Von Jean Paul an Ludwig Friedrich Schmidt. München, 8. Juli 1820.
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Hochzuehrender Herr Hofprediger!
Der gestrige Nachmittag gab mir mehr als ganze Wochen hier zu
reichen im Stande sind. Durch Sie werd’ ich der liebenswürdigsten
Königin vielleicht am angenehmsten den Dank wiederholen für
das
Geschenk eines Anblicks, womit nur eine solche Mutter und
nur solche52,25
Kinder zugleich rühren und entzücken
können. Es ist der Genuß des
schönen Lichts, das sich in sieben
Farben bricht. Dem siebenten
Julius fehlte für mich nichts als daß er nicht der dreizehnte war. Leider
war ich gegen
meine Erwartungen — da ich die Königin nur 2 mal kurz
nach Ihrer Ankunft und vor Ihrer Abreise sehen können — im
Falle52,30
der Nordländer, die am kürzesten Tage die
Sonne nur auf- und sogleich
untergehen sehen, ohne sie einen
Tag über sich am Himmel zu haben.
Möge die so rührend
leidende Prinzessin bald genesen. Aber schon unter
den Schmerzen wird sie für diese belohnt durch die Zartheit
und Schön53,1
heit, welche ihrer Physiognomie
das Dulden gibt. — — Da ich für mich
fast nie, aber desto
öfter für andere bitte, so bitt’ ich Sie — der Sie in
demselben Falle bei der Königin sind — auch hier für andere. Eine
Jugendfreundin von mir, Md. Otto —
deren Mann schon lange mit der
53,5
Tabak-Regie quiesziert geworden — bedarf für ihre
Enkelin Aline,
deren Mutter meine Taufpathe ist und welche von der Natur gar
keine
andern Güter erhalten als die eines schönen Herzens, Ihrer
gütigen
Hand zur Nachhülfe. Sie gaben ihr zwar, wie mir die
Mutter sagte, die
Hoffnung, nach 4
Jahren ins „Institut der Königin“ aufgenommen zu53,10
werden; da sie aber schon 8 Jahre zählt: so würde das Glück ihrer
Bildung erst ins 12te Jahr, also
verspätet fallen. Ich setze nichts dazu,
da ich durch Emanuel und durch Baireut weiß, wie schön Sie Bitten der
Noth erfüllen und erfüllen lassen. Gewähren Sie die meinige
für die
Tochter meiner Taufpathe: so haben Sie mir ein
schönes Schmerzen53,15
geld für den
Umsturz auf meiner ersten Fahrt nach Nymphenburg aus-
gezahlt — und Gott segne Sie und die
Königin dafür! — Dieser unter
Einpacken und Besuchannehmen
geschriebne Brief und meine Bitte
selber mögen durch das
Vertrauen, das ich auf Ihre Güte und Ihr Ver
zeihen und auf Ihr Harmonieren mit meinen bessern Wünschen
äußere,53,20
die Achtung aussprechen, womit ich schon
früher in Baireut [von] Ihrem
schönen Wirkkreise Ihres Beglückens wie Ihres Erleuchtens
mich
angezogen gefühlt. — Leben Sie froh!
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Ludwig Friedrich Schmidt. München, 8. Juli 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_74
Kommentar (der gedruckten Ausgabe)
SiglenK (von Maxens Hand mit eigenh. Korrekturen): Hofprediger Schmidt in München 8 Jul. (8 mit Blei verb. aus 6, darüber gestr. Donnerst und von Jean Pauls Hand, mit Blei gestr.: Heute — Donnerstags — schreib’ ich 52,23 Sie] sie 53, 4 .Eine] von J. P. verb. in ‚für eine (wohl versehentl.) 14 meinige] von J. P. verb. aus meine
Ludwig Friedrich Schmidt (1764—1857), einflußreicher Kabinettsprediger der Königin Karoline, s. Allg. Deutsche Biogr. 34,722. Vgl. Tagebuch, 7. Juli: Besuch der Königin, darauf Essen mit Schmidt, dann Sehen der Prinzessin. Die Königin hatte sechs Töchter; die jüngste, Karoline Maximiliane Josepha, geb. 21. Juli 1813, starb nach langer Krankheit am 4. Febr. 1821. Der 13. Juli war der Geburtstag der Königin. 53, 6 Aline Hake, die 1813 geborene Tochter von Renate Ottos ältester, seit 1817 verwitweter Tochter Pauline (dem Patenkind Jean Pauls), wurde 1837 Gattin von Fr. Täglichsbeck, dem Herausgeber der Briefe Jean Pauls an Renate.