blättern gegen ihn hab ich noch keines gelesen; und mags
auch nicht.
Grüße ihn und die herztreue Mutter und die
schöne Kusine; und sonst
unsere Freunde. Lebe wol, Geliebter!27,20
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 4. Mai 1820 bis 5. Mai 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_41
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Landesbibl. Eutin. 3 S. 4°; 4. S. Adr.: Herrn Professor Heinrich Voß, Heidelberg. Fr. Gr. K 1 (nach Nr. 35): Voß. 4ten, 5ten Mai. K 2 (von Karolinens Hand): Berlin JP. J 1: Wahrheit 8,239×. J 2: Voß S. 107×. J 3: Schneider Nr. 3×. B: IV. Abt., VIII, Nr. 31. A: IV. Abt., VIII, Nr. 33. 25, 26 4] aus 3 H 29 deinem Gefühle] aus dein Urtheil H 26,4 Komiker] aus Engländer H 15 nicht] aus anstatt H 16 sondern über] nachtr. H 29 könnte] davor gestr. setze H
Voß hatte sich sehr günstig über den 1. Komet-Band geäußert und gefragt, ob alles ersonnen oder manches Erlebte mit eingeflossen sei. Die einzelnen von ihm beanstandeten Stellen s. I. Abt., XV, 10, 26ff., 14, 9ff., 30, 10, 18, 14. 17f., 34, 13f., 49, 28f., 68, 30ff., 72, 26f. 31, 84, 14†. 27, 5 Levana: I. Abt., XII, 203, 5ff. 8 Exaudi: 14. Mai 1820. 9 Schumacher: s. IV. Abt. (Br. an J. P.), VIII, Nr. 14. 11–14 Hoffmann war zwar mit Jean Pauls Vorrede zu seinen „Fantasiestücken“ nicht ganz zufrieden, aber schwerlich aus dem hier angegebenen Grunde; auch war er ja damals kein „Jüngling“ mehr.