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Korrespondenz

Von Jean Paul an Eva Thieriot und Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 3. Juli 1813 bis 12. Juli 1813.

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Baireuth d. [3.] Jul. 1813

Ich habe nicht den Muth, zu schreiben den heutigen oder dritten, weil ich nur weiß, wann ich anfange, aber nicht wann ich endige. Sonst übrigens stell’ ich es als feste Regel auf, nicht nur Monat-, auch Jahrzahl vor Briefe zu schreiben, — unähnlich den Brief stellerinnen; — nach vier Wochen oder Jahren entsinnt sich kein Mensch mehr des Datum, so sehr auch jeder im Augenblicke des Schreibens und Lesens kein Vergessen sich denklich denkt.

Mein guter alter Thieriot! Ihre Schreibgüte überwältigt meine briefliche Faulthierheit. So oft fuhr ich mich an — denn oft ärgert man sich, daß man nicht zwei mal 〈als Doublette〉 da ist, um mit dem einen Exemplare 〈Ich〉 das andere 〈Dito Ich〉 zu prügeln — daß ich auf Ihre mir so lieben, so reichen Briefe so lange geschwiegen; und mein Schweigen auf hundert andere Briefe war keine Entschuldigung bei Ihren, zumal da Sie immer mit 2 Herzen und Köpfen auf einmal an mich schreiben durch Ihre treffliche Eva, die Äpfel von einem Baume des Erkenntnis reicht, auf welchem keine Schlange sitzt. Und ich will denn bei dieser Gelegenheit auch nicht versäumet haben, meinen Glückwunsch zu Ihrer nun vollstreckten Vermählung beider abzustatten und dabei zu wünschen, daß sie und Sie nicht nur dieses Jahr, sondern auch noch viele andere in vollem u. s. w.

Wahrlich, ich bin Ihrer Gattin herzlich gut, erstlich als einer solchen Frau und zweitens als einer solchen Dichterin und endlich als allem was sie ist. Wenn ich sie nur einmal gesehen hätte! Wir beide würden schon alte Freunde an der Thüre, blos wenn sie mir nur zuriefe: herein! — Ihre Exzerpten aus ihr gefallen mir unendlich und Sie sollten die Gute nur ganz abschreiben. Ich meines Orts nähme in solchem Falle eine kurze Bleistiftfeder mit ins Ehebette und trüge an der Wand, was sie etwan darin sagte, heimlich nach für den Tag. So aber geht für den Tertium Wichtigstes verloren.

d. 5. Jul.

Ich danke Ihnen, daß Sie mir immer Briefpost und fahrende Post zugleich zuschicken, nämlich mit Ihren Briefen immer Menschen wie Ackermann, Graff, Patzig. — Sie thäten mir einen Gefallen, wenn Sie die Ihnen so nah’ seßhafte Harms (Berlepsch) be suchten und ihr meinen Gruß und die wahrhafte Versicherung brächten, wie warm sie in meinem Andenken lebe, da sie von hier an bis nach Regensburg mich unbeschreiblich verläumdet und Lügen über meine Trinkunmäßigkeit, ja Unsinn darüber, nachdem ich alles ihr auf meinem Kanapee widerlegt und auf die Quellen zurück geführt hatte, auf ihrem Wege auszusäen gut verstanden. Wünschen Sie ihr übrigens, das Donnerwetter soll’ in sie fahren, damit der Teufel aus ihr fährt, nämlich der, welcher die wenigsten Menschen verläumdet, nämlich nur die guten.

Aber lieber besuchen Sie einen trefflichen Mann, der mir so viel Pfunde Emme[n]thaler Käse geschickt als meine opera wiegen, die er alle hat und schätzt. Er heißt Mumenthaler in Langenthal. Diesem köstlichen liebenden Manne bringen Sie einen ernst-warmen Gruß und schildern Sie ihm mein In- und Exteriör lebhaft. Er frißt Sie vor Liebe und Lust; dasselbe können Sie dann mit seinem Käse thun. Auch schreiben Sie mir etwas Persönliches von diesem Seltenen, dem ich mit Mühe auch das Seltene, nämlich die grön ländischen Prozesse und die Teufels Papiere verschaffen mußte.

d. 12. Jul.

Ich wollte, Sie hätten meinen Katzenberger und meinen Fibel gelesen; man will viel daraus machen, was ich selber vorher, obwol in anderem Sinne, auch wollte. Die neue um 18 Bogen reichere Vorschule ist auch da. Jetzo koch’ ich und brat’ ich an einem großen komischen Werke. In diesem aber — hab’ ich mir ge schworen — will ich nicht wie bisher, der ich in allen meinen komischen Werken, gleich einem Kinde, das in Kugelgestalt geboren und dann gerade in Wickelkissen gekreuzigt wird, immer den strengsten Kunstregeln nachgab und leider nur zu regelrecht war, es wieder thun, sondern ich will mich gehen lassen wie es geht — hinauf hinab — flug- und sprungweise — wahrhaft kühn — frei von allem Gellertismus und Dykismus — — Freund, ich will im Alter meine Jugend nachholen und postzipieren. —

Sie und Eva sollten meine drei Kraftkinder, in Körper- und Seelenblüte, sehen; und in angeerbter kindlicher Unschuld, obgleich mein Junge jetzo fast mehr Griechisch kann als sein Vater. Wahr lich in den ersten Quinquennien kann man den Kindern einen unauslöschlichen Werth wie Unwerth anerziehen oder lassen; später verderbt sie kein fremdes, ja kaum elterliches Widerspiel. — Gesund bin ich von der Glatze bis zur Ferse. — Noch zog der Krieg nur um mich mit seinen Blitzen herum; zög’ er aber über meine Glatze, so müßt’ ich wol auf einige Stunden scheiden, um ganz wiederzukommen. Ich könnte hier prophezeien, wär’ es loci.

Da mein treuer Emanuel das Blatt einschließen will: so leg’ ich kein neues mehr an, sondern wünsche wol zu leben und oft zu geigen, da man wol Wissenschaften mit Vortheil eine Zeit lang aussetzt, aber Kunstfertigkeiten nur mit Nachtheil.

Nachschrift.

Gute Eva! Da Weiber stets mit Nachschriften schließen — wie denn Eva selber ein Postskript Adams, ja das der Schöpfung war — so mach’ ich meinen ganzen Brief zu einer. Ich wünschte, Sie schickten mir einen kleinen Waschzettel aller der bösen Seiten, die Ihr guter Mann an sich erst in der Ehe wider Vermuthen auf deckt. Für meinen eignen Gebrauch hab ich mir gute männliche Fleckkugeln angeschafft und könnte dienen. Er hingegen kann wieder bei meiner Frau nach weiblichen Fleckkugeln fragen. — Ich brauche aber nicht erst eine Nachschrift zu beschließen, um Ihnen zu sagen, mit welcher Hochachtung ich schon seit so langem verharrete


Ihr Jean Paul Fr. Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Eva Thieriot und Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 3. Juli 1813 bis 12. Juli 1813. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_775


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 777. Seite(n): 332-335 (Brieftext) und 560 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Berlin Varnh. 213 (derzeit BJK). 4½ S. 4°. (Es folgt noch ½ S. von Emanuel an Eva.) K (nach Nr. 771): Thieriot den 3. Jul. p. ab den 17. J 1: Wahrheit 8, 5×. J 2: Denkw. 1, 482×. B: IV. Abt., VI, Nr. 119? 332, 31 der Monatstag ist ausradiert H 33 wann1] aus wenn H 333,5 denkt] aus dachte H, dachte K 9f. zu prügeln] aus auszuprügeln H, auszuprügeln K 14 Äpfel von einem] aus einen Apfel vom H 17 abzustatten] aus zu überreichen H 23 würden bis Thüre] aus wären schon Freunde geworden H 334,3 alles] aus es H 5 Wünschen] aus Sagen H 34 Quinquennien] aus Jahren K 335,5 das Blatt] aus den Brief H 7 Wissenschaften] aus eine Wissenschaft H 11 ja] und K 15 männliche] nachtr. H

333,24 Exzerpten: Thieriot teilte in seinen Briefen häufig Aussprüche Evas mit; vgl. Nr. 449f. 33 Wilh. Heinr. Ackermann (1789—1848), ein Voigtländer, Jünger Pestalozzis, 1811—13 in Yverdon, dann Lützowscher Jäger. Graff: s. Nr. 742†. Patzig: ? 34 Emilie Harmes wohnte damals in Erlenbach am Zürchersee; vgl. Nr. 394† und 410. 334, 8ff. Thieriot führte den Besuch bei Mumenthaler sogleich im August 1813 aus, s. IV. Abt. (Br. an J. P.), VI, Nr. 230. 335, 5 Emanuel erkundigt sich in den beigefügten Zeilen bei der aus Mainz gebürtigen Eva nach der Familie Lux, besonders nach der Witwe und der Tochter Marianne; Eva antwortete darauf erst 1816, sie erinnere sich aus früher Zeit, von dieser Familie gehört, auch die Töchter gesehen zu haben; Marianne habe artig Klavier gespielt und gesund und freundlich ausgesehen. 16 Fleckkugeln: vgl. 201, 22f. und 275, 1ff.