Von Jean Paul an Max Richter. Bayreuth, 20. Juli 1820 bis 21. Juli 1820.
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56,4
Mein guter Max! Wir passen wahrscheinlich wechselseitig
auf ein
ander. Glücklich bin ich zwar
angelangt, aber über den langweiligsten
Weg von der Welt;
der über Amberg und Regensburg wäre eine
Regenbogenstraße dagegen gewesen. Desto seeliger leb’ ich
dafür zu
Hause und dießmal ist mir die Heimath das schöne
Fremdland. Alles was56,10
meine gute Caroline gethan und thut, entschädigt mich für Münchens
Wolkentage, von den verbesserten Zimmern an bis zu den
Brief
bündeln, in welche sie das
ungeheuere Briefchaos mehrer Koffer
geordnet, gesammelt
und überschrieben hat. Alle Zimmer lachen, sogar
die
Küche. Seit Jahren war ich nicht so häuslich seelig. Auch deine56,15
Schwestern sind schön fortgeschritten und geflogen. Sie
können deine
Ankunft nicht erwarten und denken Wunder, was du
geworden; du
wirst sie aber schon über dieses wie über
anderes eines bessern belehren.
— Eben singt mir meine Emma, deren Spiel und Stimme in meiner
Abwesenheit über Erwarten gereift sind, das herrliche
Bach-Himmel56,20
lied von der
Luise v. Schaden. Gehe doch zur freundlichen Familie
und
bitte noch um das Gondellied der andern verheiratheten
Schwester, das
deine und meine Ohren über die Wolken gen Himmel
getragen. Und
der Mutter sage, daß ich ihre Bitte um das
Epitaphium gewiß erfülle.
— Gehe zu Schlichtegroll und
danke ihm für volles Herz und volle
56,25
Hand und für all sein Geben; und dann sage doch
noch der wahrhaften
Grazie der Ehe, der Frau, einen neuen
Nebendank. — Ich wollte, du
könntest auch meinem unvergeßlichen Sömmering eine
Erinnerung an
mich und sich zubringen.
Antworte recht bald. Schreibe auch einmal wenigstens an Emanuel,
wenn nicht auch an Otto. Grüß die Gailischen ...
Die Mutter wird fortfahren. Lebe wol!
[von Karoline:] 57,1
... Besonders wird Carové aus Heidelberg Dich mit seiner Liebe erfreuen,
der
in wenigen Tagen Dir einen Brief von Emma, die allein Zeit Dir zu schreiben
hatte, geben wird ... Er hat viele Freunde in
München, namentlich den jungen
Niethammer, den Du wohl auch kennst. Künftig kannst
Du in Heidelberg bei ihm
57,5
Collegia hören; er bleibt für’s Erste dort.
Daß der Vater mit allen meinen Einrichtungen so vollkommen zufrieden war,
ist herrlich. Wir leben wie im Himmel und ich kann
mir beinahe nicht die Möglich
keit einer Verstimmung denken; so sicher und
schön ist mein Gefühl von der Zu
kunft. Der liebe Vater ist so recht kindlich glücklich — Gott erhalte ihn
uns nur noch57,10
lange.
Ein Herzog von Würtemberg logirt jetzt in Fantaisie. Heute morgen kam Birkel
recht früh und brachte dem Vater eine allgemeine
Einladung am Mittag bei ihm
zu essen und die Frage,
wann der Wagen ihn holen dürfe. Das Väterchen
nahm
es zum Sonntag an
...
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Max Richter. Bayreuth, 20. Juli 1820 bis 21. Juli 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_78
Kommentar (der gedruckten Ausgabe)
SiglenH: Katalog 524 Stargardt (Okt. 1955), Nr. 194; 4 S. 8° (2½ von Jean Paul, 1½ von Karoline) (für die Textkonstitution nicht berücksichtigt). J: Max Richter Nr. 3×. A: IV. Abt., VIII, Nr. 57. 56,13 mehrerer 22 Schwestern Abweichungen von H : 56 , 20 gereift sind] aus reiften herrliche Bach-] ist zu streichen (die zugehörige Anmerkung S. 343 ist also hinfällig) 21 Schaden herrlich nach. 23 gen] aus in 29 und sich] nachtr. 32 Grüße die Gailischen. Was macht die Pazientin? [ vgl. Nr. 72†] 57 , 2 Geliebter Max! Ich wollte dir sogleich am Tage der Ankunft des Vaters schreiben, um dich so- bald als möglich für die Trennung von ihm zu entschädigen, allein der Vater wollte es nicht, und mich macht es so glücklich ihm in Allem gehorsam zu sein, daß ich es aufgab. Desto mehr haben wir aber von dir gesprochen nicht allein unter uns, sondern auch zu andern Lieben, die sich Alle so sehr für dich inter- eßiren. Besonders 15 Die Mutter Herzogin [Frau des Herzogs Alexander, Antoinette, geb. Prinzessin von Koburg] kömmt in 8 Tagen. Die Söhne [ Alexander und Ernst, geb. 1804 und 1807] frugen Birkel: ob sie wohl wagen dürfen den Vater zu bitten?
56,7 f. J. P. war von München über Pfaffenhofen, Ingolstadt, Eichstädt,Nürnberg zurückgereist. 19–23 Vgl. Nr. 106†. Das Bach-Lied istvielleicht das in der Unsichtbaren Loge genannte von Rust, s. I. Abt.,II, 307†; das Gondel-Lied war laut Tagebuch von Gluck. 57,2 Carové: vgl. 59,6ff. 12 Alexander Friedrich Karl, Herzog von Württemberg (1771—1833), General der Kavallerie in russischen Diensten, Schwagerder Herzogin Wilhelm (Bd. VII, 275), Gatte der Prinzessin Antoinettevon Koburg (s. Br. IV, 409).