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Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 15. Dezember 1817 bis 16. Dezember 1817.

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162,9
Baireut d. 15. Dez. 1817
162,10

Mein geliebter Heinrich! Etwas muß ich doch deinen schönen
Briefen beantworten — wenn ich auch in der Eile ihren ästhetischen
Werth nicht vergelte —, nämlich die Fragen. Thieriot schrieb als
ein noch 18jähriger Anhänger 〈Schüler〉 Hermanns wirklich den
Homer und seine Scholiasten. Er ist mehr als Liebhaber in der 162,15
griechischen und in der englischen Sprache, welcher letzten er schon
als Jüngling einen stückweisen deutschen Shakspeare abzwang,
übrigens voll Liebe, Reinheit, Redlichkeit, Eitelkeit, Unbesonnenheit
und Außen-Idiotismen. — Calderon spielte auf den alten Glauben
an, daß nur Bockblut den Diamanten weich mache. — Übrigens ist162,20
spanische Klang-Poesie uns unübersetzbar; und zum Theil die italie-
nische; der Dante von Bachenschwanz ist mir in anderer Hinsicht
1000 [mal] lieber als der von Kannegießer. Aber den Homer und
Virgil brachte doch dein Vater mit schweren klingenden Schätzen
zu uns herüber. — Yngur[d] ist im bösen Sinne eine Müllners Schuld 162,25
selber; ist weder zu sehen, noch zu lesen; aber er rechnet wie all’ das
neue Schreibvolk seinen Schatten zu seiner Statur. — Roberts
Gedichte gegen Napoleon sind mir ein leeres Sonnetten-Feuerwerk
ohne Wärme; aber seine Jephta scheint mir trefflich. Rückert
steht lyrisch hoch über ihm; nur übertäubt die Instrumentalmusik162,30
der Sonnette seine dichterische Vokalmusik. Die meisten jetzigen
Sangvögel singen nach einer Drehorgel von Mustern, nicht aus
heissem Bruttrieb, wie die Nachtigall. — Dem lieben Geib kann ich
nichts geben. Mit jeder neuen Monat- etc. etc. schrift bekomm’ ich
einen neuen Feind, weil ich Mitarbeiter sein soll und nie kann und162,35
darf, wenn ich nicht alle Kräfte und Genüße höherer Arbeiten zer163,1
splittern will. —


d. 16. Dezemb.

An Ungern-Sternberg hab’ ich schon den 14ten Oktober einen
beantworteten Brief mit den Stammbuchblättchen für Vin- 163,5
centi
geschickt. — Meine Bitte, Sophie P[aulus] auszuspionieren,
war blos die scherzhaft gesagte, mir damals von dieser Stummen
kleine Fata zu schreiben; denn über ihr Inneres braucht’ ich niemand
zu fragen als sie selber, so offen-wahr ist sie und sie würde mir die
eine Hälfte eines Gedankens zeigen, eh’ sie noch wüßte, wie die163,10
andere nur aussähe. — Sophie Dapping gewinn’ ich immer lieber
durch deine so schönen fast con amore entworfnen Gemälde. —
Rezensiere immerhin meinen 2ten Siebenkäs, aber in der Jenaer
L[iteratur] Zeitung,
um meinem darin geifernden Feind Krause
den Platz zum Wider-Bellen zu nehmen, das ich nach meinen163,15
Saturnalien von ihm erwarte. Sonderbar genug! kann niemand
die zweite Auflage besser beurtheilen als der, welcher die Verbesse
rungen früher erfuhr als die Fehler der ersten, — nämlich du. —
Dittmar ist dem Künstler noch meine Büste schuldig. Sage Schwarz,
er solle, wenn er einmal in einem Kästchen nichts bekomme als eine163,20
lange Nase, es verzeihen, weil es meine eigne sei, die der Künstler
wie ein Tagliacozzo meinem Kopfe nachschicken wolle und die man
mir dann in Heidelberg so leicht aufsetzen kann wie eine Brille. —
Bei der Mutter der schönen Koch würd’ ich am Ende wohnen, wenn
ich rechte Freiheit, zu bezahlen behielte — am allerersten mein Ge163,25
tränk —; aber zwischen mir und euch liegen noch viele Berge und
Monate. — Lasse doch einmal die ewig-bewegliche Bachstelze aus
deinen Briefen hinausfliegen! Nicht eine halbe Minute lang war
ich über das winzige Ding verdrüßlich. — Wie spät komm’ ich in
diesem Briefe auf deine wahrhaft poetische Musik, welche du vom163,30
alten Jahre in das neue verknüpfend überklingen läßest, und auf die
Seelenworte der herrlichen Mutter, deren Hand das Schönschreiben
so leicht wird wie Schönhandeln! Diese Hand möcht’ ich lange
halten und drücken. Sie hat mich und meine Frau wie der Abend-
gesang einer fernen Beterin erquickt. Gott lasse sie dir und dem163,35
hochwürdigen Vater und euch alle sich einander im künftigen Jahre!
So viel kannst du mir leider nicht wünschen, denn ich habe so gar
lange keine Eltern mehr. Bewahre dir, du treuer Bruder, dein 164,1
warmes, festes, reines Herz; dann brauchst du keinen Neujahr
wunsch weiter. Grüße alle, die dich und mich lieben und folglich alle
Grüßende, von



deinem164,5
J. P. F. Richter

N.S. Jetzo kann ich dir nicht eher schreiben, als bis ich entweder
den 3ten Theil des Siebenkäs oder meine Nase schicke. Aus Mangel
an Zeit, meines Emanuels Brief an dich zu begleiten, hielt ich ihn
so sündlich lange zurück.164,10

II N.S. Hüte dich vor Brockhaus; schon das große Honorar
ist bedenklich. Einen edeln Freund von mir hat er sehr getäuscht.
Wenigstens verschiebt und mäkelt er stark.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 15. Dezember 1817 bis 16. Dezember 1817. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VII_359


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Textgrundlage
D: Jean Pauls sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 7. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1954. Briefnr.: 360. Seite(n): 162-164 (Brieftext) und 394-395 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Bayer. Staatsbibl. 3 S. 4°; 4. S. Adr.: Herrn Professor Heinrich Voß, Heidelberg. Fr. (Poststempel: Baireuth 17. Dez. 1817.) K 1 (nach Nr. 360): Voß 15. Dec. K 2 (von Karolinens Hand): Berlin JP. J 1: Voß S. 29×. J 2: Petzet Nr. 6. B: IV. Abt., VII, Nr. 80. A: IV. Abt., VII, Nr. 84. 162,15 Liebhaber] davor gestr. Dile[ttant] H 16 welcher letzten] aus der H 17 stückweisen] aus kleinen H 21 Klang] nachtr. H 26 ist] davor gestr. sie H 28 Gedichte gegen Napoleon] aus neue Gedichte H 29 Rückert] davor gestr. Reim[ar] H 163,1 darf] aus will H 2 will] aus soll H 12 ent worf nen] aus gemachten H 15 den bis nehmen] aus das Wider-Bellen zu wehren H 22 Tagliacozzo] aus Tagliacozzi H 25 behielte] aus hätte H

162,13 ff. Thieriot: vgl. zu Nr. 345; Voß hatte, offenbar mit Bezug auf 156, 18—21, geschrieben: „Ich weiß sehr gut Scherze von bittern Satiren zu unterscheiden, auch wenn der Scherz, selbst der sehr muthwillige, meine Liebsten, meinen Vater, betrifft. Spricht aber einer mit bitterer Unehrerbietigkeit von meinem Vater, verkennt absichtlich gegen bessere Überzeugung diesen edelsten der Männer, lästert ihn — ja, dann bin ich hart und unversöhnlich.“ (Diese Stelle kann also nicht schon in den Brief an J. P. IV. Abt., VII, Nr. 75 gehören.) 19ff. Calderon: s. dessen Schauspiel „El mayor monstruo amor“, übers. von Gries, Schauspiele, 3. Bd., 1818, S. 216; vgl. 247, 16—19† . Voß hatte sich anläßlich dieser von ihm durchgesehenen Übersetzung gegen A. W. Schlegels Über schätzung Calderons gewandt. 22f. Lebr. Bachenschwanz’ Prosaübersetzung von Dantes Hölle und Fegefeuer erschien 1767 und 1768, die von Kannegießer 1809 und 1814. 25 Müllners Trauerspiel „König Yngurd“ (1817), das auf „Die Schuld“ (1816) folgte, war von Voß getadelt worden; vgl. I. Abt., II, 10, 13. 27—29 Ludwig Robert gab 1817 bei Cotta u. d. T. „Kämpfe der Zeit“ 12 Gedichte heraus, von denen Proben im April 1817 im Morgenblatt (Nr. 95f.) erschienen; über sein Drama „Die Tochter Jephthas“ s. Nr. 209†. 29 Rückert: vgl. 104, 1f. 33 Geib: vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), VII, Nr. 79. 163, 6 Sophie Paulus auszuspionieren: s. 156, 16f. Sie hatte am 24. Nov. an Jean Paul geschrieben: „Sie haben ihm [H. Voß] den Auftrag gegeben (über den er sich den Kopf zerbrochen hat), mich um die Erlaubnis zu bitten, mich auszuspionieren; ich habe sie ihm gern gegeben, denn ich wünsche, nach meiner Wahrhaftigkeit, daß Sie mich mit allen meinen Fehlern und Eigenheiten kennen.“ 14—16 In den Saturnalien erhielt Krause wegen seiner Verteidigung des Nachdrucks einige Seitenhiebe. 19—23 Vgl. Nr. 368. Der italienische Anatom Gaspare Tagliacozzo (oder Tagliacozzi, 1545—99) war berühmt durch seine Kunst der Rhinoplastik; s. II. Abt., II, 286, 9. 24 Koch: die Wirtin vom „Karlsberg“ in Heidelberg, s. IV. Abt. (Br. an J. P.), VII, Nr. 146. 27—29 Bachstelze: s. 156, 4†; Voß hatte sich wegen seiner verfehlten Konjektur weitläufig entschuldigt und sogar einen Neudruck des betreffenden Bogens erwogen. 32 Seelenworte der Mutter: nicht erhalten; vgl. 169, 23. 164, 11—13 Bei Brockhaus erschien die Vossische Shakespeare-Übersetzung; der edle Freund ist wohl Otto, der an Brockhaus’ „Deutschen Blättern“ und am Conversationslexikon mitgearbeitet hatte, s. Bd. VI, Nr. 821 b. c. d, und Nr. 839.