Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 12. April 1817.
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Eiligst.
Geliebter Verehrter! Ich benütze die sichere Gelegenheit des
H. v. Raumer aus Berlin, dir den herrlichen Hamann
zurückzu-
schicken. Schöner konnte diese Sonne
nicht untergehen, wiewol ich
mehr die Glanzwolken des Stils
meine, als die Stralen, die sie auf107,15
oder hinter
„Golgatha“ häufiger wirft. Sage auch dem Direktor
Roth meinen herzlichsten Dank für sein schönes
Worthalten.
Und dir sage einen noch größern für deine Aphorismen in der
Minerva. Fahre nur fort und — wie ich dir längst gerathen
—
gib alle deine zerstreueten Perlen ungebohrt oder ungereiht
der Welt.107,20
Wer jene nur las, fand sie
vortrefflich.
Den dritten Theil deiner Werke hab’ ich in der Meinung, dein
Buchhändler schicke mir ihn wie die beiden andern, noch nicht mir
angeschafft. Halte dieß für keine Bitte — denn du
beschenktest mich
ohnehin so oft — sondern nur für eine
Entschuldigung.107,25
In Regensburg wurd’ ich vom Primas so liebend eingefangen
gehalten, daß ich nicht einmal die Umgegenden besuchen
konnte.
Damals war auch noch Montgelas am Ruder, welchen ich aus
manchen Gründen nicht gern besuchen wollte.
Ich dachte seit einem Vierteljahr oft an deine Kränklichkeit. In107,30
2 Monaten hab’ ich ein ganz nervenschwaches, von ewigen
Kopf
schmerzen gefoltertes Mädchen von
20 Jahren; und in 14 Tagen
den 77jährigen Kirchenrath Kapp,
der 8 [?] Wochen auf dem
Krankenbette und zweimal nahe am Grabes Rande lag, durch
tägliches ein maliges Magnetisieren
ganz hergestellt, ja den letzten107,35
verjüngt. Wahrlich
deine Kopf- und Augenleiden könnte ein halb108,1
so starker
Magnetisör als du in deiner Jugend gewesen wärest, heben,
oder doch mildern. Bitte deine guten Schwestern, die ich mit Liebe
grüße, daß sie dir zureden. Ach mit welcher Begeisterung und
also
tausendfach stärkerer Eingreifung würde eine Hand —
meine gar108,5
vollends — über ein so hohes und geistiges
Angesicht wie deines
sich hinbewegen und deine Gifte
aussaugen wie altdeutsche Weiber
ihren Männern.
Lasse mir doch ein Bischen antworten, geliebter Heinrich! Lebe
wol, wol, wol!108,10
alter
Jean Paul Fr. Richter
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 12. April 1817. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_272
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
H: Berlin JP. 4 S. 8°. Präsentat: e. d. 10ten Mai, b. d. 11ten. K 1 (Konzept, vor Nr. 262): Jakobi. K 2: Jacobi 12 Apr. J: Jacobi S. 180 (12. Aug. 1817; in der 2. Aufl. der Reimerschen Gesamtausg. XXIX, 388 ist das Versehen berichtigt). A: IV. Abt., VII, Nr. 51. 107,15 sie] er K 2 auf] aus im H 16 oder hinter] nachtr. H K 2 21 vortrefflich] aus trefflich H 33 8] vielleicht 6 oder aus 6 H 108, 1f. halb so] nachtr., davor gestr. eben H 7 Gifte] aus Giftschmerzen H
Friedrich von Raumer (1781—1873), der Historiker, war schon im vorigen Jahr in Bayreuth gewesen, s. Max Lenz, Geschichte der Universität Berlin, IV, 327. Hamann: „Golgatha und Scheblimini“ (1784), die letzte von ihm selbst veröffentlichte Schrift. Friedrich Roth (1780—1852), der spätere Herausgeber von Hamanns Werken und Jacobis Briefwechsel, hatte Jean Paul am 12. Sept. 1816 in Bayreuth besucht (Handkalender). Jacobis Aphorismen: im Taschenbuch Minerva auf 1817, S. 259—300, u. d. T. „Fliegende Blätter von F. H. Jacobi“. Montgelas war Anfang Februar 1817 gestürzt worden, weil er sich der Einführung einer Verfassung widersetzte; Jean Paul war ihm wegen seines Verhaltens in der Pensionsangelegenheit zu Dank verpflichtet, aber mit seiner Politik nicht einverstanden. Von Jean Pauls erfolgreichem Magnetisieren berichtet auch Henriette von Knebel in einem Brief an ihren Onkel vom 10. Juni 1817 (H: Goethe- u. Schiller-Archiv); das nervenschwache Mädchen hieß Rau, vgl. 213, 3 und Karoline Richters Brief an J. P. IV. Abt., VII, Nr. 55.