Edition
Korpus
Korrespondenz

Von Jean Paul an Johannes Perthes. Bayreuth, 23. Dezember 1809.

Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



Bayreuth d. 23. Dec. 1809

Dank für Ihre mir immer erfreulichen Blätter, sie mögen mich bejahen oder verneinen. Zuerst: Ihrem Museum bau’ ich gern meines an. Nur erlauben Sie meinen Papieren anderthalb Respekt- oder Respitmonate, oder sächsische 6 Wochenfrist zu deren Einbringung. Ich hatte mir oder meinem Körper eben 4 Wochen Ferien gegeben, welche darin bestehen, daß ich lese, exzerpiere, Bücher und Papiere ordne, für mich schreibe — aber nicht für das Publikum. Ich hatte diesen Sommer hindurch, ein Terzianfieber — seit meiner Kindheit die erste Krankheit — doch braucht’ ich (seit 40 Jahren) weder Bett noch Arzt und machte am Zwischentage Satiren z. B. für den Kriegskalender, ja ich konnte (bei meiner Heiterkeit des Kopfes sogar im Fieber, das ich durch philo sophische Werke zu vergessen suchte) fortarbeiten bis ans Frostzittern der Schreibhand hinan. Indeß fodert dieses in seiner Art so einzige Wechselfieber von ganz Deutschland noch immer Schonung für den langsam-geheilten Körper; denn nur Nachzügler nach Nachzüglern zogen fort.

Ihre Ankündigung ist vortrefflich; blos das viel zu harte und unwahre Wort „unterjocht“ ausgenommen und den Titel; denn vaterländisches Museum hieße demnach: griechisches Museum. — Das Honorar bestimmen Sie für meine Kleinigkeiten selber; nur aber nicht deßhalb — wie Sie schon früh[er] einmal gethan — eines über meine möglichen gerechten Wünsche hinaus.

Zimmermanns Aufsatz hatte mich längst begeistert. — Die Er hebungen — ein trefflicher Titel — hab’ ich noch nicht gesehen im illiterarischen Bayreuth; aber Herrmann, den ein Freundes-Paar wie Benecke und Villers lobt, muß seinen Namen verdienen. Es war mir unmöglich, ihm etwas aus den Daemmerungen zu senden, da Cotta daraus exzerpierte —Überhaupt zersplittere ich mich jetzt ordentlich durch die Miniaturstücke, die mir immer von Almanachs Redaktören etc. etc. abgedrungen werden; und die größern freiern Werke werden kaum angefangen. Und dabei hole der Teufel die Posten, die uns ordentlich die immergrünende Kontribuzion auflegen, ja die sogar dem frankierten Briefe sein Recht so wegrauben, daß man den Muth nicht hat, wieder zu frankieren; wenigstens in nordischer Korrespondenz kann ein Brief-Empfänger durch Franko verarmen.

Ihre Zeit-Ansichten thun meinem Verstande und Herzen wol, um so mehr, da ich mich über jeden Deutschen freue, welcher sagt: „ihr Leute, was bebt ihr denn da so? Kommt doch zu euch selber!“

Was meine gedruckten Urtheile über Englands Ministerium — nicht Volk — anlangt, so halt’ ich Hamburg für eine der Vor städte Londons, welche leider bei Belagerungen zuerst abgebrannt werden, sogar vom Freunde. Aber Parteilichkeit mitten im festen Lande gegen Engländer hebt sich vielleicht mit Parteilichkeit an Küsten für sie gewisser massen auf; Bücher sind auch „Realien“ und lassen um so reiner schließen, je weniger man auf der Bühne untergehender Realien steht. Alle gut meinende und denkende Menschen, die einander widersprechen, dürfen sich gegenseitig der Parteilichkeit anklagen und der Unparteilichkeit rühmen.

Ich grüße von ganzem Herzen unsern Beneke. Nur nehme nie mand einem von eignen und fremden Büchern und Briefen übel geplagten Menschen Schweigen übel. Dasselbe sagen Sie auch unserem deutschen Villers, dem ich aber mit dem Mspt an Sie, eine Antwort sammt meinem französischen Bittschreiben an Ber nadotte senden werde.

Leben Sie wol, geliebter Perthes! Das künftige Jahr befriedige Ihr deutsches Herz!


Ihr Jean Paul Fr. Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Johannes Perthes. Bayreuth, 23. Dezember 1809. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_211


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 212. Seite(n): 78-80 (Brieftext) und 457 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Staatsarchiv Hamburg. 4 S. 8°. K: Perthes 23 Dec. J 1: Wahrheit 7, 151×. J 2: Denkw. 3, 212×. A: IV. Abt., VI, Nr. 66. 78, 32 Dec.] aus Nov. H 33 mich] nachtr. H 79,14 langsam-] aus schwer H 21 gerechten] nachtr. H 28 immergrüne K 80,3 so] fehlt K, nachtr. H 4 selber] nachtr. H 16 einen H 18 vielleicht Deutschen H

Perthes hatte in einem nicht erhaltenen Briefe (vgl. Nr. 205) J. P. zur Mitarbeit an seiner neuen Zeitschrift „Vaterländisches Museum“ aufgefordert. In A rechtfertigt er das mit Bezug auf die damalige Lage der Deutschen gebrauchte Wort „unterjocht“. Frostzittern: vgl. Nr. 134 und I. Abt., XIV, Einl. S. CI. Zimmermanns Aufsatz: von Fr. G. Zimmermann über Joh. von Müller in der Minerva, 1809, 3. Bd., S. 1—67. Erhebungen: eine von Friedrich Wilhelm Herrmann in Lübeck herausgegebene Zeitschrift, die J. P. zur Mitarbeit aufgefordert hatte, es aber nur auf einen Jahrgang (1809) brachte. In A spricht sich Perthes gegen das „kleinliche Deutschthum“ dieser Erhebungen aus und freut sich, daß J. P. ihnen nichts gegeben habe. Urtheile über England: in der „Bittschrift an Merkurius“ und in den Dämmerungen, s. I. Abt., XIV, 119, 135 etc., XVII, 203.