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Von Jean Paul an Friedrich Schlegel. Bayreuth, 21. März 1812 bis 25. März 1812.

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258,1
Baireuth d. 21. März 1812

Ihre werthe Zuschrift erfreuete mich mit der Erinnerung an
reichere wissenschaftliche Verhältnisse als ich jetzt genieße. Ihr
Zweck und Plan und dessen Ausführen gefiel mir sehr in den mir258,5
zugeschickten 2 ersten Monatheften, wofür ich Ihnen danke. Ar-
beiten Sie nur selber recht fleißig hinein, zumal für die ästhetische
Kritik, welche jetzt so vielen andern Blüten nachzusinken scheint.
Mehr Ihnen als Ihrem patriotischen Zwecke — welchem ja über
haupt durch jedes ächtdeutsche Buch nah zu kommen ist — bring’ 258,10
ich das Opfer, daß ich mich wieder in einzelne kleine Aufsätze zer
schneide und zersäge und darüber den freien fortlaufenden Genuß
ganzer größerer Werke aussetze. Ich sage 20 Nein zu andern, eh
ich Ein Ja sage zu Ihnen. — Ich überlass’ es ganz Ihrer redi-
gierenden Berechnung, in welcher paginierten Aufeinanderfolge und258,15
Rangordnung Sie die nur mit einem körperlichen Faden verbundnen
Aufsätze geben wollen, und ob alle auf einmal oder nur vereinzelt.


Da es doch, auch bei Völkern, mehr auf das innere Rechtleben
als das äußere Wolleben ankommt: so haben die Deutschen mehr
der Zeit abgewonnen als man vielleicht denkt.258,20

Den Riesen Hamann soll ich wie einen Pik seinen (literarischen)
Schatten ins weite Weltmeer werfen lassen? — Er ist mir zu groß,
sogar zu einer Vor- und Lobrede. Oft drang ich bei Herder und
Jacobi auf Biographie und Herausgabe; aber keiner gönnte neben-
buhlend dem andern die Ehre; doch Herder war dessen 〈Hamanns258,25
älterer innigster Freund, und Er und Hamann die beiden ordentl.
Briefwechsler. Herder glaubte, nur an Einen habe man recht viel
und alles zu schreiben — bis ins Kleinste hinein — und der war ihm
Hamann. Andern Menschen antwortete er durch seine — Frau.
Von Reichard hab’ ich viel Hamannisches geliehen bekommen 258,30
und von Herder das Übrige geschenkt; beides mit Hand- und Rand
schriften des Autors bereichert. Der literarischen Anspielungen und
Lokalfärbchen sind so viele, daß sogar bei dem Abdruck seiner hand
schriftlichen Erklärungen noch ein allwissender Literator nöthig
bleibt. — Gewöhnlich nehm’ ich ihn auf Reisen in den Wagen mit,258,35
um meine Augen zu schonen. Ich lese nämlich eine Periode und
lege das Büchlein weg und habe dann genug Eier in meinem Kopf259,1
zum Ausbrüten. Übrigens wäre vielleicht die glücklichste Weise,
ihn in das jetzige reifere Publikum einzuführen, diese, daß man ver
ständlichere Apophthegmen-Auszüge aus ihm gäbe. Das Publikum
würde die Auszüge zwar nur halb verstehen, aber doch die ganzen259,5
Büchlein kaufen und sie ein Viertel verstehen. Der rechte Genius
mensch ist eben nicht etwan nur der Zeit voraus, sondern er kennt
gar keine und jede Zukunft ist hinter ihm.


d. 25. März

Der Zeit-Zwischenraum des Datums kann den Sprung von259,10
Hamann zum Honorar erträglich vermitteln. Ich muß nämlich
der Zeit-Verhältnisse und meiner Schreib-Opfer und anderer Ur
sachen wegen darauf bestehen, daß diese Beiträge nicht gedruckt
werden, ehe Sie mich versichert haben, daß ich für das Ganze
funfzig Silbergulden sächs. Cour. bekomme, welche gerade ⅓ von 259,15
dem ausmachen, was ich von Cotta dafür im Morgenblatte er-
hielte. Im Ja-Falle würd’ ich nach Ihrer Antwort, hier eine An
weisung auf Camesina geben. Im Nein-Folle senden Sie mir das
Mspt wieder zu.


Leben Sie wol in Ihrer patriotischen Kaiserstadt, nach welcher259,20
meine ganze Seele verlangt.


Ich grüße Ihre Gattin.


Ihr
Jean Paul Fr. Richter

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Schlegel. Bayreuth, 21. März 1812 bis 25. März 1812. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_629


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 631. Seite(n): 258-259 (Brieftext) und 534-535 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin v. Radowitz 7282 (derzeit BJK). 6 S. 8°. K: Schlegel d. 21 [nachtr. ab den 28ten] März. i: Wahrheit 7, 267. J: Euphorion, 3. Ergänzungsheft, 1897, S. 161×. B: IV. Abt., VI, Nr. 190. A: IV. Abt., VI, Nr. 206. 258,3 Ihre werthe Zuschrift] Ihr Brief K 9f. welchem .... nah zu kommen] aus welcher .... zu erreichen H 10 nah] aus näher H, nahe K 18 davor durchstr. Absatz Ein Freund von mir, den Sie gewiß unter den Namen Georgius und Christianus kennen, — ein tiefer und [aus aber] warmdeutscher Seher der Geschichte, [nachtr. der Politik] und des Finanzwesens — will Ihnen Aufsätze zusenden, wenn Sie mir Ja antworten. H 23 bei] aus in H 24 Biographie] davor gestr. dessen H 32 literarischen] aus Lokal- H 259,2 Ausbrüten] danach gestr. bekommen H glücklichste] aus richtigste H 6 ein Viertel] aus gar nicht H 7 etwan nur] aus blos H 8 Zukunft] nachtr. H 20 Ihrer] aus einer H

Schlegel hatte Jean Paul unter Berufung auf ihre ehemalige Begegnung in Weimar und Jena zur Teilnahme an dem von ihm im Camesinaschen Verlag in Wien herausgegebenen „Deutschen Museum“, dem Nachfolger des eingegangenen Perthesschen „Vaterländischen Museums“, eingeladen; hohes Honorar dürfe er freilich nicht erwarten, er solle es um des patriotischen Zwecks willen tun. Zugleich hatte er Jean Paul aufgefordert, Hamanns Schriften herauszugeben, wenn nicht mit Kommentar, doch wenigstens mit einer Vorrede; der Kapell meister Reichardt besitze eine der vollständigsten Sammlungen derselben. Auch hatte er um eine öffentliche Beurteilung seiner (1809 erschienenen) Gedichte gebeten; vgl. Nr. 660. — Jean Paul übersandte die „Dämmerungs-Schmetterlinge oder Sphinxe“, die im 5. Heft des „Deutschen Museums“ erschienen (I. Abt., XIV, 252).