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Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 25. April 1814.

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[Konzept]

375,19
Baireuth d. 25. Apr. 1814
375,20

Deinen geliebten Brief vom 18ten, Geliebter, erhielt ich erst vor
gestern. Das Erfreulichste darin sind mir dein[e] 6 Druckbogen,
eine Morgengabe für die jetzige Philosophie in ihrem Abende, wo
sie keine Männer finden kann. Du allein bringst — bei der all
gemeinen Erstarrung gegen die Philosophie — noch einiges Feuer375,25
durch dein Lichtbringen in die Leser und bringst dadurch wieder die
Feinde in Feuer. Deine 6 Bogen werden 6 Schöpftage für mehre
feindliche und freundliche Alphabete werden.


Meine Noten zu deinem Hume hab’ ich seit einem Jahre wol
zwanzigmal gefunden; jetzo, da ich sie brauche, find’ ich sie verlegt.375,30
Ich habe sie nach den frühern rothen Zeichen in deinem Buche
wieder ergänzt. Nur verzeihe die Armuth. Der größte Theil be
steht in elenden Sprach- und Geschmack-Anmerkungen, welche indeß,
da du deine Schriften zum letzten male verklärst, ihre leichte Gegen
wart entschuldigen.375,35

Deiner Gewandtheit im Dialoge hat noch niemand das volle376,1
Lob ertheilt. Wie schmerzten mich oft in meines so heilig geliebten
Herders [Schriften] die Gespräche, in welchen er als Dichter immer
blos auf Achilles—Fersen steht. Aber die rezensierenden Philosophen
achten vielleicht — aus unpoetischer Unwissenheit — einen Dialog376,5
mehr, der nur Ja und Nein ihnen selber vorsagt.


Gib nur recht viel Neues; denn dein weniges Altes kann man
auswendig. — Deine zerbröckelten Brosamen von Aphorismen, die
ich genoßen, bedürfen wahrlich kein Neubacken oder Umknäten zu
einem Ambrosiabrod. — An deiner Stelle gäb’ ich Woldemar etc. etc. 376,10
erst am Ende der Sammlung. —


Auch ich labe mich ordentlich an dem Anschauen des jetzigen
Kriegschrittes wie an dem Verstäuben der Zentralsonne des
Teufels. (N. B.) Im Dezember schickt ich einen scherzhaften Auf
satz gegen die Franzosen ins Morgenblatt; das Non-Imprimatur 376,15
machte ihn zu einem besondern jetzo gedruckten Werkchen: „Mars
und Phöbus Thronwechsel im J[ahre] 1814
“, wovon dir
der ernste Anfang und Ausgang vielleicht gefallen. Aber freilich
wie anders schrieb’ ich, wenn ich jetzo darüber schriebe und Herz
und Kopf und Auge freudig ausgöße! — Es sollte — nur von keinem376,20
Geistlichen — eine Geschichte der Vorsehung geschrieben werden. —
Ich glaube immer mehr an [den] Teufel; aber nicht an einen der es
durch Fallen geworden, sondern an einen radikalen. Ist das Böse
etwas schlimmeres als Irrthum oder als Hülse und Schranke des
Guten: so kann es nur gesetzt, nicht erklärt werden, so wenig als376,25
die gute Unendlichkeit und die Endlichkeit.


Im Mai komm’ ich wahrscheinlich nach Regensburg, um, wie
ich immer jährlich thue, einige Wochen in einem Miethzimmer
ein Stylit und Einsamer zu sein. Wie werd’ ichs machen, daß
mich nicht Habakuks Engel nach München führt und reißt? 376,30

Dieser Frühling — glaube dem Wetterpropheten — wird köstlich,
blau und warm; dieß melde deiner Seele, wenn sie sich vor deinem
Körper fürchtet. Du wirst recht aufleben und dann recht leben. —
Meinen Herzens Gruß an deine lieben Schwestern! Dein


[J. P. Fr. Richter]
376,35
[Beilage]
377,1

Vorrede S. V. Bejahung eines identischen Satzes ist nur eine
Wiederholung desselben; es wird nichts bejaht, wenn ich
sage a = a, (denn dazu gehörte Synthese,) sondern nur
etwas genannt. Bei a = a bleibt nur das Setzen als Thätig377,5
keit, welches aber mit einem Bejahen einer Wahrheit nicht
einerlei ist, obgleich Fichte mit diesem aa, oder a/a sein
System anfängt.
S. 1. Diderots Einfall ist blos satirisch und spricht nichts Be-
stimmtes, zu diesem Werke Gehöriges aus.377,10

„Im Schlafrock“ etc. etc. bis „geblieben“. Man wünscht einen
bedeutendern Eingang.

S. 3. Auch diese Individualität ist dem Leser nicht wichtig genug.
Aber noch mehr verfehlt die folgende S. 4 die Wahl des
Individualisierens.377,15
S. 8. statt wo lieber worin.
S. 9. „trinken ließ“ Die Anwendung dieser Anspielung wünschte
man deutlicher.
S. 20. Das Wort Empfindung ist sehr gehäuft. Eigentlich müßt’ es
doch heißen: „Also empfinden Sie eine Ursache als Ursache?377,20
Sie haben eine Empfindung und zugleich in und mit dieser
eine zweite, daß diese die Ursache der ersten sei;“ etc. etc.
S. 32. Die unbedeutende Stelle von Schütz verdient wenigstens
jetzt keine Anführung.
S. 33. Wozu diese ängstliche Einleitung?377,25
S. 34. Übersetze immer perception in dasselbe Wort, entweder
Wahrnehmung oder Empfindung. — to be something
external to our mind, w[h]ich perceives it.
— Warum
ist in der Übersetzung: „empfindende Wesen“ — und warum
perceives durch „Vorstellung sein“ gegeben?377,30
S. 37. Statt des — doch zuweilen willkürlichen — Einschlafens
wäre ein anderes Beispiel besser.
S. 38. Die wichtige Stelle von Hume hast du vielleicht mancher
schwer fassenden Leser wegen etwas weitläuftig übersetzt.


S. 56. Ein paar ausgezogne Worte aus Bonnet könntest du wol 378,1
dem Leser gönnen.
S. 69. Diese Definizion des Zirkels ist mir nicht rund genug.
1) Nicht blos das äußerste Ende der Linie ist beweglich,
sondern sie ganz als Linie in jedem Punkte. 2) „In einer378,5
Richtung fortgesetzte Bewegung“ Hier fehlt: wie lange
fortgesetzt. Denn sonst bekommen wir die bloße krumme Linie.
S. 74. als ist besser als da.
S. 89. Die Stelle aus Reimarus wirkt vielleicht im Zusammen-
hange mit mehr Licht und Glanz als hier.378,10
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 25. April 1814. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_866


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 872. Seite(n): 375-378 (Brieftext) und 575-576 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

Brief: H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 4 S. 8°. (Unterschrift abgeschnitten.) Präsentat: v. Jean Paul e. den 9t May, beantw. den 26t Dec. XV. K (Konzept?): Fried. Jacobi 25 [aus 23] Apr. J: Jacobi S. 169. Beilage: SBB, Nachlass Jean Paul, Fasz. 26 (Konzept), 2⅓ S. 4°. B: IV. Abt., VI, Nr. 238. 375,27 in] aus ins H 30 verlegt] aus nicht H (es sollte wohl auch find’ in hab’ verb. werden) 376,2 ertheilt] aus gegeben H schmerzten bis 3 Herders] aus schmerzte mich oft mein so heilig geliebter Herder H 5 unpoetischer] aus poetischer H 15 Non-Imprimatur] davor gestr. Verbot H 18 ernste] davor gestr. erste H 22 Lücke im Papier H 377,5 genannt] davor gestr. gesagt oder 6 einem] aus keinem 14 verfehlt] aus geht 26 in] aus mit dem 33 mancher] aus der 34 danach gestr. Wenigstens S. 43 könnt’ es leichter heißen „durch welche ich mir den Anstoß und das Mittheilen [aus die Mittheilung] der Bewegung von der einen Kugel an die andern darstelle“ 378,9 aus] aus in

Jacobi hatte gebeten, Jean Paul möge ihm umgehend das Exemplar seines Gesprächs über Idealismus und Realismus (David Hume), das er ihm in Nürnberg nach Bayreuth mitgegeben (vgl. 271, 33f.), zurück senden, womöglich mit kritischen Anmerkungen. Ende Mai werde mit dem Druck des zweiten Bandes seiner Werke begonnen. Er habe eine 6 Bogen lange Einleitung dazu geschrieben, die zugleich eine Einleitung in seine sämtlichen philosophischen Schriften sein solle, indem sie die vollendete Darstellung seines Systems gebe. Sein Befinden sei sehr schlecht gewesen, nur die Freude über die jüngsten Ereignisse habe ihn am Leben erhalten und seinen Glauben an die Vorsehung neubelebt: „Nie hat sich die Gewalt des Unsichtbaren über das Sichtbare, des Göttlichen über das Ungöttliche so mannigfaltig und durchgreifend kundgethan. Nach allen früheren Geschichten scheint Gott in der Welt zwar die legislative, der Teufel aber durchaus die exekutive Gewalt zu haben... Die Geschichte unsrer Tage zeigt uns das gerade Widerspiel... Ja, es ist ein Fortgang in der Menschheit, eine Vorsehung waltet.“ 376, 30 Habakuks Engel: vgl. I. Abt., III, 97, 29†. — Die Beilage bezieht sich auf die 1. Aufl. des „David Hume“, Breslau 1787. In den Werken (2. Bd., 1815) hat Jacobi einige von Jean Pauls Bemerkungen berücksichtigt, z. B. den Einfall Diderots (S. 1) und die Stellen von Schütz (S. 32) und Reimarus (S. 89) weggelassen. Im Nachlaß Jean Pauls (Fasz. 26) fand sich auch die stark abweichende ursprüngliche Fassung der Noten (3½ S. 4°).