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Korrespondenz

Von Jean Paul an Karl Ludwig von Knebel. Bayreuth, 17. Mai 1814.

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Baireuth d. 17. Mai 1814

— Und hat man einmal zu antworten verschoben: so hört die Sünde kaum auf; und es sollte mich gar nicht wundern, wenn mich einmal mein Pathchen selber zu Gevatter bäte und im Briefe mir mein Schweigen auf Ihren vorhielte.

Wirklich je mehr man zu sagen hat, desto weniger fängt man an, etwas zu sagen. Mit Ihnen könnt’ ich ein Jahr über jetzige Jahre reden. Die Zeit gebiert jetzo schnell und viel; Drillinge, Fünflinge sind täglich das Wenigste. Doch erholet sie sich von ihrer politischen Fruchtbarkeit durch ihre poetische Unfruchtbarkeit. Als ich Sie sah, war es umgekehrt.

Aesthetische Unterhaltungen wie in Jena und Weimar, würden mir in Baireuth unter die 7 Wunder Jena’s gehören; aber meine Muse vermisset sie sehr. Wie wollten wir erst jetzo, guter Dichter und Kunstrichter und Freund, so einträchtig leben und zanken, da Sie schon früher gegen meine rauhe vogtländische Körper-, Lebens und Schreibborke so nachsichtig sich bewiesen! Nur Ihre poetische und weltmännische Viel- und Allseitigkeit erklärt es, daß Sie mir sonst mehr durch die Finger als auf die Finger sahen. — Und so würd’ ich auch mit meinem beinahe eben so von mir geliebten als verehrten Goethe ein schönes christliches Leben führen, mit diesem Abendstern des jetzo bewölkten oder ausgestorbnen Dichterhimmels. Sie haben mir durch sein Urtheil über ein Levana’s Bruchstück, ein großes Stück Himmel voriger alter Weimars-Zeit hieher ge schickt. Er sei von allem, was gut und recht in mir ist, innigst gegrüßt. Ich sehne mich unglaublich nach Weimar, ob ich gleich die dortigen Gräber fürchte.

Übrigens schreib’ ich fort und sehe gar kein Ende davon ab, wenn es nicht das meines Lebens ist. Mit den Büchern wachsen auch meine Kinder frisch; nur daß diese jene überblühen. — Es bleibe Ihnen, mein geliebter Freund und Dichter, immer Ihre Jugend (Verjüngung wäre eine Verkennung), welche auch in Ihrem letzten Gedichte blüht und wärmt. Es wäre närrisch, wenn man nahe an der Ewigkeit veralten wollte, die ja keine Zeit und kein Alter kennt. — Einen herzlichen guten Morgen, Mittag und Abend für Sie und Ihre Gattin!


Ihr alter Freund Jean Paul Fr. Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Karl Ludwig von Knebel. Bayreuth, 17. Mai 1814. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=VI_876


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952. Briefnr.: 882. Seite(n): 381-382 (Brieftext) und 577 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Kestnermuseum, Hannover. 4 S. 8°. K (nach Nr. 867): Knebel 17 Mai. i: Wahrheit 8, 25. J: Knebel Nr. 12. B: IV. Abt., VI, Nr. 231. 381,14 Als] aus Da H 24 von mir] nachtr. H, fehlt K 26 jetzo] nachtr. H, fehlt K 34 frisch] nachtr. H K

Knebel hatte Jean Paul zu seinem am 25. Juli 1813 geborenen, am 21. August getauften Sohn Karl Bernhard Maximilian zu Gevatter gebeten und über den Niedergang der Universitäten, über die Zeit und die Jugend geklagt. 7 Wunder Jena’s: vgl. I. Abt., XVII, 124. Goethe hatte sich in einem Brief v. 16. März 1814 an Knebel sehr anerkennend über das im Morgenblatt v. 22. u. 23. Febr. 1814 abgedruckte Kapitel aus der Levana (s. zu Nr. 853) geäußert; vgl. Nr. 871. Knebels letztes Gedicht: vielleicht die „Ermunterung an sich selbst“ aus dem Frühjahr 1813, s. Knebels Nachlaß 1, 65.