Von Jean Paul an August Beyfus. Bayreuth, 20. und 21. Mai 1820.
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Warum haben Sie nicht sich und mir mehr Gutes zugetrauet? Mein
Schweigen auf Ihre 2 geist- und herzvollen Briefe entstand vorzüglich
daher, weil solchen Briefen nicht mit Zeilen sondern mit
Bogen zu ant30,1
worten ist und weil ich
überhaupt nicht einmal zu Zeilen für die meisten
Briefe Muße
habe. Der Brief vor Ihrem Tagebuch bedeckte mir den
schönsten
Himmelfarthmai mit einem Nebel durch den veranlaßten
Argwohn
eines Unglücks; bis endlich das Tagebuch den Nebel wegnahm30,5
und mir die Sonne wiedergab. Zur schnellsten Antwort fehlte
mir nichts
als Ihr Name, welchen ich zwar in Ihrem ersten
Briefe zu finden hoffte,
aber nicht den Brief selber, der mit
1000 andern im Briefgewölbe eines
großen Kastens auf
Auferstehen, nämlich auf Ordnen wartete. Und sieh
der erste, erste Griff in den Kasten zog Ihren ersten Brief von
Hamburg
30,10
wie eine Quaterne des Schicksals etc. ... Wem die
Musik so in die Tiefe
des Herzens geht, oder was noch
schöner, die Mittrauer um eine edle
Dahingegangne, wie Ihnen,
der ist mein alter Bekannter und Freund
und braucht sich nie
um mein Schweigen zu kümmern ... Indeß möcht’
ich wol ab- und
anrathen; und Ihnen besonders mehr Handeln und30,15
weniger
Reflektieren wünschen; aber wenn man den ganzen Autor
menschen kaum aus vielen Büchern erräth, wie noch weniger den
Brief
schreiber aus Blättchen! Und wie
schwer ists, sogar einem lange Be
kannten
einen das Leben durchgreifenden Rath zu ertheilen! Gegen Ihre
Überschätzung meines Werths hab’ ich nicht viel; dem Jüngling ists30,20
immer gesünder, zu sehr zu verehren als zu sehr zu verachten,
und es ist
besser, Sie haben ein Paar Götter zuviel als eine
Gottheit weniger. —
Vertrauen Sie mehr sich oder noch
richtiger, ganz dem Allgenius. Es
werden Ihnen noch manche
Blüten der Jugend abfallen; aber blos die
unscheinbaren
Fruchtansätze stoßen sie aus und als Mann werden Sie30,25
schon die vollern Früchte wahrnehmen. — Nur den Dämon des Ehr
geizes und den Waldteufel der Eitelkeit
fliehen Sie; und sein Sie mit den
nahen Engeln des Guten und
Schönen zufrieden.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an August Beyfus. Bayreuth, 20. und 21. Mai 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_50
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K: An A—B—s in Hannover. 20, 21 Mai. i: Wahrheit 7,320 (undat.). B 1: IV. Abt., VII, Nr. 181. B 2: IV. Abt., VIII, Nr. 22. B 3: IV. Abt., VIII, Nr. 29. A: IV. Abt., VIII, Nr. 53.
Nach seinem ersten, unbeantwortet gebliebenen Briefe hatte Beyfus in einem zweiten, etwas vernünftigeren, aber immer noch sehr verstiegenen, der hauptsächlich über den Titan handelt, am Schluß seinen Namen und die Adresse seines Vaters angegeben. In dem dritten, mit A. B. unterzeichneten Brief aus Hannover hofft er, J. P. werde ihn wegen seines jüngsten unseligen Briefes nicht verurteilt haben, verweist auf sein zugleich übersandtes (nicht erhaltenes) Tagebuch, nach dessen Lektüre J. P. ihm verzeihen werde, und schließt mit den Worten: „Übrigens hab’ ich, wenn ich das Päckchen weggeschickt, die Ruhe, nach der ich gedürstet; ich will und erwarte nichts mehr.“