Von Jean Paul an Johann Jakob Gottfried Braun. Bayreuth, 22. Juli 1813.
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Hochzuehrender Herr Medizinal-Assessor!
Ich erwarte den Injurienprozeß sehr gleichgültig; die Magd
338,15
wird niemand bestrafen als sich. Erstlich schalt ich
sie nie ins Gesicht
eine Diebin. Mein Wunsch zweitens, daß
Sie sie abdankten, —
nicht fortjagten, denn dazu gehörten
gerichtliche Beweise einer
Schlechtigkeit — ist keine
Beleidigung 〈Injurie〉; und ich hatte wirk
lich von Ihrer bisherigen Gefälligkeit gegen mich gehofft, daß Sie338,20
solcher, da sechs Wochen vor Jakobi unsere Unterredung und
Ihre
Untersuchung vorfiel, den Dienst aufkündigen würden,
wär’ es auch
nur gewesen, um mir — gesetzt ich hätte ganz
Unrecht — ihren un
angenehmen Anblick und
die nöthige Sorgfalt mit Schloß und
Licht zu ersparen.
Drittens hatte sie gar kein Recht, Sie um die338,25
Ursachen
meines Wunsches zu befragen, und Sie hätten sie durchaus
an
mich verweisen sollen. Ihre Wahrheits Liebe foderte ja nicht,
daß Sie ihr das, was ich Ihnen als Geheimnis anvertraute,
offenbarten, so wie Sie ihr bei aller Wahrheits Liebe gewiß
werden
verschwiegen haben, daß Sie eine geheime Stuben-
und Kasten338,30
Untersuchung ihrer
Kammer angestellt. So, wenn z. B. mich die
Kronacher Magd
befragte, ob Sie sie für die Diebin gehalten, wie
Sie später gegen mich gethan, so würd’ ich ihr sagen, daß
sie von
mir keine Antwort zu verlangen habe. Wem sollt’ ich
denn meine
Noth und Argwöhnung, da ich seit dreiviertel
Jahren im Keller,339,1
und vier Mägde hintereinander — und zwar N. B. im Anfange
der Dienstzeit —
bestohlen worden (welches alles ich bei einer
gerichtlichen
Antwort anführen würde), anders klagen als dem
Herrn des
Hauses, um mit ihm den Thäter auszumitteln? Auf339,5
irgend
einen Menschen in der Welt muß mir doch das Gericht
argwöhnisch zu sein erlauben — denn die Sachen stehlen sich
selber nicht — und in diesem Falle würden Sie für Ihre heim
liche Stubenuntersuchung so gut als ich,
die Strafe des Arg
wohns tragen.339,10
In meiner gerichtlichen Antwort würd’ ich sagen, daß ich nur die
dreivierteljährigen Diebstähle beweisen und beschwören
könnte, daß
ich aber gegen keinen einzelnen Menschen rechtliche Erweise seiner
Schuld
besäße, sonst hätt’ ich ihn schon längst gescholten und ver
klagt. Ich würde ferner sagen, daß ich durch alle
Erscheinungen —339,15
z. B. daß Sie im Schweinstall eine
halbe Flasche Wein von der
Magd fanden, den Sie selber dem
meinigen für ähnlich im Geruche
erklärten, oder daß seit dem
Gebrauche Ihres englischen und meines
neuen Schlosses mir kein Wein mehr gestohlen wird — kurz
daß
ich durch alle diese Erscheinungen mich doch nicht für
berechtigt339,20
hielte, gerichtlich eine bestimmte
Person als Diebin anzugeben; daß
aber über meinen Glauben,
der ohne gerichtliche Beweise bestehen
kann, das Gericht so
wenig Herr ist als ich selber. Wenn ich nun
dieß und mehres
anführte, so wird die Stadt, welche gegen mich
nicht gleichgültig sein kann, leicht die Partei für mich
wider diese339,25
Person ergreifen, und diese mag dann
zusehen, wo ihr Ruf bleibt.
Denn man wird doch leichter
glauben, daß eine Magd stiehlt, als
daß ich verläumde. Möglich wär’ es auch, daß das Publikum den
weisen Grundsatz aufstellt: es gibt hundert Wahrheiten, die
nicht
gerichtlich zu beweisen, und hundert Lügen, die
nicht gerichtlich zu339,30
widerlegen sind.
Übrigens werd’ ich in dieser Sache aus Zeitmangel und aus Ver
achtung der Injuriendrohung nichts weiter mehr schreiben als
wozu
mich die Gerichte nöthigen; sonst aber die ganze
Erbärmlichkeit ver
gessen; denn das Beste
ist doch fort, nämlich über 100 ausgesuchte339,35
Bier- und
Weinkörke, der Flaschen und des Inhalts nicht einmal
zu gedenken.
Zitierhinweis
Von Jean Paul an Johann Jakob Gottfried Braun. Bayreuth, 22. Juli 1813. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_781
Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen
K ohne Überschrift, der Anfang von Emmas, der Schluß von Karolinens Hand, mit eigenh. Verbesserungen. 338,26 durchaus] eigenh. nachtr. 339,9 Strafe] eig. aus Schuld 24 mehres] eig. aus mehreres 25 diese] eig. (?) aus eine so unbedeutende
Über den Adressaten s. I. Abt., XV, Einl. S. XIV, 1. Fußnote. Zur Datierung vgl. die beiden folgenden Billette. Vgl. auch Nr. 787.