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Korrespondenz

Von Jean Paul an Marianne Lux. Bayreuth, 12. September 1813.

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Eilig
Baireuth d. 12. Sept. 1813

Ihre sechs letzten Briefe habe ich richtig erhalten, wenn auch nicht immer ächt versiegelt. Überhaupt gehen Briefe selten verloren, mir z. B. in 30 Jahren kaum 3. „Eilig“ bezieht sich auf meine Armuth an Zeit, worin ich ungern einen andern Besuch als den freundschaftlichsten empfange, so viel habe ich zu lesen und zu schreiben und so wenig zu leben dazu. An Sie schreib’ ich in einem Jahre schon den 4ten Brief; seit vielen Jahren mach’ ich erst bei Ihnen diese Ausnahme. Sie geben dieß alles gern zu und beklagen meine Zeit-Armuth; aber warum erwarten Sie doch fast immer eine Antwort mit umgehender Post?

Ich schreibe nichts lieber als Briefe und doch nichts seltner als diese. Erst nach langer Zeit werden Sie wieder einen von mir erhalten. Ihre drei letzten thaten meiner Seele wol, weil sie wieder das einzige zwischen uns mögliche Verhältnis von Vater und Tochter recht himmlisch aussprachen, ein Verhältnis, in welches mich Ihr erster Brief hinein zauberte und welches bisher in mir unverrückt geblieben. Auf diese Weise durft’ ich Sie so innig lieben — Ihnen meine Locke schicken — mein Vertrauen geben und Ihre mir unbegreifliche Bedenklichkeit des Sehens anfallen. Das Wort Vater ist für einen Vater, so wie das Wort Tochter, ein heiliges Wort. Warum glauben Sie mich betrübt? Die Wissenschaften sind meine Himmel — ich werde von meinen Kindern und meiner Caroline beglückt — und von diesen so herzlich geliebt als diese von mir: warum soll ich betrübt sein? — Allerdings über etwas, über die Zeit, an welcher jetzo fast alle Völker Europens bluten.

Ihre Offenherzigkeit gibt mir keine Schmerzen — sobald nur Sie keine dabei fühlen — sondern Freude.

Sie vergöttern mich, anstatt mich zu befolgen; ich gebe Ihnen daher keinen einzigen Rath mehr, da ich sowol das weibliche Ge schlecht kenne als jene Feuerseelen, zu welchen Sie gehören. Nach Heidelberg kann mich erst ein Blutstrom des Krieges abschiffen. Mein zufällig unausgeschriebnes Wort hieß nicht „Verehrung“ sondern „Vertrauen“. Warum sollt’ ich mich denn fürchten, irgend ein Wort ganz auszuschreiben? Ich wünschte, Sie schrieben Ihre Briefe ab, um die Antworten leichter zu verstehen, und noch mehr wünscht’ ich, Sie schickten mir statt der Briefe ganze Tagbücher Ihres LebensIhrer Familie, Ihrer kleinern Ereignisse etc. etc. . Ein Herr Nebrig aus Frankfurt, ein Verehrer Ihres Vaters, erzählte mir viel Schönes und Edles aus Ihrer Familie, ohne meinen bestimmtern Antheil daran zu errathen.

Es gehe dir wol, liebe Tochter, und der Geist des warmen Lichtes ohne Feuersturm fülle dein Herz.


Jean Paul Fr. Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Marianne Lux. Bayreuth, 12. September 1813. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_796


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 798. Seite(n): 344-345 (Brieftext) und 563 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

K (von Emmas Hand, mit eigenh. Korrekturen): Marianne Lux. i: Wahrheit 7, 350× (undat.). A: IV. Abt., VI, Nr. 241.

345,2 Caroline: dazu Fußnote: „und von meinen [!] treuen Hunde.“ Jean Paul hat das ausgestrichen und daneben geschrieben: Dieß setzte die schäkernde Emma hieher. 13 Vertrauen: s. 337, 5. 17 Nebrig: vgl. Nr. 784.