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Korrespondenz

Von Jean Paul an Heinrich Voß. München, 7. Juni 1820 bis 8. Juni 1820.

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München d. 7ten Jun. 1820

Mein theuerer Heinrich! Seit dem 30ten Mai bin ich hier, aber in keinem Heidelberg. Ich rechnete so lange am Wetter, bis ich gerade das schlechteste getroffen, das sich von den Tyroler Alpen noch Verstärkung von Kälte und Gewölke holte. —

Nimm mit historischen Skeletten vorlieb, denn der Briefminuten bleiben mir wenige, von welchen noch dazu meine Frau so viele für sich verlangt. — In Regensburg hatt’ ich mit Graf Westerholt, dem Freunde meines Primas, die hohe Stunde einer Todtenfeier des Ge liebten. — In Landshut besucht’ ich nur Köppen und seine Frau; ein blitzender Abend voll Philosophie und Scherz. — Das Schönste und Liebste, was ich hier fand, war mein Max. Sein gelehrter und sein moralischer Gehalt hat sich hier verdoppelt. Mein Vaterherz kann dir mit keinem Worte ausdrücken, wie es sich an dem reinen, heißen, wissensdurstigen, bescheidenen Jüngling erquickt und erfrischt. Da er Morgen und Abends und noch öfter bei mir ist: so ist mir das ungemüthliche München eine halbe Heimath. — Ein Umsturz des Wagens auf dem Wege nach Nymphenburg lieferte mir zum Wetterübel noch einen starken Brustschmerz, über welchen mein mitfahrender Max bitterlich weinte; — siehe den Dualismus! — Thiersch herrliche Nase, Augen, Offenheit und alles hat mich für ihn erobert. Dein Loben hab’ ich ihm ausgeplaudert; wie ich überhaupt eine wahre Stadtklatsche von allem bin, was einer dem andern hinter dem Rücken nachsagt im Lobe. — Deine Briefe adressiere: abzugeben im Rochusgäßchen N. 1453 zwei Treppen hoch. — Zum Glücke wohne ich im Häuserkreise vor der Stadt, der gerade die Gelehrten, folglich die Ausländer befaßt, z. B. Schlichte groll, Yelin, Sömmering etc. etc. Die Inländer innerhalb brauchen ein Jahr, um meine Ankunft, und ein Jahrhundert, um mein literarisches Verhältnis zu erfahren. König und Königin werd’ ich nach ihrer Rück kehr sehen.

8ten Jun.

Das schlechte Wetter ist mir in so fern lieb, als ich wegen der kranken Brust doch gutes nicht lange durch Gehen genießen könnte; und so empfiehlt sich mir wieder die kranke Brust, da ich mit einer gesunden doch keine heitere Luft zu athmen bekäme. — „Hohenbaum’s“ Lungenschlag fluß muß es im Mspt heißen. Wie gefällt dir der Traum über das All? — Den Damenkalender auf 1820 solltest du doch lesen. — Von Byron hab’ ich nur den Mazeppa und noch ein Gedicht gelesen, wo er freilich nur als ein fliegender Engel, nicht als ein gefallner schreibt. — Ich sah das glänzende Frohnleichnamfest; aber der Grimm über den Pfaffenunsinn erstickt den ästhetischen und empfindsamen Genuß. Es ist schön, einen König zum ersten male blos auf den Knieen zu sehen; ein knieender König predigt feuriger als ein knieender Priester.

Deine trübe Nachricht über die mir unvergeßliche Koch hat mich im frohesten Briefe trüb gestimmt; wie sehr hat mich daher die frohere in deinem letzten erquickt. Grüße sie und die herrliche Bürgermeisterin; in ganz München findest du von ihnen nicht einmal einen löschpapiernen Nachdruck. — Grüße die sämmtlichen Paulus — und Schwarz — und Creuzer — und deine Kusine und um recht zu schließen, Vater und Mutter und dich.

Schreibe bald!


Dein J. P. F. Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Heinrich Voß. München, 7. Juni 1820 bis 8. Juni 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_56


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955. Briefnr.: 56. Seite(n): 37-38 (Brieftext) und 337-338 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Houghton Library, Harvard University, Cambridge (Mass.); ehem. Kat. H. Geering, Basel 1925. 3 S. 4°; auf der 4. S. Adr.: Herrn Profess. Heinrich Voß in Heidelberg. K 1: Voß 7. 8. Jun. *K 2 (von Karolinens Hand): Berlin JP. J: Voß S. 110×. B: IV. Abt., VIII, Nr. 33. A: IV. Abt., VIII, Nr. 42. 37,3 Mai] fehlt J 6 Gewölke] so K 1 J, Gewölk H (laut Katalog) 15 keinen Worten J 24 hinter dem] im K 1 nachsagt im Lobe] so K 1 J, an Lobe nachsagt K 2 38,5 Frohnleichnamfest] so J, Frohnleichnamsfest K 2 8 knieender2] so H K 1 J, verb. in stehender K 2 (vgl. 40, 1). Abweichungen von H: 37,7 vorlieb] lies fürlieb 15 mit keinen Worten 23 allem] aus jedem Worte 38,9 so unvergeßliche 10 trüb gestimmt] lies verdunkelt 12 fändest 13 sämmtliche

37 , 22–24 Voß hatte sich über Thierschs Ausgabe von Pindars Werken (Leipzig 1820) sehr lobend geäußert, besonders über die Zueignung an Jahn. 36f. Hohenbaums Lungenschlagfluß: s. I. Abt., XV, 84, 14f. 38, 9 Koch: die Wirtin vom Karlsberg in Heidelberg, s. Bd. VII, Nr. 442. 11 Bürgermeisterin: Walz, s. Bd. VII, Nr. 395, 182,15 .