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Korrespondenz

Von Jean Paul an Caroline Richter. Nürnberg, 21. Juni 1812 bis 23. Juni 1812.

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Nürnberg d. 21. Jun. 1812 [Sonntag]

Dank dir, liebes Herz, für den schönern dritten Brief, den ich gestern (Sonnabends) erhalten. Nur 3mal geht hier die Briefpost ab und immer so dicht nach der ankommenden, daß ich allzeit auf den 2ten Posttag verschieben muß.Auch entstand mein letzteres Schweigen aus der täglichen Hoffnung, daß Emanuels versprochner Brief ankomme. An Emanuel schreib ich, daß er mir nächsten Sonnabend den Wagen schickt; ich komme also künftigen Sonntag um 8 Uhr an. — Dein Pflaster gebrauch’ ich, Liebe, es ging vorher gut und geht noch besser. Nürnberg mit seinen 200 Gassen hat nur kaufmännische, nicht sehr gastfreie Häuser. Ich as bei einem einzigen Kreisrathe D. van Hofen abends; sonst, Merkel ausgenommen und den Obristen Rahndal, nirgends. Ich war nur an 2 öffentlichen grünen Plätzen; der eine in der Stadt, der Schloßzwinger, ist ein Natur-Thron und Olymp für das Auge. Besuche (aber von Gelehrten) bekomm’ ich genug, mache aber keine. — 2 Loth Butter kosten 6 Pf., das Pfund holländischer Käse 20 kr.; für 2 Schnupftücher, 1 Halsbinde, 1 Weste verlangte die Wäscherin 5 kr. — Meine 2 möblierten Stübchen mit Aufwartung 4 fl. monatlich; das beste Bette, das gestern wieder neu überzogen wurde. — Liebe! die 2 Kinder läßest du bei einer warmen Luft, die ja wie die Zimmerluft ist, und gerade in der Mittagzeit, auf ihre Kosten der Ausbildung zu Hause. (Die Regel der Luftscheu gilt nur für Herbst- und Winterluft.) Gott hat uns beide durch die spätere Krankheit der Mädchen vor mancher trüben Minute bewahrt. Aber ich frage dich bei deinem Gewissen — denke doch ernster und länger darüber und lies überhaupt auch meine vorigen Briefe (so wie die nach Altenburg) mit mehr Eindringen in die Meinung —, wenn der Mann und wenn die Frau entgegen[ge] setzte Dinge verlangen, wenn bei Gleichheit der elterlichen Liebe, und bei der größern medizinischen Kenntnis auf der Mannes Seite, und bei dem ihm von allen Völkern zu[ge]standnen Vorrechte gleich wol die Frau fodert, er soll ihr gehorchen: was soll er thun? Gegen sein Gewissen zulassen? Oder soll er, wenn Gründe nicht helfen, mit Macht durchsetzen? Dann heißt er ein Tyrann (obwol nicht bei Männern und nicht bei allen Frauen). — Eine scharfe Klippe, an der die wärmste Liebe sich wenigstens tief zerschneidet. — Du hast mir viel aus meinem Briefe nicht beant wortet, z. B. was ich der Magd mitzubringen. Gib deinen letzten Brief nicht dem Fuhrmann, sondern Freitag-Vormittags auf die Post, so hab’ ich ihn Sonnabends zeitig genug. — Mehl etc. etc. will ich kaufen; schicke mir aber die 3 Säcke dazu; daher der Fuhrmann hier recht bald eintreffen muß. — Die Ausgabe ganzer Laubtl. zu 2 fl. 40 kr. verlangt’ ich, weil 2 halbe doch nur 2 fl. 34 kr. oder gar 30 kr. geben. — Am Ende hat dir das Kleid oder sein Preis wol gar nicht gefallen. Die Hegel ist nicht schön, nur ihr sanft naiver wolwollender Blick; — sonst ohne alle Auszeichnung des Geistes, nicht einmal belesen; und doch gilt sie den Nürnbergerinnen für eine zu hassende Gelehrte, so wenig weibliche Bildung ist hier. — Sage nur den lieben Kinderlein, daß ich ihnen schon was schönes mitbringen werde am Sonntage um 8 Uhr, wenn der Alert unten bellt. — Ich will geräucherte Nürnberger Bratwürste, einen Preß sack, holländischen Käse mitbringen (so wie 1 Gurkenfäßchen); schicke mir doch nur ein bloßes altes oben offnes Kästchen dazu mit. — Ich wollte, ich fänd’ euch Sonntag Abends alle allein. — Sollte von meinen Sachen etwas untergegangen sein: so sage mirs lieber schriftlich. —

22. Jun.

Hätte auch meine Reise keinen Nutzen, als daß ich die pontinischen Sümpfe unseres letzten Verhältnisses ausgetrocknet hätte — auf denen künftig Blumen gedeihen sollen, nicht Giftluft — so hätt’ ich genug und mehr gewonnen als in B[aireuth]. Ich komme mit neuester, d. h. mit ältester Liebe zu dir, mit Sehnsucht und Entschluß. Wie dir, so mir wird immer das alte Herz, das am Altare Ja sagte und nur aus Liebe weinte, durch den Wust der Zufällig keiten bedeckt und erdrückt. Gleichwol sollte man sich den zu schönen Gefühlen entziehen und abstehlen, weil sie an der kleinsten Zugluft leiden; nur aber Grundsätze nicht. Lasse also, wenn etwas Kaltes über das Herz hinweht, diesem nur Zeit, so erwärmt es sich von selber wieder. Denke nur nicht (ich sag’ es eben so gut zu mir als dir) daß etwa von Sonntag an alle kleine Rügen, Mistöne etc. vertrieben sind — dieß wäre das erste Wunder der moralischen Welt —; aber denke daran, daß ein misbilligender Laut oder Blick oder Moment ja von sich selber verraucht und verfliegt, wenn man ihm, dem Hauche des Augenblicks, nicht berauscht die Gewalt des Umsturzes der alten und tief....

den 23ten

gegründeten Zeiten verleiht ... Hier wurd ich gestern unter brochen. Lebe wol, liebes Herz, und lies den Brief öfters.


R.
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Caroline Richter. Nürnberg, 21. Juni 1812 bis 23. Juni 1812. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_653


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 655. Seite(n): 279-281 (Brieftext) und 539-540 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin JP. 3⅔ S. 4°. K (nach Nr. 654): C. 21—22 Jun. Nbg. 1812. J: Nerrlich Nr. 137×. B: IV. Abt., VI, Nr. 203. A: IV. Abt., VI, Nr. 205. 279,30 nächsten] nachtr. H Sonnabends H 33 aus] aus von H 280,1 künftigen Sonntag] aus Sonntags H 5 den] davor gestr. einmal H 7 Natur] nachtr. H 32 Vormittags] rot unterstr. H 281,1 nicht2] davor gestr. gar H 7 will] aus möchte gern H 14 pontinischen] davor gestr. alten H 24 es] er H 26 alle] aus nicht H 27 dieß] aus es H 29 wenn] davor gestr. ohne darum ihm die Gewalt, H 30 des2] aus eines H

Karoline hatte sich beklagt, daß er auf ihren ersten Brief (Nr. 191) zehn Tage geschwiegen und auch den zweiten (Nr. 192) nicht gleich beantwortet habe, und ihn dringend gebeten, diesmal gleich zu antworten und Bestimmtes über seine Rückkehr anzugeben. Sie hatte ein Pflaster für seine kranke Fußzehe geschickt und gebeten, ihr Mehl und Grieß mitzubringen. Nur auf sein ausdrückliches Begehren (s. 270, 26f.) habe sie einige halbe Laubthaler für notwendige Bedürfnisse ausgegeben. Emma und Odilie seien wieder gesund. Er solle ihr etwas von der Hegel schreiben. Sie habe ihn nicht einsam, sondern „wie einen Ball unter Menschen und Freuden hin- und hergeworfen“ gewähnt. „Dein heutiger Brief ist so ernsthaft wie das Leben, und schwer wie dieses stimmte er die Saiten meiner Seele zu Schmerz und Wehmuth. O, laß Deine erste Umarmung jauchzend mein Innres durchströmen, sage mir, wenn es wahr ist, daß Du Dich freust mich wieder zu haben, wie es auch bei völliger Trennung nicht möglich wäre, uns nicht mit glühender Freude wiederzusehen, Wärst Du blos mein Freund, Du liebtest mich gewiß.“