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Korrespondenz

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 6. Mai 1812.

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Baireuth d. 6. Mai 1812
263,10

Mein guter Heinrich! Dein Brief hat mir eine unerwartete
Freude gemacht, zumal jetzt, wo man nicht einmal unerwartete
Noth hat. Mit Vergnügen geh’ ich nach Nürnberg und zwar um
1 Tag früher als du ankommst. Nur bestimme mir, wo möglich,
sogar Tagzeit deiner Ankunft und den Gasthof. Professor Schweiger 263,15
allda würde dir — bei möglichen Irrungen — meine Wohnung
sagen lassen können, damit ich richtiger käme. Ich thue bei deinem
so großen Umwege — mög’ es belohnt werden, daß dieses mal
Salomon selber zur Königin von Saba reiset — nur die Frage,
nicht die Bitte, ob du nicht erst auf der Rückkehr von Heidelberg 263,20
über Nürnberg gehen könntest, da mich in diesem Monat die
Ausarbeitung der „Vorschule“ etwas drängt. Nimm aber keine
besondere Rücksicht darauf, so wenig wie ich, der ich mich für das
Ende Monats schon reisefertig halte. Möge dich das Opfer des
Umwegs nicht gereuen! Freilich das Ding im Autor, das wider263,25
deinen Wunsch den Katzenberger und Fibel schreibt, muß auch im
Menschen vorkommen; indeßen will ich dir (wenn ich kann) wie
der Mond nur Eine Seite zukehren; und hat mich doch bei aller
meiner Eckigkeit der Geistes- und Lebens-wunde Herder auch innig
liebgewonnen.263,30

Mein Schweigen über dein treffliches Buch, das ich schon 4 mal
gelesen, kam blos von deinem eignen auf meine Briefchen her; und
es schien mir, als wäre deine Gesinnung gegen mich erkaltet. Bei
nahe hätt’ ich dir doch im ersten Feuer des Genußes geschrieben
und als kleinen Dank einen Aufsatz für das Frankfurter Museum 263,35
der noch ungedruckt bleibt — zugeschickt, nämlich über das Ent264,1
stehen der ersten Pflanzen, Thiere und Menschen; — in welchem
ich das fast allgemein angenommene, mir abscheuliche atomistische
Entstehen- und Konglomerieren-Lassen lebendiger Wesen mit philo
sophischen und physiologischen etc. etc. Gründen angefallen. Vielleicht264,5
bring’ ich dir eine Abschrift mit. Packe auch recht viele Papiere
ein für mich.


Über dein Buch und deinen Feind, der mir oft beinahe körperlich
weh gethan, mündlich das Mehrere! Er findet es selber — wie er
zu Kraser sagte — zu hart. In unserem Jahrhundert gibt es keine 264,10
Dankbarkeit mehr, weder der Schüler, noch der Eroberer. Mich
ekeln ordentlich jetzt die Philosophen, welche wie Schelling und
Fichte, immer eine neue Philosophie aus der Tasche spielen und
vorhalten, wenn man ihre alte angreift, und welche sich als um
gekehrte Proteuse, erst verwandeln, wenn man sie gebunden 264,15
hat zum Antwort geben. Wer Henker — nicht einmal seine An
hänger — konnte wissen, daß er die Endlichkeit zweimal setzt, ein
mal in, einmal außer Gott? Er konnte eben so gut die Göttlich
keit zweimal setzen, einmal außen, einmal innen.



Lebe wol, lieber Bruder! Dein264,20
J. P. F. Richter

Lasse ja, der Sicherheit wegen, deine Antwort unfrankiert.


Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 6. Mai 1812. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_640


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 642. Seite(n): 263-264 (Brieftext) und 536 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 4 S. 8°. Präsentat: e. d. 11ten [Mai]. Mehrere Stellen von Jacobi rot angestr. K: Jacobi 6. Mai (ab 8ten). J 1: Wahrheit 7, 268×. J 2: Jacobi S. 158×. 263,19 Salomon] davor gestr. der H, der Salomon K 26 schreibt] schrieb K 264,4 -Lassen] nachtr. H 5 angefallen] aus anfalle H

Umweg: Jacobi reiste von München nach Heidelberg und Freiburg zu seinem Bruder. Buch: „Von den göttlichen Dingen“ (1811). Feind: Schelling, vgl. Nr. 622†. Kraser = Graser, s. Nr. 526. Endlichkeit in und außer Gott: s. Schellings „Denkmal“, S. 90f.