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Von Jean Paul an Carl August Böttiger. Bayreuth, 20. August 1825.

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Diktiert
Baireut den 20ten August 1825
285,20
Verehrtester Herr Hofrath!

Sie haben mir durch Frl. v. Stein so viel Angenehmes aus Marien-
bad sagen lassen, als Sie selber da in den Zirkeln der gebildeten Welt
erlebten. Das Erfreulichste für uns Alle ist Ihre Wiederherstellung,
da die Parze die Scheere über Ihren Lebensfaden schon aufgemacht 285,25
hielt, aber zum Glück nicht zudrückte. Mit Schmerzen theilte ich die
Besorgnisse der Frau v. d. Reck um ein so fruchtreiches Leben wie das
Ihrige. Den künftigen harten Winter müssen Sie dem Himmel gerade
dadurch zu entgehen suchen, wodurch ihn die Ultrachristen aller Art zu
erlangen hoffen, durch Fasten. Ich gehe mehr der Parzialfinsterniß der285,30
Augen als der Totalfinsterniß des Todes entgegen. Doch habe ich den
grauen Staar seit anderthalb Jahren, in Hoffnung der Einsaugung,
in demselben Zustand zu erhalten gewußt. Nur leider wächst der Amau
rose ihr schwarzes Gefieder immer mehr und die Schwäche der Retina
nimmt immer mehr zu, so daß ich nur mit der Brille lesen und schreiben286,1
kann.


Nun ist es Zeit, das Bitten und Erwarten so vieler Leser durch die
Herausgabe meiner sämtlichen Werke zu befriedigen, welche wegen ihrer
Theurung, Zerstreuung, Unsichtbarkeit, endlich einmal auf Ein286,5
Bücherbret und in eine Uniform zusammen zu treiben sind. Mehrere
Buchhändler wie: Josef Max, Vieweg, Reimer und schweigend Cotta,
haben sich zur Sammlung erboten.


Eh ich noch eine Zeile weiter schreibe, muß ich vorausschicken, daß
ich Sie bitte, alle fragende Belehrung die ich an Sie thun werde mir nicht286,10
schriftlich, sondern mündlich durch meinen Neffen Richard Spazier, der
jedes Wort wie eine fromme Tradition mir überliefern wird, zu beant
worten.


Ich kann leichter ein Buch machen als verkaufen. So bekam ich für
den ganzen Hesperus 200 preußische Thaler, für den Bogen der Teufels- 286,15
papiere ½ Louisd’or, für den Bogen des Siebenkäs 10 Thlr. u. s. w.,
bis endlich nach den Nehmern wie Mazdorf, die Geber wie Cotta,
Perthes, erschienen. Ich dächte es wäre nun Zeit, daß ich wenigstens
nur halb so viel Honorar erhielte, wie der Gedankenärmste und Bogen
reichste Romanschreiber in Sachsen. Vor Ihnen rollte sich das ganze 286,20
finanzielle Räder- und Schöpf-Werk der Schriftsteller offen ab. Sie
können mir daher am Gewissesten sagen wieviel z. B. Göthe für seine
Opp. von Cotta bekam oder Herder oder andere Schriftsteller von andern
Verlegern. Natürlich bleibt jeder höhere geistige Werth der genannten
Schriftsteller aus der blos materiellen Berechnung weg. Wie viel darf286,25
ich nun von Cotta für wenigstens 62 Octav-Bändchen, 20 Bogen stark,
verlangen? Auch wünschte ich die Herausgabe in schnellen Lieferungen
von 4 bis 5 Bändchen jedes Vierteljahr und zugleich Bezahlen nach der
Bogenzahl dessen Größe ich gleichfalls erst erfahren muß. Kann Reimer
durch den Besitz der zweiten Auflagen die allgemeine Herausgabe hindern286,30
oder erschweren? Mit Nebenbestimmungen verschone ich Sie, z. B.
die Zerfällung jeder Lieferung in romantische, satirische oder auch
didaktische Werke. —


[Eigenhändig]

Meine Augen bedurften einer fremden Hand, verzeihen Sie es,286,35
höchstgeschätzter H. Hofrath! Auch das Ihrige und noch mehr Ihre
so schnell verrinnende Zeit der Fruchtlese und des Fruchtgebens sollte
nicht durch mich aufgeopfert werden. Daher ich zur zweiten Mittel287,1
person meinen treuen Neffen wählte.

Möchten Sie doch auch einmal für sich so sorgen wie für andere und
Ihr eigner Nächster werden! Ich meine, möchten Sie endlich einmal
uns die Herausgabe Ihrer sämtlichen Werke vergönnen, von welchen287,5
soviele sich wegen ihrer Kleinheit überall hin und wie Kolibris in
modische Blumen oder mit aller Schwere der Gelehrsamkeit hinter
Nachttische verstecken. Endlich wär’ es so nahe an der Ewigkeit —
Zeit. — —


Noch hab’ ich zu bemerken vergessen, daß Joseph Max mir unver- 287,10
langt 15 000 rtl. geboten; ob aber sein Haus so fest steht, wie sein gewiß
nicht fallender Charakter, weiß ich nicht. Leben Sie froh, froh!



Ihr Jean Paul Fr. Richter

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Carl August Böttiger. Bayreuth, 20. August 1825. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_493


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955. Briefnr.: 498. Seite(n): 285-287 (Brieftext) und 425 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Germ. Museum, Nürnberg. Gelbes Papier. 8º; 2½ S. von Odiliens Hand, 1½ von J. P. K: Böttiger 20 Aug. J: Denkw. 3,334×. 285,28 ihn] Ihnen H 286, 15 200] aus 300 H 37 Fruchtlese] aus Fruchtlesen H 287,4 Ihr] ihr H

285,22 Frl. v. Stein: vgl. 237, 34†. 286, 7 Viewegs Angebot war vermutlich mündlich durch seinen Sohn Eduard erfolgt, vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), VIII, Nr. 336.