Von Jean Paul an Christian Heinrich Wolke. Bayreuth, 24. Mai 1816.
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Etwas eilig
Verehrter Deutscher! Ihre drei Briefe hab’ ich erhalten, also
drei Freuden (Ihre frühere Schrift an Alexander aber nicht). Vor
allen Dingen die nähere Nachricht über Ihren und meinen
Rezen
senten in der Jenaischen Literatur-Zeitung! Er heißt Christ.
68,15
Sigism und Krause, und ist hier als
„quieszierter“ Kammerassessor.
Seine Schriftchen (nicht Schriften), von Meusel aufgezählt, sind
alle knurrenden Inhalts, er ist ein Kampfhahn, der nur hackt (in
England werden die
Kampfhähne mit Feder messerklingen bewaffnet),
aber nicht zeugt. Ihren Anleit hatt’
er von mir, der ich ihm Dienste
68,20
aller Art erwiesen — wechselte lange Streitbriefe mit
mir darüber
— foderte endlich alle zurück und ließ sie drucken. Darüber
brach ich
mit ihm. Dieser Bruch sagte ihm das Urtheil über
mein Museum
in die Rabenfeder. Das Billet eines
Jemands über den „Befrucht
hut“ (was alles
in der Rezension vorkommt) ist das meinige und68,25
meine
botanische Schutzwehr in diesem Pünktchen ist Blumenbach.
Ich könnte folglich diesen Krause,
der überall das Bittere noch mit
Persönlichkeiten vergiftet,
geradezu nennen und satirisch zerreiben,
wenn die gelehrte
Welt etwas dabei gewänne. Ich erduld’ es aber
ruhig. Übrigens ist er ein leidenschaftlicher Liebhaber meiner68,30
Werke, noch mehr aber Adelungs, der
Franzosen, der Glattschreiber,
und — Napoleons, ein Feind aller
Wunder, Geister, ein etc. etc. pro-
69,1
saischer Prosaist, wie man „poetische
Poeten“ hat. Wie die Männ
chen aus
Hollundermark am Kopfe mit Blei bedachet, so können Sie
ihn
heute so oft aufstellen (nämlich widerlegen) als Sie wollen,
morgen steht das Männchen doch wieder auf dem schweren Kopfe.69,5
Übrigens ist er nur im Schreiben bissig — daher ich zuletzt
kein
Handbriefchen mehr von ihm annahm —, aber im Leben
und
Sprechen sanft, gemäßigt und von vielen Seiten seines
Gemüths
sehr achtbar. Er hat zwar Kenntnisse mehrer
Sprachen, aber nirgend
tiefe, sondern mäßige, doch nicht
seichte ... Nur Ihnen zu Liebe69,10
schrieb ich diese
langweilige Nachricht. Übrigens aber steht Ihnen
das Nennen
seines Namen frei; seine Unsichtbarkeit hat er durch
seine
persönlichen Anspielungen verwirkt.
— Ach wie viel hätt’ ich nun erst zu antworten! — Das Unken
der deutschen Sprache (die ungs, wovon uns im Lateinischen
das
69,15
einzige quincunx so
auffällt) werf’ ich, aber mit bescheidener Frei
heit und mit eben so hoher Ehrfurcht für Wirkung, Ausdruck
und
Dichtkunst als für Sprache, in allen meinen Werken
heraus (zumal
in den künftigen op.
omn.), so auch Fremdwörter; nur aber solche
nicht wie z. B. Antike, um welche sich ein ganzer
Bienenschwarm69,20
nicht anders zu ersetzender
Nebenbegriffe hängt. Statt Ihres
„Höchstschön“ oder „Denkschönbild“ für „Ideal“ würd’ ich
lieber Höchstbild
oder Höchstdenkbild vorschlagen, da es ja Ideale
auch im Wissen, Handeln und Teufeln gibt. Der Dichter muß
am
meisten das Ohr schonen und kann also schwer sagen, z.
B. die „Hoffe“69,25
(warum nicht lieber Hoffnis); weniger
hat es nöthig und mehr kann
wagen und einführen der
Wissenschafter, der Scherzmacher.
Im künftigen Monat bin ich in Regensburg. Lieber sollt’
ich
zu Ihnen reisen als Sie zu mir, da ich in Ihrem
Sprachschatzberg
werke nur den Haspel
drehen kann, Sie aber das Erz finden und69,30
födern.
Besser reiseten Sie vielmehr nach Freiberg zum
trefflichen
Werner, welcher (seltsam genug) für die vorige Allegorie
zugleich
das Bildliche und das Unbildliche hergab; denn ich brachte
einmal
einen ganzen Abend mit ihm im Zuhören seiner
Abhandlung über
die geistige und mimische Bedeutung der
Lauter und Mitlauter nach70,1
Fuldaischer Ansicht zu. — — Mein
Papier ist zu Ende und kaum bin
ich am Anfange. — Fahren Sie nur fort,
Deutsch-Begeisterter!
Wie wurden Campe’s Sprachreinigungen verlacht und
verunreinigt!
— Und doch siegt er jetzo weiter. Sie werden noch weiter und
breiter70,5
siegen und auf Ihrem Grabe werden einst
deutsche Eichen stehen
und wurzeln. Jetzo aber kann Sie niemand belohnen als der
Gott
in Ihnen und Gott über Ihnen.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Christian Heinrich Wolke. Bayreuth, 24. Mai 1816. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_183
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin acc. ms. 1910. 201 (derzeit BJK). 4 S. 4°. K: Hofrath Wolke 24 Mai. J: Dresdner Morgenzeitung, 20. Febr. 1827, Nr. 30, und 19. Juni 1828, Nr. 111×. 68,17 von] aus in H 26 diesem Pünktchen] aus dieser Sache H 29 gelehrte] nachtr. H 69,3 am Kopfe] aus oben H 17 eben so hoher] aus höherer H 30 den Haspel] aus die Haspel H
Antwort auf einen durch Bursy (s. Nr. 178†) am 14. Mai überbrachten (nicht erhaltenen) Brief Wolkes, s. Persönl. Nr. 201, S. 146f. Über Krauses Rezensionen von Wolkes „Anleit“ und von Jean Pauls „Museum“ s. Bd. VI, Nr. 960f.† und I. Abt., XVII, 106, 31, 496, 25; vgl. auch Per sönl. Nr. 201, S. 148f. 68, 26 Blumenbach: Bd. VI, 412, 6 beruft sich Jean Paul auf Hedwig. 31 Über Krauses Sympathie für die Franzosens. I. Abt., XVII, Einl. S. LXV, Fußnote. Glattschreiber: vgl. Nachschule § 5 (I. Abt., XVI, 425f.). 69, 25 die Hoffe: nach Helmina von Chézys Bericht sagte Jean Paul 1822 in Dresden bei der Begegnung mit Wolke: „Lieber Wolke, lassen Sie uns die Hoffnung; es darf kein Jota davon wegbleiben!“ (Persönl. Nr. 304, S. 300.) 32 Werner: vgl. Bd. VI, Nr. 381†. 70, 2 nach Fuldaischer Ansicht: vgl. I. Abt., XIII, 133, Fußnote†.