Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 14. Januar 1820.
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Mein geliebtes Weib! Je näher deine Ankunft rückt, desto drückender5,30
wird mir mein Sehnen; denn nun tritt noch die Vorstellung
deiner
einsamen Fahrt und die Angst vor deinen Gefahren und
Beschwerden
dazu, und ich fühle zu stark, wie viel du allein mir bist. — Aber wie
sind
nun unsere Reisevorkehrungen zu treffen? Dienstags den 18ten langt6,1
dieser Brief erst an; deine Antwort darauf
hier Sonnabends den 22ten.
Ein
Fuhrmann, den ich dir nach Leipzig schickte, käme erst den 28ten oder
27ten in Leipzig an. Da du aber gewiß auf meinen Mittwochsbrief
vom 5ten antworten und da schon wissen wirst, daß Betty nicht mit dir
6,5
reisen kann: so werd’ ich — ohne Rücksicht auf diesen Brief — alles
thun und schicken,
was du in deiner Antwort auf den Mittwochsbrief
verlangen
wirst, ohne eine Antwort auf den gegenwärtigen zu erwarten.
Um
Gottes Willen, setze dich nur nicht, zur Schonung des verfluchten
Geldes, einem einsamen gefährlichen Reisen, oder einem im
Voraus6,10
sehen wachsender Kälte
aus. Gott gebe, daß du in dem Briefe, der jetzo
unterwegs ist,
den hiesigen Fuhrmann und deine Leipziger Wohnung
bestimmst, welche ja bei der trefflichen Ende nehme. Was ist Mahlmans
Gesicht gegen ihr Herz? — Kaufe dir ein Mittelköfferchen, das
du mit
dem Wichtigsten in den Wagen stellst. Lasse den großen
Koffer, wo mög6,15
lich, vornen
aufbinden; wenigstens siehe am Morgen bei jedem Auf
steigen nach der Festigkeit desselben. — Die Kommissionen
deiner oft
zudringlichen Freunde gehen ins Unendliche; hüte
dich nur vor Mauth
strafen. — Vergiß die
Revision des Passes nicht. — Gingest du doch
durch Altenburg, um an Hempel die
beiliegende Bitte zu schicken und
6,20
die gastfreien lieben Ludwigs
zu grüßen sammt Messerschmidt! —
Könntest du in Leipzig einige Tage
ruhen, nur aber so daß du vor
Anfang Februars ankämest der neuen Magd wegen! Erst in
voriger
Woche erfuhr ich viel zu spät (nach der
gewöhnlichen Lebensunklugheit der
Emma), daß du leider in einer Aufwallung die jetzige
abgedankt und
6,25
daß diese, aus deren Betragen ich nichts errathen,
sich auch in einer Auf
wallung bei Seiffertitz vermiethet, der sie nun nicht wieder losläßt,
so
gern sie auch wollte. Um nicht bei deiner späten Ankunft auf
den Abhub
der Dienstlosen eingeschränkt zu sein, hab’ ich eine
auf 1 Vierteljahr
gemiethet, welche alle Tugenden der jetzigen
ohne ihre Fehler zu haben6,30
scheint und sich dir durch
ihr ganzes Wesen gewiß länger unentbehrlich
machen wird.
Freilich fand ich jetzo die Fehler der jetzigen gar zu oft
wiederholt. — Am Ende kann ich doch wol deine Pelzstrümpfe noch gegen
die Fußgicht gebrauchen, deren Rückfälle mir übrigens
Brustessenzen
und Herzstärkungen sind. Ohne jene
podagristische Fußableitung riebe6,35
mich der Wintergrimm
auf. — Mein Einreibmittel gebrauche, wegen Ge
fahr der Verstopfung, nicht oft hinter einander. — Bringst du
mir auch
ein englisches Federmesser mit gerader Klinge mit? —
Sprich doch nicht
7,1
von deiner Entbehrlichkeit! Nur durch deine Fürsorge 〈Vorordnung〉 ist
einige in Haushalten da und hier mehr im Küchenantheil. Aber für die
Erziehung der Töchter und für mein ganzes, ganzes Wesen gäb es
ohne
dich nur Bedürfnis. Wärest du mir entbehrlich, so wär’ ichs
dir auch.7,5
Quäle mich nicht mehr mit deiner falschen
Selbererniedrigung. —
Emma
ist am besten in der Küche; aber zur Ordnung, zur Übersicht,
zum Ge
schäftblick ist nur Odilia geschaffen. Und wie unentbehrlich war mir
diese geborne Krankenwärterin! — Lasse von Reimer eine Antwort an
mich abholen.7,10
Bitte Henriette und Julius, die ich grüße, recht, daß sie dich nicht
wagen lassen.
Dieß ist nun mein letzter Brief nach Berlin. — Wolkige
Stunden,
zumal in der Nacht, werd ich haben, bis ich in dein treues
Angesicht
wieder schaue. Mein einziger Trost ist die feste
Zuversicht zu Gott, daß er7,15
mich, wie immer, mit
Schmerzen verschonet, die mir zu groß wären; und
so wird er
auch dich noch lange mit meinem Tode verschonen, denk’ ich.
Richter
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 14. Januar 1820. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VIII_8
Kommentar (der gedruckten Ausgabe)
SiglenH: Berlin (nicht JP). 4 S. 8°. J: Wahrheit 8,234× (als Schluß von Nr. 2). B: IV. Abt., VIII, Nr. 2. A: IV. Abt., VIII, Nr. 5. 6, 4 27] aus 29 13f. Mahlmans Gesicht] aus Mahlmann 35 Herzstärkungen] aus Herzarzeneien 7, 17 denk’ ich] nachtr.
6, 5 f. Vgl. B: „Betty schrieb mir, daß Du einen Wagen bis Leipzig schicken wolltest.“ 19–21 Altenburg: vgl. FB Nr. 1 und Bd. VII, 301f., Nr. 574†. 23 Anfang Februars: Kündigungstermin für Dienstboten war Lichtmeß (2. Febr.); vgl. 10, 6. 7, 2 Entbehrlichkeit: vgl. B: „Daß Ihr so gut fertig werdet [von J. P. dazu gesetzt: wie im Winter ohne die Sonne], ist mir eine wahre Freude; Du siehst, wie leicht ich entbehrlich bin.“ 9f. Reimers Antwort:IV. Abt. (Br. an J. P.), VIII, Nr. 6, aber anscheinend nicht durch Karoline bestellt.