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Von Jean Paul an Caroline Richter. Heidelberg, 18. Juli 1817 bis 20. Juli 1817.

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121,1
Heidelberg d. 18ten Jul. 1817 [Freitag]

Gerade heute, mein geliebtes theueres Herz, wo ich Doktor der
Philosophie geworden, will ich an dich schreiben. Meinen Ahnung
Schluß aus den Schwierigkeiten der Abreise auf das Glück meiner121,5
hiesigen Tage hat der Himmel überreichlich wahr gemacht. Nur
sind der Sachen zum Schreiben zu viel, bei den ewigen Ausgängen
und Zusprechern. Z. B. am Dienstag (d. 8ten) Mittagessen bei
Kirchenrath Schwarz — an welchen du künftig deine Briefe abgeben
lasse, weil ich Montags zu ihm ziehe unter der Bedingung des Be121,10
zahlens —


Am Mittwoch bei der Frau von Ende — an der ich nicht genug
Güte, Ausbildung und Originalität loben kann und welche mir, dir
und den Kindern niedliche Geschenkchen aus Paris mitgegeben —

abends bei D. v. Ditmar, der mir wie Voß alles zuträgt und 121,15
besorgt.


Donnerstags abends Thee (wozu immer ein Abendessen und
Punsch geschlagen wird) bei Kirchenrath Paulus

Freitag bei Voß abends Thee (zu welchem wie zu jedem Mittag-
male immer fünf, sechs Professoren zu schlagen sind)121,20

Sonnabends Mittags gab die Ende auf dem göttlichen Schloß-
garten einen Thee und 50 Personen dazu —


— abends miethete sie im Gasthof ein Zimmer, um die Studenten
zu sehen, die mir ein Vivat brachten (Siehe die Beilage) —


Am Sonntage fuhr ein Lustschiff mit 80 Personen auf dem Neckar 121,25
fünf Stunden weit nach Hirschhorn (Siehe die Beschreibung, die ich
nachher für Emanuel machen will)

Montags abends wieder bei Paulus

Dienstag Mittags bei Schwarz, und abends bei Professor Hegel

Mittwoch abends bei der Ende 121,30

Donnerstags abends blos zu Thee und Singakademie bei Hofrath
Thibaut

— Heute abends bei Hofrath Kreuzer. Vor der Hand ist noch
nichts weiter bestellt als für den Sonntag Abends ein Thee-Essen
von Dütenberger, für den Dienstag eines von Emilie Heinse zu 121,35
ihrem blühenden Töchter-Institut und Mittwochs von dem Ober
forstrath Gatterer und für Donnerstags die Singakademie von 122,1
Thibaut und Essen.

Wie soll ich die Liebe und Achtung malen, womit ich hier bis zur
Übertreibung gesucht werde? Der Hund allein könnt’ es, weil der
nie so gut gefüttert wurde von schönen Händen als hier.122,5

Heute brachten mir der Professor Hegel und der Hofrath Kreuzer
mit den Pedellen hinter sich im Namen der Universität das perga-
mentene Doktordiplom in einer langen rothen Kapsel. Max soll
dir das papierne übersetzen. Du kannst es dann überall herumgeben.
— Du mußt aus diesem Briefe an dich vorlesen und ihn Emanuel 122,10
und Otto geben und den an Emanuel nachlesen; denn es ist mir
schlechterdings unmöglich, so manches zweimal, ja kaum einmal zu
schreiben.


Ich habe hier Stunden erlebt, wie ich sie nie unter dem schönsten
Himmel meines Lebens gefunden, besonders die Wasserfahrt, das122,15
Studentenvivat und die gestrigen Gesänge aus der altital[ienischen]
Musik; aber ich danke auch dem Allgütigen so viel ich kann, durch
Milde, Stille, Bescheidenheit, Liebe und Rechtsein gegen jeder
mann.


Apropos! Der Dachdecker soll hieher auf der Post nach den [!] 122,20
D. von Ditmar zwei Büsten von mir, jede aber besonders gepackt
— weil die eine noch weiter geht — und an den Kirchenrath
Schwarz eine senden. Findet man sie hier ähnlich: kann er viel
absetzen.


Mit Menschen verweb’ ich mich, von welchen ich früher Ent122,25
fernen gefürchtet, z. B. mit Paulus, mit seiner Frau — welche gar
nichts von dem Jenaischen Rufe einer vordringlichen Literatur-
koketten hat, sondern eine klare tiefe Hausfrau ist — und mit seiner
schönen Tochter Sophie, die fast nur mich und die Bibel lieset, auch
das Schwerste versteht oder sich erklären läßt und die ich nach dem122,30
Wunsche der Mutter zum Heirathen bereden soll, weil sie alle
Männer ausschlägt, um nicht in der Ehe ihre Mutter weniger zu
lieben.


Der gesellige Ton hier ist Leichtigkeit, Anstand und Freude; vier
ausgetrunkne Punschbowlen bei Voß und 100 ausgetrunkne Wein- 122,35
flaschen auf dem Schiff ließen doch diesen Ton bestehen. — Von der123,1
Gegend lasse mich um Gottes Willen nichts sagen, ausgenommen
abends, wenn ich dir wieder gegenüber sitze.


Dem herzigen urdeutschen liebereichen und kraftreichen Voß hab’
ich auf dem Schiffe das Sie genommen und habe nun in so alten123,5
Jahren ein neues Du mehr gemacht.


Max muß mir in Heidelberg studieren; lauter Schutzgeister um-
geben ihn in Gestalt meiner Freunde.


Sehr theuer ist es hier. Die erste Woche zahlt’ ich im Gasthofe
22 fl.; aber ein Misverständnis des Kellners war Mitursache;123,10
für einen Schoppen Wein zu 48 Kreuzer hielt ich eine Flasche, die
eben 2 Schoppen ist; ferner den Tischwein für darein gegeben wie bei
uns das Bier, der jedoch 20 kr. kostete. In Würzburg zahlt’ ich für
1 Abend-, 1 Mittagessen und 2 Frühstücke (den mäßigen Kutscher
eingerechnet) 8 fl. — Der Krug Bier kostet 12 kr., ein Mittag123,15
essen 40 kr. Die englischen Waren sind hier theuerer als in
Frankfurt.

Nach Manheim werd’ ich mit Gesellschaft reisen, besonders da
Sternberg bei mir gewesen. — Gesund bin ich unglaublich, ich mag
trinken, reden und wachen wie ich will. — Deine Briefe kamen an.123,20
— Wie ist euere Ernte? — Hier wechselt der Himmel und stört sie;
indeß gibt es hier selten Bettler und kein krüpelhaftes Haus. Am
Montage wird jedoch das bessere Wetter kommen.


den 19ten

Welcher herrliche Abendzirkel und Regenbogen gestern um den123,25
Tisch, gemacht aus lauter Professoren und Künstlern, Hirt (zurück
kommend aus Italien) — Aerzten — Philosophen — Philologen —
Theologen — Juristen — Physiker[n] — Kunstkennern〈inhabern〉
wie Boisseret — und dem jovialen Kreuzer! —

Jetzo allerlei durch einander, weil jemand neben mir sitzt — Trinke123,30
erstlich recht viel Bier aus und ziehe neues ab, sobald Rerehni gutes
hat. Den Wein ziehst du in der Woche meiner Ankunft ab und auf
lauter Krüge, und auf die Paar dünnen Bouteillen. — Deine beiden
Herzbriefe hab’ ich erhalten; vermehre sie ja bald. — Schreibe mir
den Tag des Empfangs jedes meinigen, damit ich darnach aufgebe.123,35
— Ob ich nach Frankfurt gehe, ist mir der Kosten wegen noch unent- 124,1
schieden; und doch reizen mich dazu die Bergstrasse und dein Wunsch,
Dimity und Garn einzukaufen. — Da ich der Magd etwas mitzu
bringen habe: könnten es nicht die 2 gestohlnen Schnupftücher sein?
Und wie heissen sie? — Bezahle den Hauszins. — Sei du in keiner124,5
Angst über das Haus; ich bin in keiner; bleibt doch der reiche
Emanuel Wochenlang aus. Mache mir ja die Freude und mache
dir mehr Freude, damit ich nicht allein genieße. —


den 20ten Jul.

Reimer aus Berlin (Apropos! Emanuel hat doch auch sein 124,10
Exemplar von den Fastenpredigten erhalten?) besuchte und gewann
mich; sein redliches Gesicht ist das Siegel seines Werths. — Grüße
die lieben Kinderlein. Emma hat mir die schöne Freude über ihren
schönen Brief doch durch die Buchstaben ein Bischen beschnitten.
Sieh zuweilen ihrem Abschreiben nach, damit mein künftiges Nach- 124,15
sehen mir nicht zu sauer wird. — Und du, lieber Max, wirst doch
gegen deine Mutter wieder wie in den heiligen Tagen deines Abend
mals sein und mich nicht in der Ferne betrüben, da ich so gern an dich
denke; und es wäre hart, wenn ich bei meiner Ankunft dich nicht
freudig umfassen könnte wie die andern.124,20

Ich denke recht oft an dich, Theuere, und in den Nachmittagen
oft mit schneidender Sehnsucht, nach welcher ich indeß doch nichts
fragen darf, da ich einmal eine so lange, nie wiederkommende Reise
gemacht. — Wie würdest du hier von der Schwarz, der Hegel, der
Paulus und vielen ganz anders geliebt werden als in Baireut, wo 124,25
man dich noch mehr verkennt als mich selber. — Schreibe mir alles
Vorfallende, z. B. über die Said. — Fodere doch dem unhöflichen
Reizenstein den 3ten Theil des Hesperus ab, den er außer Baireut
verliehen. — Die Pension ist doch angekommen? — Und so lebe denn
wol, geliebtes Herz, und mache dir nie einen Kummer über mich,124,30
auch bei dem längsten Schweigen unter so vielen empfangnen und
gegebnen Besuchen!



R.

Montags den 21. Jul. schick’ ich diese Briefe ab aus dem
Edenstübchen bei Schwarz. 124,35

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Richter. Heidelberg, 18. Juli 1817 bis 20. Juli 1817. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_298


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Textgrundlage
D: Jean Pauls sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 7. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1954. Briefnr.: 298. Seite(n): 121-124 (Brieftext) und 379-380 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 8 S. 8°. J 1: Wahrheit 8, 93×. J 2: Nerrlich Nr. 144×. B 1: IV. Abt., VII, Nr. 54. B 2: IV. Abt., VII, Nr. 55. A: IV. Abt., VI, Nr. 57. 121, 4f. Meinen Ahnung-Schluß] aus Meine Ahnung 9 du] nachtr. 35 von2] aus bei zu] aus und 122,9 dir das papierne] aus dirs 12 kaum] aus nur 123,4 Dem] Den 124,4 Schnüpftücher 9 Datum am Rande nachtr.

Angekommen 24. Juli. 121, 15 Ditmar: s. Nr. 311† . 24 Beilage: wahrscheinlich ein im Nachlaß (Fasz. 10) erhaltener Bericht über die „Feier der Anwesenheit zu Heidelberg des so verehrten wie geliebten J. P. Fr. Richters, gehalten am Abend des 12ten Juli 1817 durch die Mitglieder der am 23ten Febr. 1817 gestifteten (am Ende Aprils durch höheren Befehl wieder aufgelösten) allgemeinen Burschenschaft“, worin der Text des von den Studenten gesungenen Liedes („Heil, großer Mann, Dir Heil“) und der Ansprache Carovés mitgeteilt sind. Zu letzterer hat Jean Paul angemerkt: Der Verfasser dieses Aufsatzes, Calové [!], Herausgeber eines Almanachs [Taschenbuch für Freunde altdeutscher Zeit und Kunst auf 1816], ein wahrhaft edler Jüngling an Gestalt und Herz; der Stifter und das Oberhaupt dieses Studentenbundes. Vgl. FB Nr. 20. 35 Dütenberger: Pfarrer Dittenberger in Heidelberg. 122, 1 Christoph Wilh. Jakob Gatterer (1759—1838), Prof. d. Kameralwissenschaft u. Technologie in Heidelberg. 4 Hund: der Spitz Alert. 8 Doktordiplom: Original in Berlin JP, abgedr. Wahrheit 8, 85. 21 Büsten: vgl. Nr. 154f. 26ff. H. E. G. Paulus (1761—1851) war 1789—1803 Professor in Jena gewesen; seine Gattin Karoline, geb. Paulus (1767—1844), war Verfasserin von Romanen und Erzählungen. 36 Brief von der Ende: wohl an Karoline Richter, nicht erhalten. 123, 9—17 Karoline hatte sich in B 1 nach den Heidelberger Preisen erkundigt, besonders nach denen der englischen Waren. 18f. Karoline hatte in B 1 Jean Paul darauf aufmerksam gemacht, daß die ehemalige Rosalie von Voelderndorff (s. Bd. VI, Nr. 9f.) jetzt in Mannheim wohne als Gattin eines Herrn von Sternberg-Ungern. 21 Ernte: 1817 war bekanntlich ein Hunger- und Teuerungsjahr; Karoline hatte in B 1 geschrieben, sie habe ihr letztes Mehl verbacken, die Preise für Brot und Korn seien noch nicht gefallen. 26 Aloys Hirt (1759—1839), der bekannte Kunstforscher. 31 Rerehni: Chr. Friedr. Karl Alex. Rehreny, Marqueur der Bayreuther Harmonie, Sohn eines Schauspielers. 124, 5—7 Karoline hatte geschrieben, sie wage kaum das Haus zu verlassen, „da das Gerücht Deiner Reise manchen Schelm anlocken könnte, sich zu bereichern“. 10f. Karoline hatte in B 2 geschrieben, sie habe Exemplare der Fasten predigten an Otto, Wagner und Österreicher gesandt. 16—20 Karoline hatte in B 2 geschrieben, Max verdiene eine kleine Erinnerung, weniger roh zu sein. 24 Frau Hegel kannte Jean Paul schon von Nürnberg her, vgl. Bd. VI, Nr. 649, 271, 8, Nr. 653, 281, 1. 27 Said: eine Bayreuther Bekannte, die von Jean Paul magnetisiert worden war; vgl. 208,5 .